Wien (PB Wien), Elisabethinenkloster, Apotheke Zitieren
Auszug aus der Diplomarbeit „Die Welt in Österreich – 57 Beispiele barocker Erdteilallegorien“ von Marion Romberg (Wien, 2008):
Die allegorischen Darstellungen der vier Erdteile befinden sich nicht wie vielleicht erwartet im Hauptraum der Apotheke, sondern im dahinterliegenden Materialraum. Oberhalb der Verbindungstür von Hauptraum und Materialraum ist die Allegorie Europa angebracht. Im Uhrzeigersinn beziehungsweise in einer hierarchischen Rangfolge folgen in weiteren Lünetten an den Wänden Asien, Afrika und Amerika. Eine kleine Inschrift benennt jeden einzelnen Kontinent. Aufgrund ihrer Funktion einer Hausapotheke sowie der Anbringung der Erdteilallegorien in einem Nebenraum entfaltet dieses Beispiel im Gegensatz zu denen in Wallfahrtskirchen oder Festsälen keinerlei Öffentlichkeitswirkung. Folglich kann eine Zuordnung zum repräsentativen Typus bereits ausgeschlossen werden. Ein wissenschaftlich-didaktischer Anspruch kann dem Programm unterlegt werden, da „uns in dieser Weise klar gemacht wird“, so Anselm Weißenhofer, „wie der Apotheker Beziehungen zu den fernsten Ländern und Kenntnis ihrer Heilkräfte haben muß, um ein wohlsortiertes Lager von Medikamenten halten und in jedem Falle richtig zubereiten zu können.“[1] In Übereinstimmung mit der Raumfunktion als Materialraum sind die Erdteile mit verschiedenen Grundstoffen wichtiger Arzneimittel attribuiert.
Europa ist als eine männliche Personifikation dargestellt, die ruhend unter einem Baldachin aufmerksam den Ausführungen eines Mannes links von ihr lauscht. Das Thema scheint die Blume in ihrer linken Hand zu sein. Dieser Mann ist in einem schlichten Gewand mit einem Barett gekleidet. Mit seiner linken Hand umfasst er einen Stab sowie einen Korallenzweig. Eventuell könnte man in ihm eine Allegorie auf die Medizin sehen, da ihn und Europa Gegenstände und Ingredienzien aus dem Apothekenwesen umgeben: ein Mörser mit Stößel, Straußenei, Krebs, Hirschhorn, Blüten, Medizinflaschen. So genannte Krebsaugen[2] wurden etwa als Heilmittel gegen Augenleiden verschrieben. Eine Mischung aus „rothen Corallen, rothen gedörrten Eicheln, rothem Wein und gepülverten Krebsschalen“[3] empfiehlt der Eisenacher Arzt Christian Franz Paullini (1643–1712) in seinem Arzneimittelbuch Heylsame Dreck-Apotheke[4] gegen die „Rothe Ruhr“. Johann Heinrich Zedler berichtet, dass die pulverisierte Schale eines „Straussen-Ey“ gegen Nieren- und Blasensteine oder gegen die „lauffende Sicht“ helfen soll.[5] Die Heilmittel der Frühen Neuzeit waren nicht nur pflanzlicher, mineralischer und chemischer Herkunft, sondern ebenfalls menschlichen und tierischen Ursprungs.[6] Hierbei wurde auf Mittel aus der Antike sowie dem Mittelalter ebenso zurückgegriffen wie auf „moderne“ Arzneien. Überseeische Drogen und Pflanzengattungen wie Guajakholz, Tabak und Chinarinde, die im Verlauf der Entdeckungsfahrten auf den europäischen Heilmittelmarkt kamen, gewannen an Bedeutung.[7] So zählte die Wiener Arzneitaxe von 1744 um die 844 Arzneimittel, wovon die meisten auf Naturbasis hergestellt wurden.[8]
Die allegorische Darstellung Asiens wird durch einen bärtigen Mann in orientalischer Tracht verkörpert. Oberhalb der Inschrift Asia auf einem kleinen Sockel steht ein Weihrauchgefäß. Rechts davon an einem Postament ist ein Narwalzahn befestigt. Der Narwalzahn wurde traditionell als das Horn des Einhorns angesehen, auf dessen wundersame Wirkung gegen Gift geschworen wurde,[9] sei es hier in Form eines geschnitzten Bechers, der sich bei einem vergifteten Getränk verfärbte, oder in pulverisierter Form als neutralisierendes Gegengift. Der eigentliche Lebensraum des Narwals ist der Arktische Ozean, insbesondere Grönland, was im Barock durchaus bekannt war.[10] Trotz allem hielt sich jedoch im Volksmund immer noch Plinius’[11] Behauptung, dass die Heimat des Einhorns Indien bezeihungsweise Asien sei. Wie Weihrauch oder der Bezoarstein wurde der Narwalzahn wegen seiner reinigenden und schützenden Kraft äußerst geschätzt und war sehr kostbar.[12]
