Mannheim (Mannheim), Schloss, Rittersaal Zitieren
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Die Stuckgehänge der vier Erdteile befinden sich an den Breitseiten des Saales. Sie sind der höheren Bedeutung des Raumes als Festsaal entsprechend stärker instrumentiert als die Bildfelder im Treppenhaus und besitzen eine Plastizität, die vom flachen Relief bis hin zu dreidimensionalen Elementen reicht. Dies bewirkt eine stärkere Konturierung durch Schattenzonen; ein Ausgleich zu den sie rahmenden Pfeilern der ionischen Ordnung aus rötlichem Stuckmarmor. Der größeren Breite der Bildfelder entsprechend sind sie von einer zarten Profilierung aus Bandelwerk gerahmt.
Auch auf diesen Stuckbildern sind Kriegstrophäen dargestellt. Sie werden von Bukranien mit Ringen im Maul gehalten, die von Zweigen durchflochten sind. Ihr besonderes Kennzeichen ist die Darstellung von Putten als Erdteilallegorien. Diese gelten ikonografisch als Begleiterin der Venus, der in der Architekturtheorie der Zeit die ionische Ordnung zugewiesen wurde[1] und passen daher zur gewählten Säulenstellung des Raumes.
Im Einzelnen sind über den zentralen Trophäenbündeln jeweils Putten mit Kopfbedeckungen und Kleidungsstücken der Bewohner der jeweiligen Erdteile zu sehen; eine Darstellungsweise, die erst im 18. Jahrhundert für Erdteilallegorien gebräuchlich wurde. Die ethnische Zuordnung der Putten erfolgt also über die Attribute.[2] Zu den zentralen Waffenbündeln treten im Rittersaal jeweils lebendig wirkende Schuppenpanzer nach dem Vorbild der Dekoration der Galerie d’Apollon im Pariser Louvre hinzu, einem Werk der offiziellen Hofkunst König Ludwig XIV.[3] Ein Paar anthropomorpher Trophäen schuf Egell 1730 auch für den Außenbau des Mannheimer Treppenhauspavillons.[4] Diese Waffenbündel werden jeweils von einem Putto europäischen Aussehens begleitet. Darunter befinden sich zusätzlich nochmals kleinere Waffenbündel, die von jeweils zwei Putten unterschiedlicher Ethnien umspielt werden.
Auf dem nordwestlichen Stuckrelief hat sich zuoberst ein Putto einen Helm mit Federbusch aufgesetzt, während sein Genosse den Schuppenpanzer vor einem Waffenbündel aus Rundschild, römischem Schild, Lanze und Heereszeichen im Zentrum mit einem Tuch poliert. Darunter stopfen zwei Putten eine Muskete; einer von ihnen mit afrikanischen Gesichtszügen und Kraushaar. Zusammen mit dem Trophäenhaupt eines Afrikaners als Abschluss ließe dies eine „Allegorie Afrikas“ oder des von den Spaniern kolonialisierten Südamerikas vermuten.
Dagegen zeigt der zuoberst auf dem nordöstlichen Stuckfeld abgebildete Putto mit Turban und Schleppe, dass es sich hier um eine „Allegorie Asiens“ bzw. des Osmanischen Reiches handelt. Darauf verweisen das Krummschwert, mit dem sich ein zweiter Putto beschäftigt sowie die Standarte mit dem Halbmond, die neben der eingerollten Fahne hinter dem Brustharnisch mit Beinschienen und Halsschutz zu erkennen ist. Ein trommelnder Putto mit asiatischer Physiognomie und das herabhängende Haupt eines kahlköpfigen Mannes mit seitlich herunterhängenden Bartenden und Haarbüschel lassen wie im Treppenhaus an die Türken denken.
Auf dem südöstlichen Stuckrelief ist die „Allegorie Südamerikas“ dargestellt: Ein Putto setzt sich einen spanischen Helm mit Federbusch auf, während er unter dem zweiten Arm ein Feldzeichen hält. Unter einer Fahne ist ein zweiter Putto vor einer Harnischtrophäe mit Beinschutz, spanischer Haube und Halsschutz abgebildet. Eine Trompete und zwei Flintenläufe gehören ebenfalls dazu. Ein Wimpel mit einem Mond, ein Heereszeichen mit Halbmond sowie ein Krummsäbel in den Händen des unteren Putto deuten wiederum auf die Türkenkriege hin, was auch das Trophäenhaupt mit Mühlsteinkragen und zwei Musketen nahelegt.
