Gesetz und Evangelium

Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (436–440):

Einer der beliebtesten protestantischen Rechtfertigungsikonografie[1] wird als Gesetz und Evangelium bezeichnet; eine Bilderfindung, die auf Martin Luthers typologische Deutung der alttestamentlichen Erzählung über Moses und die eherne Schlange zurückgeht und durch Lucas Cranach, mit dem Luther zeitlebens in tiefer Freundschaft verbunden war, bildlich unter dem Titel „Gesetz und Evangelium“ bzw. „Gesetz und Gnade“ Verbreitung fand:

„[6] DA sandte der HERR fewrige Schlangen vnter das Volck / die bissen das volck / das ein gros volck in Jsrael starb. [7] Da kamen sie zu Mose / vnd sprachen / Wir haben gesündigt / das wir wider den HERRN vnd wider dich geredt haben / Bitte den HERRN / das er die Schlangen von vns neme / Mose bat fur das volck.

[8] DA sprach der HERR zu Mose / Mache dir eine ehrne Schlange / vnd richte sie zum Zeichen auff / Wer gebissen ist / vnd sihet sie an / der sol leben. [9] Da macht Mose eine ehrne Schlange / vnd richtet sie auff zum Zeichen / Vnd wenn jemand eine Schlange beis / so sahe er die Eherne schlange an / vnd bleib leben.“ (4 Mos 21,6–9)[2]

Luther beschäftigte sich während seines ganzen Lebens mit dieser Bibelstelle.[3] Sie stellt einen cantus firmus seiner Predigt dar:

„Es ist eine schone figur im alten Testament […] Das bedeut und zceigt an was der glaub thuett, und wie er geschickt soll sein. Die erene Schlang, die auff dem pfal hengt, ist Christus ans Creutz geschlagen. […] Yhe mehr du dich reissest und schlegst mit dem gewissen, yhe erger du es machest. Wer ym selber mit wercken will helffen, yhe merh er das werck thuet, ye erger es wiert, und wirdt nymmer kein fridt. Man laß dan die werck farhen und kum zw dem glauben. Drumb wolt ich, das man die wort sprech, die Christus gesagt hat, Nemet hin das ist mein leychnam.“[4]

Mit diesen Worten formulierte Luther den Grundgegensatz zum katholischen Glauben. Der alleinige Weg ins Himmelsreich führt aus seiner Sicht alleinig über den Glauben und nicht in erster Linie über ein „Sammelsurium“ guter Taten. „Glaube ohne Werke“ ist die Grundessenz protestantischer Theologie, in deren Circkel Jesus Christus steht,

„da der ganzte Circkel ausgezogen ist, und auff in sehet, und wer sich nach Imme richtet, gehort auch drein. Den er ist das mittel punctlein im Circkel, und alle Historien in der heiligen schriefft, so sie recht angesehen werden, gehen auff Christum“.[5]

Anders als Calvin und Zwingli lehnte Luther die Bildverehrung nie zur Gänze ab. Zwar galt für ihn „Bildniß anbeten hatt gott verpotten“, da diese nicht zum Zweck der Anbetung gedacht seien, sondern vielmehr zum Zweck der Vergegenwärtigung von Gottes Wort:

„Bildniß haben ist nicht unrecht, hatt doch gott selbs ym alten testament die ehern schlange heyssen auffrichten und die Cherubin an der gulden archen“.[6]

Insbesondere der ehernen Schlange als „‚figur des gekreuzigten Christi und das Vorbild einer Anschauung im Glauben (ohne Anbetung und Opfer oder Ablaß)“[7] maß er einen besonderen Stellenwert zu. In einer Predigt über Joh 3,14 aus dem Jahr 1538 forderte er mit einem Zitat aus dem Hohelied Salomons zur bildlichen Verinnerlichung auf:

„Drucke mich auff deinen arm, und siegele mich ins hertz.“ (Hld 8,6)

Diese Aufforderung fand reichen Widerhall in der bildenden Kunst. Die Gegenüberstellung der ehernen Schlange mit dem Gekreuzigten wurde im 16. Jahrhundert zum beliebtesten Bildthema schlechthin:

„Über die Cranach-Werkstatt [dem Ort der Bildinventio] hinaus [hat sich der Bildgegenstand ‚Gesetz und Evangelium‘] schnell und reich und über ein Jahrhundert lang auch räumlich weit verbreitet, so daß zu Dutzenden von Denkmälern aus den deutschen protestantischen Kernlanden und weiteren Gebieten solche auch aus Polen und aus Böhmen, vereinzelt auch aus Frankreich und gar Spanien kommen. In andere Kunstgattungen aus der Malerei und Graphik übertragen, findet er sich in Holz geschnitzt, im Steinrelief als Epitaph, in Silber geschlagen auf dem Bucheinband, als Glasbild in dem Kirchenfenster, auf Truhenwänden und auf Ofenplatten. Die größte Verbreitung aber fand es als Titelblatt von Lutherbibeln, und dies in mancherlei Varianten.“[8]

Das Dinkelsbühler Fresko, das 245 Jahre nach der ersten bildlichen Umsetzung durch Lucas Cranach entstand, ist eine verkürzte Darstellung der Ursprungsversion, da es nur auf die rechte Seite der eigentlich zweigeteilten Komposition rekurriert. Cranachs Komposition aus dem Jahr 1529 (bspw. im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, Inv. Nr. Gm220) zeigt links das Gesetz (Sündenfall, Strafgericht und die Vertreibung aus dem Paradies) und rechts die Verheißung der Gnade in Christus durch den Glauben (eherne Schlange, Menschwerdung, Passion und Auferstehung). Mit Ausnahme der Einbindung des letzten Abendmahls an der südlichen Längsseite band Nieberlein in seine Umsetzung die wichtigsten ursprünglichen Bausteine des Themas ein: sich gegenüberstehend an den Schmalseiten die eherne Schlange und die Kreuzigung Christi, die die Auferstehung Christi an der nördlichen Längsseite flankieren. Wie ein Altargemälde von Jacob de Wit aus dem Jahr 1726 (im Besitz des Rijksmuseums Het Catherijne-convent, Utrecht, Inv. Nr. BMH s1226) zeigt, ist Nieberleins Konzentration auf die Gnadenseite sowie die Einbindung des Abendmahls keineswegs neu. Auch de Wit vernachlässigte die Gesetzesseite und integrierte unmittelbar links hinten die Abendmahlszene ins Bildgeschehen.[9] Bereits im 17. Jahrhundert war das Thema zunehmend vereinfacht und auf einige wenige Figuren beschränkt worden.[10]

Das Abendmahl wiederum erinnert an das Dessauer Abendmahl von Lucas Cranach d. J. aus dem Jahr 1565.[11] Hier ließ der Künstler Luther und Melanchthon sowie eine Reihe anderer Reformatoren die biblische Abendmahlrunde personifizieren. Zur Interpretation des Bildes wirft Friedrich Ohly die Frage auf, ob die Reformatoren sich als die wahren Jünger Jesu darstellen wollten oder ob lediglich die Verbildlichung des Wortes Christi bezweckt war, getreu der Botschaft „wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20)?[12] Diese Fragen sind wohl im Angesicht der konfessionellen Rivalität in der Reichsstadt auch für das Dinkelsbühler Fresko zutreffend, gleichwohl aber nicht abschließend zu beantworten.

Ein Novum stellt schließlich die Einbindung der vier Erdteile dar. Die Erdteilikonografie ist bei den Protestanten keineswegs unbekannt; man findet sie verschiedentlich innerhalb von Profanbauten oder auf öffentlichen Plätzen.[13] Allerdings stellen Nieberleins Werke in Dinkelsbühl und Rechenberg im gesamten Untersuchungsgebiet des FWF-Projektes eine absolute Ausnahme dar.[14] Seiner für einen evangelischen Konfessionsraum entwickelten Komposition blieb Nieberlein treu und adaptierte sie in den Folgejahren insofern, als er sie mit anderen Themen kombinierte: In der katholischen Pfarrkirche zu Schechingen (1776) mit zwei Szenen aus dem Leben des Kirchenpatrons St. Sebastian sowie mit einer aus der Vita des Bruderschaftsheiligen; in der Wallfahrtskirche zu Schwenningen (1781) stellte er der Kreuzigung nur noch die Personifikation des Glaubens gegenüber und in der evangelischen Pfarrkirche zu Rechenberg (1781) reduzierte er die Dinkelsbühler Viererszenen auf die alttestamentliche Erzählung von Moses mit der ehernen Schlange.

[1]       Vgl. zum Themenspektrum ausführlich Kunz/Schumann Bildfunktion 2006, 252–266.

[2]       Zitiert nach: Luther Biblia 1551, 87f.

[3]       Laut der Analyse Friedrich Ohlys befasste sich Luther in seinen auf Deutsch verfassten Schriften alleine 33 Mal damit, und dies besonders in den 1520er-Jahren sowie vereinzelt bis zu seinem Tod 1546; vgl. Ohly Gesetz und Evangelium 1985, 9.

