Die fürbittende Maria

Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (464–468):

Neben dem jeweiligen Patrozinium geben auch auftraggeberspezifische und lokalhistorische Gegebenheiten das jeweilige Thema eines Bildprogramms vor. In Tapfheim war es nicht zuletzt die Bedeutung des heiligen Bernhard von Clairvaux als Ordensheiligen für den Patronatsherrn des Zisterzienserklosters Kaisheim, die zur Wahl des Kultgegenstandes führte. In Oberigling und in Gabelbach war es jeweils die ansässige Skapulierbruderschafte, die zur Wahl des Kultgegenstandes führte. In Kirchhaslach, Kranzegg  und Bernbeuren  wiederum führte die Marienwallfahrt zur Wahl des Kultgegenstandes. In den Wallfahrtskirchen Mariä Himmelfahrt von Haupeltshofen, Maria Trost in Nesselwang und der Pfarrkirche St. Laurentius in Hurlach – drei weitere Anbringungsorte, in denen im Fürstbistum Augsburg die fürbittende Rolle Mariens betont wird – kam wie in Wemding aufgrund einer existierenden Marienwallfahrt ein mariologisches Thema zur Ausführung und – darüber hinausgehend – wurde das Gnadenbild bzw. die Gnadenstatue selbst zum unmittelbaren Kultgegenstand der Erdteile. Hierdurch erhielt die geographisch erweiterte Verehrung eines lokalen Gnadenbildes durch die Anwesenheit der Erdteile ein größeres Maß an Konkretheit verliehen als dies in anderen mariologischen Bildprogrammen von Wallfahrtskirchen (wie in Kirchhaslach, Bernbeuren und Kranzegg) zu beobachten ist. Das Gnadenbild ist nicht nur auf einem Altar aufgestellt, sondern auch im Bildprogramm zum Objekt der Verherrlichung der Erdteile erhoben. In Haupeltshofen, Nesselwang und Hurlach huldigen die Erdteile jeweils im Langhausfresko einer gemalten Kopie des auf dem Hoch- respektive Seitenaltar befindlichen Gnadenbildes bzw. der Gnadenstatue.

Direkt über den Köpfen der Gläubigen platziert, öffnet sich folglich eine zweite Dimension der immerwährenden Anbetung: zum einen real-lokal durch Pilger, Dorfbevölkerung etc., die sich im Laienraum versammeln, ihre Sorgen und Nöte an das Gnadenbild richten und/oder dem Gottesdienst folgen; zum anderen ahmt global über ihnen die Weltbevölkerung die Haltung der Gläubigen im unteren Bereich nach und partizipiert an der allgemeinen Verehrung. Die emotionale Übersteigerung in Mimik sowie Gestik der Kontinente wiederum fungiert als affektives Vorbild für den einzelnen Gläubigen. Hierdurch sind die Fresken Teil einer permanenten Schau- und Lehrbühne.[1]

In Nesselwang ist die Anbetung durch die vier Erdteile nicht unmittelbar ersichtlich, da diese als Skulpturen die gemalte Kolonnadenarchitektur zieren, welche als Einfassung der im Bildzentrum schwebenden Maria Immaculata dient. Die Aufmerksamkeit der Erdteile – erkenntlich an ihrer Kopfhaltung und Blickrichtung – ist allerdings nicht auf Maria gerichtet: Vielmehr blicken sie gebannt auf das Gnadenbild, das im anschließenden Chorfresko von zwei Engeln in einem Kuppelraum präsentiert wird. Unterhalb des Gnadenbildes huldigen Arme, Kranke und Pilger aller Stände dem wundertätigen Bild in einer Prozession.

Die Verehrung von Gnadenbildern nahm im Barock eine herausragende Stellung in der volkstümlichen Frömmigkeit ein. Ihren Ursprung hatten sie im mittelalterlichen Andachtsbild mit dessen Anspruch der „kontemplativen Versenkung“[2] des Betrachters mit dem Inhalt. Dieser persönliche Andachtskult war den reformatorischen Ikonoklasten ein besonderer Dorn im Auge, da hier in hohem Maße die Grenzen zwischen der Anbetung des Bildes selbst und des Abgebildeten verwischten.[3] Die Reaktion der Konzilsväter sowie der nachtridentinischen theologischen Diskussion[4] war dergestalt, dass ausdrücklich die Möglichkeit einer Bilderverehrung betont wurde. Hierbei wurde der Bilderkult allerdings verstärkt zum Anliegen einer großen Volksmenge stilisiert, indem im Bilderdekret die Öffentlichkeit der Kultstätte sowie die Gemeinschaft der Gläubigen hervorgehoben wurden:

„Ferner wird den Bildern Christi, der jungfräulichen Gottesgebärerin und der anderen Heiligen, die vor allem in den Gotteshäusern sein und bleiben müssen, die schuldige Hochachtung und Verehrung erwiesen, nicht als würde geglaubt, in ihnen sei irgendeine Göttlichkeit oder Kraft, weshalb sie verehrt werden sollten, oder als müsse man von ihnen etwas erbitten, oder das feste Vertrauen sei an den Bildern festzumachen, wie es einst von den Heiden geschah, die ihre Hoffnung auf die Götzenbilder setzten, sondern weil die Ehre, die ihnen er-wiesen wird, sich auf die Urgestalten bezieht, die jene Bilder vergegenwärtigen, so daß wir durch die Bilder, die wir küssen und vor denen wir das Haupt entblößen und uns niederknien, Christus anbeten und die Heiligen, die sie darstellen, verehren. So ist es durch die Beschlüsse der Konzilien, besonders der zweiten Synode, gegen die Bilderstürmer festgelegt worden.“[5] [Hervorhebungen d. d. Verf.]

Solcherart legitimiert, wandelte sich das persönliche Andachtsbild zum gemeinschaftlichen Kultbild, zu dem von nah und fern Gläubige pilgerten. Insbesondere im 17. Jahrhundert, das als „eigentliches Jahrhundert des marianischen Gnadenbildes“[6] gilt, wurden – wie in Wemding, Haupeltshofen, Nesselwang oder Hurlach exemplarisch zu sehen – eine Vielzahl neuer Wallfahrten begründet. Dies geschah, indem zum Teil althergebrachte Marienbilder des Mittelalters, deren lange Tradition ihnen die notwendige Authentizität und somit Legitimation verlieh,[7] wiederentdeckt und vervielfältigt wurden:

  • In Haupeltshofen wird eine Kopie des Gnadenbild von Santa Maria Maggiore aus Rom (Mitte des 13. Jahrhunderts) verehrt;
  • in Wemding rekurriert die Gnadenstatue auf die Tradition der stehenden Muttergottes mit Kind, die auf das 13. Jahrhundert zurückgeht und zu deren bekannten Vorbildern die Statue im Passauer Dom (um 1290/1300) zu zählen ist;
  • in Nesselwang diente als Vorlage ein Kupferstich des Muttergottesbildes Madonna mit dem Schleier von Onorio Marinari;[8]
  • in Hurlach wurde der im Barock wiederentdeckte Typus des Vesperbildes als Kultobjekt herangezogen, dessen Wurzeln im 13./14. Jahrhundert liegen und das erstmals auf dem Gebiet Bayerns in St. Walburg bei Eichstätt (um 1300), in Salmdorf bei München (1340) und in Scheuerfeld bei Coburg (1330/1350) verehrt wird[9].

Während in drei der genannten Fälle ein frommer Bewohner – in Nesselwang Rudolf von Grimming 1658[10], in Wemding Franz Forell 1684 und in Haupeltshofen Marquard von Freyberg 1618 – das Gnadenbild von einer Pilgerfahrt (vornehmlich aus Rom) mitbrachte, steht in Gabelbach das in der Kuppel dargestellte Gnadenbild Maria von Trost mit der Gründung der Bruderschaft in Verbindung. Es geht entweder direkt auf die Madonna della Cintura in San Giacomo Maggiore in Bologna aus dem 15. Jahrhundert zurück, die auch zugleich Sitz der Erzbruderschaft war,[11] oder indirekt auf ein in Kupfer vervielfältigtes Gnadenbild wie dem aus Oberigling.

[1]       Tympe Ceremonien 1605, 5f.. Diese Sichtweise zieht sich wie ein roter Faden durch die frühe Neuzeit, siehe z. B. Paleotti Discorso 1582, Buch 1, Kap. 23 und Huch Malerey 1773, 170. Insbesondere die katholisch-jesuitisch geprägte Lehre der Bildmacht forcierte dies. Vgl. ausführlich Hundemer Kunsttheorie 1997, 53, 224f.; Baumgarten Macht 2004, 127–138; Hecht Bildertheologie 2012.

[2]       Erwin Panofsky definiert das Andachtsbild über seine „Möglichkeit zu einer kontemplativen Verssenkung in den betrachteten Inhalt […] d. h. das Subjekt mit dem Objekt seelisch gleichsam verschmelzen zu lassen“. Panofsky Imago Pietatis 1927, 264.

[3]       Vgl. den Aufsatz von Jean Wirth Soll man Bilder anbeten? Theorien zum Bilderkult bis zum Konzil von Trient (2000, 18–37).

[4]       Für eine Liste namhafter Autoren siehe Gebhard Gnadenbilder 1954, 103.

[5]       Trid. Sess. XXV [03./04.12.1563] De invocatione, veneratione et reliquis sanctorum, et de sacris imaginibus.

[6]       Gebhard Gnadenbilder 1954, 104.

[7]       Vgl. ebd., 103.

