Zwischen vertraut und barbarisch? – Die Präsenz des „Fremden“ im Dorf
In ihren Anfängen im 16. und 17. Jahrhundert fast ausschließlich ein Bestandteil herrschaftlich profaner Programme, vollzog sich zur Wende des 18. Jahrhunderts eine Wissenstransformation der Gestalten, dass lokal wirkende Künstler Werke der „Hochkultur“ sowie kunsttheoretische Nachschlagewerke rezipierten und eigenständig ikonographische Details innerhalb von Aufträgen in Dorfkirchen und Wallfahrtskirchen kopierten, modifizierten und neu kontextualisierten. Die „Sprache des Salons“ wandelte sich zu einer „Sprache des Volkes“.
Anders als andere Allegorien, erlaubt die Ikonographie dem Künstler, mit „exotischen“ und fremdländischen Versatzstücken an Orten außerhalb des profanen Bereichs zu spielen. Dies geschieht in einer Art und Weise, dass diese zum Transporteur von zusätzlichen, von der originär allegorischen Botschaft unabhängigen Informationen bzw. Vorstellungen zu Flora und Fauna, zu Mensch und Tier der einzelnen Kontinente wird: Das Fremde wird unmittelbar präsent in der Mitte der dörflichen Kirchengemeinde. Zu fragen ist allerdings, ob es sich bei diesen „volkstümlichen“ Erdteilallegorien nicht um ein nur scheinbar Fremdes handelt? Wie fremd erschien das Dargestellte einem Gläubigen im 18. Jahrhundert wirklich?
Haupeltshofen | 1767
Gegensatz zwischen Wild und Barbarisch - I
In der Wallfahrtskirche Mariae Himmelfahrt in Haupeltshofen setzt der Künstler Jakob Fröschle 1767 durch die Paarung Europa und Afrika direkt nebeneinander die barbarische Nacktheit Afrikas und die edle Gewandung Europas in krassen Gegensatz zueinander.
Berching | 1758
Gegensatz zwischen Wild und Barbarisch - II
Amerika - zentral und erhöht im Bild - ist nicht mit nur mit einem Leopardenfell ausgestattet, dessen lange Krallen über seinen muskulösen braunen Schultern liegen, sondern auch mit einer Elefantenexuvie, ein eigentlich typisches Attribut Afrikas.
Mussenhausen | 1756
Gegensatz zwischen Wild und Barbarisch - III
Hier dominiert zwar das Bild des edlen Wilden, aber er ist in rauer Landschaft platziert. Im Hintergrund kämpfen zwei Löwen. Zu seinen Füßen befindet sich noch eine Überbleibsel der Ikonographie des 16. Jahrhunderts: den Kopf eines enthaupten Mannes.
Kopf eines enthaupteten Mannes
Ein Überbleibsel der Ikonographie des 16. Jahrhunderts
Killer | 1778
Vertraute Kontexte
Trotz allem Fremdheitscharakter liegt dem Bild auch etwas Vertrautes inne. Die Anbetungshaltung aller verbindet die einzelnen Personen. Alle sind mehr oder minder stark in Liebe zu Gott entbrannt. Alle erweisen durch inbrünstige Bet- und Demutgesten ihre Ehre.
Dasing | 1756
Das Fremde in der konfessionellen Zugehörigkeit - I
In Referenz auf den Sieg der christlichen Seite im Schutze Mariens in der Schlacht von Lepanto wird dieser Triumph sowohl mit der Vernichtung der türkischen Flotte rechts im Bild und der Kapitulation bzw. Konvertierung des Repräsentanten Asiens verbunden, …
Dasing | 1756 (Fort.)
…als auch mit der Vernichtung und Verdammnis des Lasters, der Sünde und des Unglaubens, wie sie in der seitlichen Kartusche dargestellt ist. Ein Blitz ausgehend von einer der Engel im Zentralbild verbindet das Geschehen.
Herbertshofen | 1754
Das Fremde in der konfessionellen Zugehörigkeit - II
Die gleichen Parallelen: Links befindet sich der asiatische Vertreter, der anders als die anderen Erdteile nicht eine huldigende Pose einnimmt, sondern sich wie die rechts zu sehenden Vertretern des protestantischen Glaubens abwendet.
Niederleierndorf | 1791
Das Fremde in der konfessionellen Zugehörigkeit - III
Der in türkischer Tracht gekleidete Vertreter Asiens flieht dem Glanz des Marienmonogramms, indem er die Hand schützend vor sein Gesicht hält. Dies steht in der Tradition der Gegenüberstellung der eucharistischen Sonne und des osmanischen Mondes.
Witzighausen | 1740
Negation stereotypischer Merkmale - I
Eine Negation bzw. Aufweichung jeglicher stereotypischer Merkmale und somit Hierarchie herrscht in anderen Ausstattungskontexten vor. Es kommt zu einem Wegfall des Zivilisationsgefälles zwischen den einzelnen Erdteilen. …
Oberhausen | 1780
Negation stereotypischer Merkmale - II
…Der kannibalische Wilde wird zum edlen Wilden und schließlich zum gleichberechtigten Bruder bzw. Schwester wie bspw. in der Wallfahrtskirche Mariae Geburt in Witzighausen, von Christoph Thomas Scheffler 1740 oder St. Alban in Oberhausen von 1780.
Hurlach | 1763
Im Glauben vereint - I
Die Erdteile werden in Begleitung historischer Personen – Ortsgeistlichkeit, Kranke, Gläubige – dargestellt. Hierdurch findet zum einen der Gegensatz Fremd vs. Eigen auf besondere Weise Betonung, aber gleichzeitg wird er auch abgeschwächt, da die Vertreter Asiens, Amerikas und Afrikas mit Europa im Glauben vereint sind. …
Rettenbach | 1789
Im Glauben vereint - II
In dieser Kombination gelingt es in besonderem Maß die Repräsentation gottgewollter Ordnung und ihrer weltweiten Gültigkeit unter unmittelbarer Einbindung des Betrachters, sprich des Gläubigen zu präsentieren.
Scheer | 1748
Prägung von Denkbilder
Abhängig davon wie narrativ, wie barbarisch sprich wie ungewohnt sie gestaltet sind, stellten ihre exotischen Versatzstücke sichtbarer Pfeiler einer Evidenz des Fremden im Dorf dar, die das Denkbild eines Elefanten, Krokodils oder auch eines Indianers von manch einem Dorfbewohner sicherlich mitgeprägte.
Rosenkranzunterweisung
Wie Eltern ihre Kinder im Gebrauch des Rosenkranzes unterwiesen, das Bild eines Heiligen erklärten, so belehrte sicherlich auch der ikonographisch bzw. religiös Kundige die Unkundigen. Gegenstand solcher Unterweisungen waren sicherlich auch die Erdteildarstellungen mit ihren Attributen im Ausstattungsprogramm der Dorfkirche.