[4]       Passionspredigt Luthers aus dem Jahr 1521, zitiert nach ebd., 11.

[5]       Luther, zitiert nach ebd., 14.

[6]       Luther, zitiert nach ebd., 25. Vgl. zur Thematik auch Wirth Bilderkult 2000, 28–37, und Kunz/Schumann Bildfunktion 2006, 252.

[7]       Ohly Gesetz und Evangelium 1985, 25.

[8]       Ebd., 20f., 94–99 Anm. 52; für eine umfangreiche Zusammenstellung mit zahlreichen Abbildungen siehe Reinitzer Gesetz und Evangelium 2/2006.

[9]       Bereits im Œuvre Cranachs gibt es die Kombination der Themen, allerdings nicht in einer Bildtafel: Auf dem Flügelalter der Stadtkirche in Wittenberg von 1547 befindet sich das Abendmahl auf der Mitteltafel und die eherne Schlange auf der Außenseite eines der Flügel. Geöffnet ist das Gerichtsbild auf der Rückseite des Altars zu sehen und dieses wiederum korrespondiert mit der Opferung Isaaks auf der Außenseite des zweiten Flügels. Vgl. ausführlich hierzu Thulin Cranach-Altäre 1955, 9–32. Hier findet sich mit dem Kemberger Altar auch ein weiteres Beispiele solcher Kombinationen.

[10]      Vgl. Ohly Gesetz und Evangelium 1985, 26f.

[11]     Das Gemälde befindet sich heute in der Stadtkirche St. Marien in Dessau.

[12]      Vgl. Ohly Gesetz und Evangelium 1985, 46f.

[13]      Hier sind z. B. zu nennen der sogenannte Markgrafenbrunnen auf dem Schlossplatz in Bayreuth, die zerstörten Supraportenbilder im Berliner Stadtschloss oder die monumentalen Stuckfiguren von Johan Frederik Ehbisch und Carlo Maria Pozzi im Festsaal von Schloss Rosenborg in Kopenhagen.

[14]      1679 wurde die Kapelle des Schlosses Stetten im Remstal, das sich im Besitz der protestantischen Herzöge von Württemberg befand, im Auftrag von Magdalena Sibylla von Hessen-Darmstadt, der jungen Witwe des 1677 verstorbenen Herzogs Wilhelm Ludwig, mit einem religiös komplexen Bildprogramm ausgestattet. Fünf Jahre zuvor war im Zuge der Erweiterung des Bonn’schen Baus ebenfalls der Wintersaal stuckiert worden. An der Decke dieses Saals finden sich die vier Erdteile in Stuck ausgeführt. Allerdings wirkten sie sich keineswegs – wie z. B. in Ottobeuren anschaulich in den Fresken Spieglers zu sehen  – auf das Bildprogramm der Kirche aus. Auch wenn es sich um eine sehr frühe Übernahme in einem Sakralbau gehandelt hätte, wäre dies – wie die etwa zeitgleich entstandenen Erdteile in der Wallfahrtskirche von Mariazell zeigen – keineswegs auszuschließen gewesen.

Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.

1 - 2 von 2
Titel Art Zeitliche Einordnung
Dinkelsbühl (Ansbach), Heilig Geist Erdteilallegorien 1774-1774
Rechenberg (Schwäbisch Hall), Schlosskirche Erdteilallegorien 1781-1781

 

Forschungsplattform Erdteilallegorien im Barockzeitalter / Research Database Continent Allegories in the Baroque Age

Nirgendwo hat der Barock eine solche Dichte an Allegorien der vier Erdteile – Europa, Asien, Afrika und Amerika – hervorgebracht wie im Süden des Heiligen Römischen Reiches. In ihnen manifestieren sich die Vorstellungen des Barock von der Gestalt der Welt, ihrer politischen, sozialen und spirituellen Ordnung, vom Fremden wie vom Bekannten. Diese einzigartige Sammlung dokumentiert Darstellungen der vier Erdteile in Fresken, Stuck, Gemälden oder Skulpturen in ihren ursprünglichen Ausstattungskontexten. Baugeschichten sind ebenso erfasst wie Künstler und Auftraggeber.

Publikationen zum Projekt:

***

Allegories of the four continents – Europe, Asia, Africa, and America – were an extremely popular iconographic motive during the baroque era. It was most prevalent in the Southern Parts of the Holy Roman Empire. These allegories express/manifest/carry the imagination/conception/vision of the baroque of the shape of the world, its political, social, and spiritual order as well as of foreign and familiar things. This unique collection documents depictions of four continents in frescoes, stucco, paintings or sculptures in their place of origin. The historical contextualization contains the building history as well as artists and principals.

