Dillingen an der Donau (Dillingen a. D.), Kolleg, östliches Treppenhaus Zitieren
Das östliche Treppenhaus liegt am nördlichen Ende des Ostflügels und gleicht in seiner Größe und Gestalt dem nördlichen Treppenhaus, das zwischen dem äußeren Westflügel und dem Nordflügel liegt, wie Christine Schneider in ihrer Dissertation bemerkt: „Der Grundriss beider Treppenhäuser ist annähernd quadratisch, die Stufenfolge gegenläufig mit einem Treppenabsatz auf halber Höhe. Auf den Eckbalustern der Treppengeländer stehen abwechselnd Kugeln oder Büsten. Die Flachdecken sind flächenhaft bemalt.“[1] Diese zeigen die Verherrlichung der beiden Ordensheiligen: im Osten die des heiligen Ignatius von Loyola, im Norden die des heiligen Franz Xaver, umgeben von den vier Erdteilen.
Das Geländer des Ostflügels ist wie im Nordflügel mit Halbfiguren geschmückt. Diese sind als Hermen ausgeführt und stehen jeweils auf einem der Geschosse oder Zwischengeschosse. Sie sind immer diagonal angeordnet, sodass sie beim Aufsteigen der Treppe immer am ersten Geländestab des Treppenansatzes auftreten. An den anderen Geländerecken sitzen gedrechselte Kugeln auf einfachen Eckpfeilern auf, die alternierend zu den Büsten auf den Volutenpfeilern auftreten. Da es insgesamt drei Stockwerke und somit drei Zwischengeschosse gibt, sind in jedem Treppenhaus insgesamt sechs Figuren angebracht, wodurch es zu Doppelungen von Erdteilpersonifikationen kommt. Das Geländer ist monochrom und holzsichtig, wobei das dunkle Holz lackiert ist.
Der erste Eckpfeiler im Erdgeschoss wird von einer Kugel bekrönt. Darauf folgt im ersten Zwischengeschoss am Treppenansatz ein Volutenpfeiler, bei dem sich im oberen Bereich ein Brustpanzer herausbildet und der von einem Helm mit Federn bekrönt wird. Unter dem Helm blickt ein bartloser Mann hervor, den die Rüstung als Europa (Europa I) identifizieren lässt. Im ersten Stock wird nochmals eine bartlose Personifikation Europas (Europa II) dargestellt, diesmal jedoch trägt sie eine antikisierende Rüstung und einen Lorbeerkranz auf dem Kopf. Darunter fallen lange Locken auf ihre Schultern und ihren Nacken. Auf die zwei Darstellungen Europas folgen zwei Personifikationen Asiens: Im zweiten Zwischengeschoss als ein Mann mit Perlen verziertem Turban und Oberlippenbart, dessen Gewand von zwei Knöpfen zusammengehalten wird und mit einem Stehkragen abschließt (Asien I). Auf ihn folgt im zweiten Obergeschoss eine weitere männliche Figur (Asien II) mit einem schlichten Gewand, das von einem Gürtel zusammengehalten wird. Dafür ist seine Physiognomie und Frisur umso auffälliger: Sein Oberlippenbart ist so lang, dass er über die Mundwinkel herabfällt. Seine Haare hat er bis auf ein längeres Haarbüschel am Hinterkopf abrasiert. Er erinnert mit seinem Äußeren an einen Hunnen oder an die Darstellung von Japanern. Über den beiden Vertretern Asiens begrüßt Afrika auf dem dritten Zwischengeschoss den Besucher. Dargestellt als männlicher Mohr mit einem Turban, den ein großer Stein über der Stirn bekrönt. Turban und Hals werden von einer Perlenkette geschmückt. Den Abschluss des Geländers bildet Amerika, hier in Gestalt eines bartlosen Knaben mit kurz gelocktem Haar und Federkragen, am oberen Ende des Volutenpfeilers.[2]
Am Ende der Treppe, frühestens am letzten Treppenabsatz, kann man die freskierte Flachdecke ganz übersehen. Dann öffnet sich der Blick – ähnlich wie beim Opaion des heiligen Franz Xaver – auf den Himmel, in dem der heilige Ignatius von Loyola unterhalb des strahlenumkränzten IHS-Monogramms schwebt. Parallel zum nördlichen Treppenhaus muss das Treppengeländer zusammen mit dem Deckengemälde gelesen werden, weshalb im Folgenden das Fresko eingehender erläutert wird.