Als wichtigste Lieferung wurde bei der allegorischen Darstellung Afrikas der Zahn des Elefanten, also das Elfenbein, angesehen. In pulverisierter Form soll Elfenbein bei Cholera fiebersenkend oder gegen Schlafstörungen wirken.[13] Mit entblößtem Oberkörper, lediglich mit einer Federkrone und einem wallenden, roten, mit Perlen bordierten Tuch bekleidet, lauscht Afrika in liegender Haltung mit dem Rücken zum Betrachter den Erläuterungen einer weiteren Figur zur medizinischen Wirkungskraft des Elfenbeins, von dem aus die Assistenzfigur ein Exemplar mit der linken Hand umfasst und mit der Rechten auf weitere deutet. Der Künstler betonte hier wie auch bei Amerika insbesondere die negroide Physiognomie (dunkle Hautfarbe, kräftiger Körperbau, krause Haare), was bei Afrika nicht weiter erstaunlich, jedoch bei Amerika eher ungewöhnlich ist. Die männliche Personifikation Amerika präsentiert sich stehend, in Federrock, mit entblößtem Oberkörper, Schmuck und Federkrone. Mit Schlangen in seiner rechten Hand deutet er auf einen schwarzen Jungen, der eine Harpune hält. Schlangen wurden wie Kröten oder Schnecken in der frühneuzeitlichen Apotheke komplett in eine Vielzahl von Heilmitteln verwandelt. So galt Schlangenfleisch als wichtigste Ingredienz für das Universalheilmittel des 17. Jahrhunderts, der Theriaca coelestis[14].
Die Erdteilpersonifikationen im Materialraum der Spitalsapotheke der Elisabethinen in Wien nehmen nicht nur aufgrund ihres Anbringungsorts, sondern vor allem aufgrund ihrer Ikonografie eine Sonderstellung ein. Dass der Künstler mit dem ikonografischen Thema vertraut war, zeigen die Darstellungen Asiens und Afrikas im Vergleich zu Beispielen im Wiener Palais Leeb, in der Kirche des Stifts Vorau oder auch in der Hauskapelle des ehemaligen Jesuitenkollegs in Graz, in denen sich die bärtige, in orientalischer Tracht reich gekleidete, männliche Personifikation ebenso wiederfindet wie die dunkelhäutige, muskulöse, nackte Gestalt Afrikas. Insbesondere bei Asien, das anders als die anderen Erdteile nicht in einem wissenschaftlichen Disput mit seinen Assistenzfiguren eingebunden ist, wird durch Kleidung, Haltung und Rohstoffe (Narwalzahn und Weihrauch) der Reichtum des Kontinents betont. Weiterhin legt der Künstler keinen Wert auf eine klare Unterscheidung zwischen Amerika und Afrika. Die Ähnlichkeiten zwischen Amerika und Afrika beschränken sich nicht nur auf die Kleidung, sondern sind insbesondere physiognomischer und auch attributiver Art. Ohne Inschrift wäre die Personifikation Amerikas auch als eine Afrikas glaubwürdig, da hier alle traditionellen Attribute wie Bogen, Köcher, Pfeil, Alligator etc. fehlen. Die Schlangen sind eigentlich seit Plinius und Ripa ein geläufiges Attribut Afrikas. Sabine Poeschel folgert, dass diese Gleichgültigkeit hinsichtlich der eindeutigen Charakterisierung der Erdteile auf ein „nachlassendes Interesse“ und Begeisterung über die Erweiterung der Welt ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zurückzuführen ist und einzig die Anwesenheit der Kontinente wichtig sei.[15] Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung um die Mitte des 18. Jahrhunderts gehörte das ikonografische Thema der Erdteilallegorien in Österreich zu einem geläufigen und beliebten Sujet. Im vorliegenden Zusammenhang dienen die Personifikationen der Verdeutlichung der Vielfalt der angewendeten Zutaten und produzierten Heilmittel. Die Wahl der Attribute ist eindeutig durch die Funktion des Raums als Materialraum bestimmt.