[8]       Das Madonnenbildnis wurde lange dem Florentiner Maler Carlo Dolci oder seiner Werkstatt zugeschrieben (vgl. unter anderem KF Nesselwang 1986, 16). Allerdings stammt es von dessen Vetter Onorio Marinari, der Schüler in Dolcis Werkstatt war. Marinari führte es in zwei Fassungen aus (Galleria Nazionale d’Arte Antica, Palazzo Corsini, Rom und Sammlung der Tamagawa-University Museum of Education, Japan). Die Autorin des Werkverzeich-nisses zu Carlo Dolci schreibt, dass „many even non-autograph derivations and copies were made after the pain-ting now in Rome, as well as […] in Tamagawa“; Baldassari Dolci 2015, 334. Das Nesselwanger Gnadenbild geht wohl auf einer dieser zahlreichen Kopien zurück.

[9]       Sperber 800 Jahre 1980, 78 bietet eine kompakte Darstellung der wichtigsten Typen von Gnadenbildern, die auf dem Gebiet Bayerns gängig waren.

[10]      Das Gnadenbild kam bereits 1633 in die Familie der Freiherren von Grimming. In diesem Jahr fand es der Überlieferung nach der Bäcker Paul Regner nach einem Brand im niederbayerischen Markt Regen unversehrt im Schutt seines Anwesens. Es wurde daraufhin in der Schlosskapelle des Regener Pflegschaftsbeamten Freiherr von Grimming aufgestellt. Der Sohn der Aufstellerin, Rudolph von Grimming, transferierte das Gnadenbild in eine seiner diversen salzburgischen Besitzungen und nahm es schließlich 1658 auf seine Wallfahrt zu den Benedik-tinern in Einsiedeln mit. Die Rückreise führte ihn in Begleitung des aus der Nesselwanger Gegend stammenden Sämers Peter Enzensberger nach Nesselwang. Dort entschied sich Grimming, fortan ein Leben als Einsiedler zu führen und errichtete am heutigen Ort der Wallfahrtskirche eine kleine hölzerne Kapelle. Bald verbreitete sich die Kunde eines wundertätigen Muttergottesbildes, und Gläubige aus den benachbarten Weilern und Dörfern kamen, um es zu verehren. Vgl. KF Nesselwang 1986, 4f.

[11]      Die Madonna findet sich in der Kapelle – der ersten auf der rechten Seite – sowohl als Fresko wie auch als Altargemälde. Vgl. KF Bologna 1955, 14; Leinweber Bologna 2000, 224f., 299 (Kapellenplan).

Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.

1 - 8 von 8
Titelabsteigend sortieren Art Zeitliche Einordnung
Ailingen (Bodenseekreis), St. Johannes Baptist, Rosenkranzkapelle Erdteilallegorien 1789-1789
Gabelbach (Augsburg), St. Martin [Fresken] Erdteilallegorien 1738-1738
Haupeltshofen (Günzburg), Mariä Himmelfahrt Erdteilallegorien 1767-1767
Hurlach (Landsberg am Lech), St. Laurentius Erdteilallegorien 1763-1763
Nesselwang (Ostallgäu), Maria Trost Erdteilallegorien 1757-1757 bis 1758-1758
Oberigling (Landsberg am Lech), SS. Peter und Paul Erdteilallegorien 1735-1735
Sinning (Neuburg-Schrobenhausen), St. Nikolaus [Seitenaltar] Erdteilallegorien 1800-1800
Tiers (Prov. Bolzano), St. Georg Erdteilallegorien 1772-1772

 

Forschungsplattform Erdteilallegorien im Barockzeitalter / Research Database Continent Allegories in the Baroque Age

Nirgendwo hat der Barock eine solche Dichte an Allegorien der vier Erdteile – Europa, Asien, Afrika und Amerika – hervorgebracht wie im Süden des Heiligen Römischen Reiches. In ihnen manifestieren sich die Vorstellungen des Barock von der Gestalt der Welt, ihrer politischen, sozialen und spirituellen Ordnung, vom Fremden wie vom Bekannten. Diese einzigartige Sammlung dokumentiert Darstellungen der vier Erdteile in Fresken, Stuck, Gemälden oder Skulpturen in ihren ursprünglichen Ausstattungskontexten. Baugeschichten sind ebenso erfasst wie Künstler und Auftraggeber.

Publikationen zum Projekt:

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Allegories of the four continents – Europe, Asia, Africa, and America – were an extremely popular iconographic motive during the baroque era. It was most prevalent in the Southern Parts of the Holy Roman Empire. These allegories express/manifest/carry the imagination/conception/vision of the baroque of the shape of the world, its political, social, and spiritual order as well as of foreign and familiar things. This unique collection documents depictions of four continents in frescoes, stucco, paintings or sculptures in their place of origin. The historical contextualization contains the building history as well as artists and principals.

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