Auf dem Deckengemälde wird Ignatius von zwei Engeln begleitet, von denen der linke hinter ihm ein Buch mit dem Ordensmotto „AD MAIOREM DEI GLORIA“ präsentiert, während der rechte ein Blitzbündel nach unten auf die am Rücken liegenden Gestalten mit einem Buch in der Hand herabschleudert. Es handelt sich dabei um Häretiker und Vertreter von Irrlehren.[3] Zugleich deutet der Engel mit seiner anderen Hand auf das Monogramm über ihm. Unter dem Ordensgründer stehen auf den obersten Stufen einer kreisrunden Öffnung vier weibliche Figuren, die den Blick entweder auf den Betrachter oder zum Heiligen nach oben wenden. Sie sind alle mit Attributen gekennzeichnet und folgen in ihrer Ikonografie dem Frontispiz einer Dillinger Thesenschrift.[4] Bei der linken Frau in dem einfachen gelb-blau-roten Gewand mit einem Palmzweig in der Hand handelt es sich folglich um Humilitas, die Demut.[5] Rechts neben ihr steht mit einer Krone bekrönt, in einem blauen Gewand mit goldener Bordüre und mit einem flammenden Herz auf ihre Brust gedrückt Caritas.[6] Rechts hinter ihr steht barfüßig in einem einfachen rötlichen Kleid und mit gelösten Haaren eine Geißel an ihre Brust schlagend Castitas, die Personifikation der Keuschheit.[7] Die letzte Figur in der rechten Bildhälfte greift aktiv ins Bildgeschehen ein. Sie trägt ein weißes Gewand mit einem roten Tuch, an ihrem Kopf sind zwei kleine Flügel angewachsen. In ihrer Rechten hält sie eine Kerze, in ihrer Linken hingegen einen Spiegel, der die Lichtstrahlen des IHS-Monogramms einfängt und auf die Erdkugel unter ihr lenkt, die daraufhin in Brand gesteckt wird. Es handelt sich hierbei um Origo amoris – „[d]er Liebe Ursprung“,[8] wobei der Ursprung der Liebe im IHS-Monogramm, also in Jesus selbst liegt.[9] Dabei nimmt diese Personifikation mit den Lichtstrahlen und der Fackel ein Thema auf, das durch die „phonetische Affinität“ des Namens Ignatius mit dem lateinischen Wort ignis, deutsch Feuer, dazu führte, dass „Lichtstrahlen, Feuer und Flammen zum festen Bestandteil der ignatianischen Ikonografie“ wurden.[10]
Zugleich ist die Origo amoris durch die Attribute des geflügelten Hauptes und des weißen Gewands als Inventio ausgezeichnet, womit sie auf Ignatius als Ordensgründer anspielt.[11] Die hier gezeigten Tugendpersonifikationen verweisen somit auf den Ordensgründer, der nicht nur Tugendvorbild und „Träger einer Dei et proximi amor“ ist. Vielmehr wird er auf dem Deckengemälde für seine Invention gefeiert, einen Orden gegründet zu haben, „der mit seinem apostolischen Auftrag das Feuer des Glaubens in die Welt“ zu tragen vermochte.[12] Diese apostolische Sendung wendet sich zum einen gegen die Häretiker, die hier vor dem Eintritt in die Bibliothek als Leser von Irrlehren gezeigt werden. Zum anderen wendet sich die Missionierung an die gesamte Welt, die es vom wahren Glauben zu entflammen gilt. Diese göttlichen Flammen treffen jedoch nicht nur die gemalte Erdkugel unter dem IHS-Monogramm, sondern im Zusammenspiel mit dem Deckengemälde und dem Raum auch die Erdteildarstellungen auf dem Treppengeländer des darunterliegenden Treppenhauses