New publications:

Nutzungsbedingungen anzeigen
 

GRUNDLEGENDES

Die Datenbank „Erdteilallegorien im Barockzeitalter im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (Süddeutschland, deutschsprachige österreichische Erblande)“ entstand im Rahmen des Projekts „Diskurs- und kunstgeschichtliche Untersuchung von Erdteilallegorien“ [FWF P23980] an der Universität Wien, Historisch-kulturwissenschaftliche Fakultät, Institut für Geschichte. Die Nutzung der Datenbank unterliegt den im Folgenden genannten Bedingungen. Der Zugang zur Datenbank wird gewährt, sobald Sie die Nutzungsbedingungen akzeptiert haben.

Die Nutzungserlaubnis der Datenbank beinhaltet über das Lesen von Texten und Anschauen von Bildern hinaus die Möglichkeit, in der Datenbank für eigene Forschungsvorhaben zu recherchieren und eigene Statistiken auf der Basis der Daten unter Angabe der Quelle zu erstellen. Sämtliche Inhalte der Datenbank wie Texte, Karten und Bilder/Fotografien unterliegen den nachfolgend genannten Bedingungen. Kein Inhalt darf verändert werden.

 

BILDRECHTE

Für die Inhalte der Bilddatenbank (Texte, Karten, Bilder, Narrationen) gilt das österreichische Urheberrecht. Jegliche kommerzielle Nutzung ist untersagt. Sofern nicht anders angegeben, liegen die Rechte an den Fotografien bei den Fotografinnen und Fotografen des Projekts. Diesen liegen entsprechende Rechtseinräumungen (Fotografiererlaubnisse) der Besitzer der Objekte zugrunde. Downloads sind nicht erlaubt, die Bilder sind mittels einer Downloadsperre geschützt. Für allfällige Verwendungen außerhalb der Datenbank (z. B. Abbildungen in wissenschaftlichen Publikationen) sind die Rechte bei allen Rechteinhabern einzuholen. Ausgenommen hiervon sind Bilder mit Herkunft "Wikimedia Commons".

 

ZITIERBARKEIT

Bilder und Texte aus der Datenbank sind den üblichen Regeln entsprechend zu zitieren. Die zu zitierenden Angaben werden automatisch für jeden Text und jedes Bild generiert. Sie finden sich unterhalb jedes Beitrags in folgender Form:

  • Texte: [Autor/in, Titel, in: Name des Projektleiters: Titel des Projekts, Besuchsdatum, - <URL>]

Beispiel: Marion Romberg, Birnau (Bodenseekreis), Mariae Himmelfahrt, in: Wolfgang Schmale (Projektleitung): Erdteilallegorien im Barockzeitalter, Wien, besucht 15.09.2015, <http://erdteilallegorien.univie.ac.at/erdteilallegorien/birnau-bodenseekreis-mariae-himmelfahrt>.
 

  • Fotografien: [Fotograf/in, Titel, in: Name des Projektleiters: Titel des Projekts, Besuchsdatum, - <URL>]

Beispiel: Marion Romberg, Birnau (Bodenseekreis), in: Wolfgang Schmale (Projektleitung): Erdteilallegorien im Barockzeitalter, Wien, besucht 15.09.2015, <http://erdteilallegorien.univie.ac.at/bilder/birnau-bodenseekreis-mariae-himmelfahrt/birnau-bodenseekreis-5>.
 

  • Abbildungen: [Eigentümer/Aufbewahrungsort, Signatur/Inventarnummer, (Autor), Titel, in: Name des Projektleiters: Titel des Projekts, Besuchsdatum, - <URL>]

Beispiel: Cesare Ripa, Iconologia, Rom 1603, 335, Universitätsbibliothek Heidelberg, C 5456 A RES, in: Wolfgang Schmale (Projektleitung): Erdteilallegorien im Barockzeitalter, Wien, besucht 15.09.2015, <http://erdteilallegorien.univie.ac.at/bilder/iconologia-von-cesare-ripa/ripa-iconologia-1603-2>

 

Nicht ausdrücklich erlaubte und von keinem Tatbestand freier Werknutzung gemäß dem Urheberrecht, insbesondere nicht vom Zitatrecht umfasste Verwendungen von Inhalten der Datenbank sind nicht zulässig.

weiter

×