Projekt

„Diskurs- und kunstgeschichtliche Untersuchung von Erdteilallegorien im Süden des Heiligen Römischen Reiches und ihre Erschließung in einer Hypermediaumgebung“

 FWF Projekt P 23980

Untersuchungsgegenstand dieses Projektes sind Erdteilallegorien (EA) auf räumlich verankerten Bildträgern wie Wand-Deckenmalerei, Stuck, Skulptur, Kacheln und Gemälden innerhalb von Klöster, Schlösser, Kirchen / Dorfkirchen, Gärten, Bürgerhäusern und auch auf öffentlichen Plätzen. Ausgehend von den Vorabuntersuchungen des Projektteams, die eine bis heute unerklärte auffällige Dichte von bislang 394 EA im Süden des Heiligen Römischen Reiches aufzeigt – EA gibt es natürlich auch anderswo, aber nicht in dieser Dichte und sozialen Streuung -, sowie einem Resümee der bisherigen, überwiegend kunsthistorischen Forschung wird deutlich, dass EA aus diskursanalytischer Sichtweise, wie es seit gut einem Jahrzehnt die historische Europaforschung vorschlägt, ein weitaus höherer Quellenwert beigemessen werden kann. Bildliche Diskurse sind unter bestimmten Voraussetzungen angetan, breitere Teile der Gesellschaft zu erreichen, als reine Wort- oder Textdiskurse bzw. hochaufgeladene Kunstprodukte, die nur einem sehr engen Kreis zugänglich und verständlich sind. EA finden wir an Orten, die, getrennt oder gemeinsam (wie gerade in Kirchen) ganz verschiedenen Gesellschaftsgruppen zugänglich und, wie zu zeigen sein wird, verständlich waren. Die Ikonographie der Erdteile, anders als andere Allegorien, erlaubt es auch dem Künstler, mit „exotischen“ und fremdländischen Versatzstücken an Orten außerhalb des profanen Bereichs wie bspw. in Dorfkirchen zu spielen. Hierdurch werden sie zum Transporteur von zusätzlichen, von der originär allegorischen Botschaft unabhängigen geografischen, völkerkundlichen oder botanischen Informationen.

Landkarte

Das erste Ziel des Projektes soll eine systematische Erfassung innerhalb des Untersuchungsgebiets sowie detaillierte Aufbereitung der EA im Hinblick auf eine Vielfalt von Zugängen durch unterschiedliche Disziplinen in einer Hypermediaumgebung sein. Ziel soll nicht lediglich das Verfügbarmachen eines großen Datenpools sein, sondern es soll vorrangig eine interaktive Datenbank entstehen, die die Fülle eines ansonst nur schwer zugänglichen Quellencorpus‘ so aufbereitet, dass der (die) Benutzer(in) interaktiv wesentliche Einblicke in Präsenz, Gemeinsamkeiten, Unterschiede sowie in die historisch funktional-kommunikative Rolle der EA gewinnt. Ähnlich wie durch Werkverzeichnisse oder gattungsspezifische Bestandsaufnahmen innerhalb nationaler Grenzen soll durch die Fokussierung auf ein bestimmtes ikonographisches Thema komparatistische Studien unterschiedlichster Art ermöglicht werden. Entscheidend ist die Begehung aller Anbringungsorte, Dokumentation der EA und die Durchführung von notwendigen Archivrecherchen durch die Projektmitarbeiter.

Das zweite Ziel des Projektes soll auf Basis des erstellten Quellencorpus‘ das Schließen einer Forschungslücke in der Europaforschung sein. Im Mittelpunkt soll die bis dato aktuelle Frage von Peter Burke nach der „social history of the consciousness of Europe“ stehen. Der Zugang zum Problem des Europabewusstseins und seiner gesellschaftlichen Breite und Verankerung in bestimmten Epochen erschließt sich uns vorwiegend über die Untersuchung der Europadiskurse. Europabewusstsein generiert Europadiskurse, Europadiskurse signalisieren Europabewusstsein, machen dieses öffentlich, und tragen zur weiteren Generierung von Europabewusstsein bei. Als Topos führen EA Diskursstränge aus allen diesen Primärquellen zusammen, als Topos betreffen sie verschiedenste Bevölkerungsschichten. Daher sind EA für eine systematische monographische Untersuchung, die Europadiskurse und Europabewusstsein bei unterschiedlichen, nicht zuletzt auch populären Gesellschaftsschichten analysieren will, ein besonders geeigneter Ausgangspunkt.