und zugleich alle Besucher, die die Stufen zu den Repräsentationsräumen[13] hinaufsteigen. Damit können die Büsten auf dem Treppengeländer als eine Fortsetzung des Deckengemäldes gelesen werden. Im Ostflügel treffen die göttlichen Strahlen und damit die Missionsbemühungen des Ordens die gesamte Welt. Im Nordflügel knüpfen die Büsten hingegen an die bereits im Deckengemälde huldigenden Erdteile an. Auf beiden Gemälden werden die Ordensheiligen, die auch mit Petrus und Paulus verglichen und als Säulen des Ordens bezeichnet wurden, im Kontext des Treppenhauses zu architektonischen Stützen des Baus, da sich über die Treppenhäuser die wichtigsten Kollegräume erschließen.[14]
Im Vergleich mit den beiden Treppenhäusern ist noch eine Besonderheit zu konstatieren: Handelt es sich um sechs Büsten pro Treppenhaus, also um zwölf insgesamt, so ist auffällig, dass Europa, Asien und Afrika jeweils zweimal auftreten und auch variantenreicher ausgestaltet werden. Amerika hingegen tritt nur einmal in jedem Treppenhaus auf. Auch ähnelt sich die Darstellung Amerikas als bartloser Jüngling mit Federkragen in den Ausführungen, was auf das jungen Alter des Kontinents schließen lässt. In Bezug auf die Missionsbemühungen in Übersee, die von der Societas Jesu stark vorangetrieben wurde, wird die Darstellung der Bedeutung dieses Erdteils diesen jedoch nicht gerecht, da der Jesuitenorden dort eine starke und erfolgreiche Missionstätigkeit zeigte.
[1] Schneider 2014, 58.
[2] Laut Schädler soll eine Büste „in der später eingezogenen Zwischenwand beim Bibliothekseingang im 3. Obergeschoß vermauert“ worden sein (KD Schwaben (Dillingen an der Donau) 6/1964, 334). Was dort dargestellt wurde, wird nicht näher erläutert.
[3] Vgl. Schneider 2014, 241.
[4] Bei der Thesenschrift handelt es sich um: Ferdinand Visler, Conclusiones physicae per aliquot principia philosophica explicata, Dillingen 1665. Der Kupferstich stammt von Bartholomäus Kilian und wurde nach einem Entwurf von Johann Christoph Storer gestochen. Vgl. Schneider 2014, 234; Appuhn-Radtke 2000, 338–339.
[5] Die Darstellung findet sich auf dem Fresko, da Demut und Humilitas zu den vornehmsten Tugenden des Ignatius gehört und in seiner Vita besonders hervorgehoben wird; vgl. Schneider 2014, 236.
[6] Schneider bezeichnet diese Personifikation auch als „Amor Die et proximi“, Schneider 2014, 239; vgl. ebd. Anm. 1243.
[7] Vgl. ebenda, 236, 239.
[8] ebenda, 236. Vgl. zur näheren Ausführung dieser Personifikation ebd., 237. Diese Figur ist von den drei anderen Tugenden abgerückt, da sie auf den Ursprung der Liebe aufmerksam macht und zugleich im Besitz derselben ist, wie die brennende Kerze anzeigt (vgl. ebd. 239).
[9] Vgl. ebenda, 234, 237.
[10] ebenda. Zur näheren Erläuterung und zur künstlerischen Umsetzung der Ähnlichkeit zwischen Ignatius und ignis siehe ebenda, 237–239.
[11] Vgl. ebenda, 241.
[12] ebenda.
[13] Vgl. ebenda, 245.
[14] Es handelt sich bei den Räumen um den Speisesaal, den Rekreationssaal und die Bibliothek. Vgl. ebenda. Zum Vergleich der jesuitischen Ordensheiligen mit den Heiligen Petrus und Paulus siehe ebd. 233.