Das Ende der Reihe bildet die südwestliche Stuckfüllung mit der „Allegorie Europas“: zu erkennen an einem Putto mit Löwenmaske und prächtigem Helmbusch; ein Raubtierfell hängt an einem Zeremonialstab herunter. Hinter dem zentralen Brustpanzer sind mehrere Schilde angeordnet. Das Heereszeichen mit der Inschrift „SPQR“ und die Lanze mit dem europäischen Trophäenhaupt verweisen auf antike Traditionen; die dazugehörige Monstranz ist dagegen neuzeitlicher Herkunft. Ein tradiertes Attribut für Europa ist die Mauerkrone, die von einem Putto mit Schwert gehalten wird sowie die darumgelegten Palmen- und Weidenzweige. Dementsprechend trägt das abgeschlagene Kriegerhaupt die hageren Züge eines Europäers.
Insgesamt besitzt das allegorische Bildprogramm der Mannheimer Stuckaturen zwar einen weltumspannenden Charakter, ist jedoch in seinen Details erkennbar auf die Person des Bauherrn des Schlosses und seinen Kriegsruhm im Dienste des Kaisers zugeschnitten.[5]
[1] Lairesse, T. 2, 1730, S. 198.
[2] Kreuzer, RDK, Art. „Erdteile“, Bd. 5, Email–Eselsritt, 1965, Sp. 1159ff.
[3] Dautel, 2001, S. 111.
[4] Leibetseder, 2013, S. 49, Abb. 27.
[5] Leibetseder, 2013, S. 84-87.
Nordwestliche Breitseite des Saales: Allegorie Afrikas
Nordöstliche Breitseite des Saales: Allegorie Asiens
Südöstliche Breitseite des Saales: Allegorie Amerikas
Südwestliche Breitseite des Saales: Allegorie Europas
Infolge von Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg erlitten das Treppenhaus und die angrenzenden Räumlichkeiten schwere Zerstörungen. Nach dem Einsturz der Dachkonstruktion des Mittelbaus, lagen die Stuckbilder ab 1943 im Freien. Im Treppenhaus waren gravierende Schäden an Egells Stuckreliefs zu verzeichnen. Auch im Rittersaal fehlten Dach und Decke, jedoch bleiben die Stuckbilder größtenteils erhalten, während das nicht für die rahmenden Pilaster aus Stuckmarmor und Marmor galt.
1956/57 begann die Instandsetzung des Haupttreppenhauses, wo die Stuckaturen mehr als zehn Jahre lang dem Wetter ausgesetzt gewesen waren. Im Juli 1959 erfolgte die Fertigstellung des Haupttreppenhauses im Rohbau, wobei man auf bestimmte Ausstattungsmerkmale verzichtete. Egells Stuckarbeiten wurden von dem ortsansässigen Künstler Cornelius Vocke ergänzt und restauriert. Von den Egells Stuckaturen im Rittersaal wurden – höchstwahrscheinlich ab 1961 – „ein Drittel, im Treppenhaus etwa die Hälfte rekonstruiert.“ Die feierliche Wiedereinweihung des erneuerten Mitteltraktes wurde am 29. Mai 1961 im Rittersaal des Schlosses gefeiert.
In den Jahren 2005/2006 wurde anlässlich konservatorischer Arbeiten zur Wiedereröffnung der Beletage als Museum festgestellt, dass im unteren Wandbereich des Haupttreppenhauses noch umfangreiche Teile des ursprünglichen Putzes und Zierstuckes erhalten sind. Die Stuckreliefs von Paul Egell befinden sich heute in einem sehr guten Zustand.