Von oben nach unten:
- OG 3: Amerika
- ZG 3: Afrika
- OG 2: Asien II
- ZG 2: Asien I
- OG 1: Europa II
- ZG 1: Europa I
- EG: Kugel
Der Erhaltungszustand der Balusterfiguren ist unterschiedlich. Während einige unversehrt geblieben sind, weisen andere Beschädigungen vor allem im Nasenbereich auf. So sind einige Nasen abgeschlagen, auch Knöpfe am Gewand sind beschädigt. Nur eine Figur (Asien II) scheint so schwer beschädigt, dass ein Teil ihrer Gesichtshälfte fehlt.[1]
[1] Nach Christine Schneider sind die neuesten Bau- und Restaurierungsmaßnahmen „im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und im Staatlichen Bauamt Krumbach dokumentiert“ (Schneider 2014, 20 siehe ebd. Anm. 63).
Im Zuge der Neu- und Umbauarbeiten an den Kollegsgebäuden, die 1736 einsetzten, konnte ab 1737 mit dem Innenausbau und der Ausstattung der Säle am Nord- und Ostflügel begonnen werden. Bereits ein Jahr später, 1738 war das Kolleg fertiggestellt, allerdings waren damit die Arbeiten an der Innenausstattung noch nicht komplett abgeschlossen.[1]
Die Künstler, die für die Ausstattung der Treppenhäuser verantwortlich sind, können nicht eindeutig bestimmt werden – weder was die Treppengeländer noch was die Deckengemälde betrifft. So ist der Künstler der Deckenausmalung in den Treppenhäusern des Dillinger Kollegs bis heute unbekannt. Es wird vermutet, dass es sich bei dem Freskanten um Joseph Ignaz Schilling handelt, der auch die Bibliothek ausmalte.[2] Auch für die plastische Ausstattung der Baluster gibt es keine schriftlichen Belege über den Künstler. Die Arbeiten werden jedoch dem Bildhauer Johann Georg Bschorer und seiner Werkstatt zugeschrieben. Die Zuschreibung erfolgt zum einen aus stilistischen Gründen,[3] zum anderen entstanden die Treppengeländer um 1738 und damit zeitgleich zu den Bildhauerarbeiten in der Bibliothek, für die die Urheberschaft des Bildhauers Bschorers aus Oberndorf belegt ist.[4]
[1] Vgl. Schneider 2014, 38–39.
[2] Schilling war für Dillingen mehrfach tätig: So ist belegt, dass er das Deckenbild der Bibliothek ausmalte. Darüber hinaus wird ihm die Ausmalung der beiden Flachdecken in den Treppenhäusern zugeschrieben. Vgl. Schneider 2014, 39. Schneider weist auch darauf hin, dass es für diese Zuschreibung weder schriftliche noch stilistische Belege gibt. Sie geht davon aus, dass die Bilder Schilling zugeschrieben werden, da sie zeitgleich mit der Ausstattung der Bibliothek entstanden sein müssen. Somit bleiben „die meisten Künstler, die an den wandgebundenen Ausstattungen im Kolleg arbeiten, unbekannt“ (Schneider 2014, 49).
[3] Eine stilistische Ähnlichkeit konnte mit den „Figuren des Bibliotheksportals“ festgestellt werden, das etwa zeitgleich zu den Treppenhäusern entstand (KD Schwaben (Dillingen an der Donau) 6/1964, 333). Gudrun Sick hingegen schreibt Bschorer die Figuren im Treppenhaus und am Bibliotheksportal nach einem Stilvergleich ab. Darüber hinaus führt sie das Argument an, dass Bschorer ausschließlich christliche und keine mythologische Figuren in seinem Werk dargestellt hat (vgl. Sick 1995, 188–189). Andererseits handelt es sich bei den Erdteildarstellungen am Treppengeländer nicht um mythologische Figuren.
[4] So können zumindest die acht Figuren an der Bibliotheksnordwand eindeutig Bschorer zugeschrieben werden. Vgl. Schneider 2014, 39, 52.
Zuletzt aktualisiert am: 01.12.2015