Die Gestaltung der Putten besitzt ein unmittelbares Vorbild in einer Skulpturengruppe Egells, welche er in den Jahren 1718/19 für das Nymphenbad des Dresdener Zwingers schuf.[1] Darüber hinaus verweist das Auf- und Absteigen der Putti im Gehänge auf Grabmäler von Gianlorenzo Bernini als künstlerisches Modell, die Egell möglicherweise durch Zeichnungen dieses Künstlers im Mannheimer Kupferstichkabinett vertraut waren.[2] Eine weitere Anschauungsmöglichkeit für dessen Werke bildeten Giovanni Giacomo de Rossis Reproduktionsstiche römischer Kapellen und Altäre im Mannheimer Kupferstichkabinett.[3] So könnte vielleicht Berninis 1643 vollendetes Grabmal der Maria Raggi in S. Maria Sopra Minerva in Rom eine konkrete Anregung für Egell geboten haben.[4] Berninis Werke hielt auch Gilles-Marie Oppenord in seinen römischen Skizzenbüchern fest. Er war als Erster Architekt des französischen Regenten Philipp von Orléans, einem Sohn der an den französischen Hof verheirateten Liselotte von der Pfalz, eine feste Bezugsgröße für den Mannheimer Hof.[5] Zeichnungen dieses Künstlers bewahrte man ebenfalls am Mannheimer Hof auf.[6] Als direkte Vorbilder für die Gestaltung der Trophäengehänge kommen deshalb auch Bildhauer- und Ornamententwürfe von Oppenord in Frage: Ein Brunnenentwurf mit einer lebendig wirkenden anthropomorphen Trophäe als Bekrönung[7] und namentlich ein Entwurf für die Kaminachse der Galerie d’Enée im Pariser Palais Royal, der Residenz des Regenten. Dieser zeigt Paare spielender Eroten vor Gehängen von Wappenbündeln.[8]
Das Fußende von Egells Stuckaturen im Mannheimer Rittersaal bilden wiederum einzelne abgeschlagene Kriegerhäupter, eingebunden in Olivenkränze als Friedenszeichen.
[1] Leibetseder, 2013, S. 35, Abb. 12.
[2] Im Inventar von 1780 heißt es zu den Zeichnungen Berninis lediglich: „I Aus der römischen Schuhl, Grose Folianten, S. 2, Nr. 10 Von Bernini, Ein port de feuilles mit verschiedenen Stuck, 40 Stuck, Nr. 11 Von Bernini, Ein Einband mit römischen Antiquitäten, 78 Stuck, Nr. 12 fin dito, Nr. 13 fin dito, 62 Stuck, Nr. 14, Ein Einband mit verschiedenen modernen römischen Architecturen, 78 Stuck“ (HStA München, Geh. Hausarchiv, Abt. III, Nr. 67).
[3] Im Bibliothekskatalog von 1738 werden folgende Einträge verzeichnet: „Giacomo de Rossi: Il nuovo Teatro delle Fabbriche, et Edifici in prospettiva di Roma Moderna. 4to Roma 1665” (HStA München, Geh. Hausarchiv, Abt. III, Nr. 67.
[4] Wittkower, 42001, S. 262, S. 308.
[5] Krause, 1990, S. 82.
[6] Im Inventar von 1780 werden Zeichnungen von Oppenord aufgeführt: „Oppenord: Ein dito mit verschiedenen Zeichnungen, 111 Stuck” (HStA München, Geh. Hausarchiv, Abt: III, Nr. 67).
[7] Leibetseder, 2013, S. 101, Abb. 81.
[8] Leibetseder, 2013, S. 105, Abb. 88.
Zunächst wurden den üblichen Gepflogenheiten entsprechend Entwürfe auf Kartons angefertigt, die mit Vorlagen in Originalgröße umgesetzt und an Ort und Stelle auf die Wand gebracht wurden, wovon noch Spuren im oberen Bereich der Treppenhauswände zeugen. Dies gab dem Bauherrn die Möglichkeit, sich mit dem Hofarchitekten und Egell als ausführendem Künstler abzustimmen. Der Reihenfolge der Bauarbeiten folgend schuf dieser zunächst die Reliefs im Rittersaal (1728) und im Anschluss daran die Stuckbilder im Haupttreppenhaus (1729/30).
Zuletzt aktualisiert am: 01.05.2017