[1] Weißenhofer 1944–1948, S. 360.
[2] Hierbei handelt es sich um „kleine rundliche Kalkabsonderungen aus dem Darmtrakt von Flusskrebsen“. Hartmann Kunstlexikon Online, Krebsaugenbüchslein.
[3] Paullini, Christian Franz, Heylsame Dreck-Apotheke, Frankfurt/Main 1734, S. 158, zitiert nach: Lux, Anne-Christine, Die Dreckapotheke des Christian Franz Paullini (1643–1712), Dipl.-Arb., Mainz 2005, S. 45f. (auch online).
[4] Paullinis Sammlung verschiedenster Rezepturen wurde erstmalig 1696 auf Deutsch veröffentlicht. Die Wahl der deutschen Sprache stellte zu einer Zeit, in der die überwiegende wissenschaftliche Literatur auf Latein verfasst wurde, eine Besonderheit dar. Paullinis Intention war die Schaffung eines Nachschlagewerkes unter anderem für „arme, insbesondere Bauern- und Landleute“ (1734, S. 263, zitiert nach: Lux 2005, S. 29). Weitere Erweiterungen folgten 1697, 1699 und 1714, wobei letztere die umfangreichste darstellte und 1734 und 1748 erneut aufgelegt worden ist. Vgl. ebenda, S. 29–30.
[5] Vgl. Zedler Lexikon 1731–1754, Bd. 40, S. 796f.
[6] Vgl. Schmitz, Rudolf, Geschichte der Pharmazie, Bd. 1, Eschborn 1998, S. 403–406.
[7] Für einen kurzen Überblick über Importgeschichte und Verwendung dieser Zutaten aus der Neuen Welt siehe Müller-Jahncke, Wolf-Dieter/Friedrich, Christoph, Geschichte der Arzneimitteltherapie, Stuttgart 1996, S. 70–74.
[8] Vgl. Granziner, Karl, Die Wiener Klosterapotheke und ihre Heilmittel, in: Schmidt/Beitl/Granzinger 1967, S. 15.
[9] Johann Heinrich Zedler bezweifelt zwar die Verbindung des Horns mit dem Einhorn aufgrund der Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Er folgert vollkommen schlüssig aus dem Widerspruch zwischen der Seltenheit des Einhorns und somit des Grundstoffes und dem kostengünstigen Angebot der Apotheker und des reißenden Absatzes der hieraus hergestellten Heilmittel. Trotz allen Zweifels stellt jedoch auch er die Existenz dieses Tieres nicht in Abrede. Vgl. Zedler Lexikon 1731–1754, Bd. 8, S. 560–562.
[10] Vgl. Zedler Lexikon 1731–1754, Bd. 8, S. 561.
[11] „Die Orsäer in Indien jagen […] als wildestes Tier aber das Einhorn (Unicornis), das sonst am Körper dem Pferde, am Kopf aber dem Hirsch, an den Beinen dem Elefanten, am Schwanz dem Eber ähnlich ist, dumpf brüllt, während ein zwei Ellen langes schwarzes Horn mitten auf der Stirne hervorragt.“ Plinius d. Ä. VIII S. 76.
[12] Vgl. Müller-Jahncke/Friedrich 1996, S. 51.
[13] Vgl. Schmitz 1998, 1, S. 404; Lux 2005, S. 54.
[14] Aus dem Griechischen übersetzt bedeutet der Name so viel wie „Arznei gegen Gift“. Es handelt sich um ein seit der römischen Antike verwendetes Heilmittel gegen Vergiftungserscheinungen. Eine Vielfalt an Ingredienzien ist notwendig. In der römischen Zeit waren es 50, dann im Dispensatorium des Valerius Cordus (1515–1544) waren es 64. Mit 184 Zutaten übertraf der barocke „Himmlische Theriak“ (Theriaca Coelestis) alle bisherigen. Vgl. Lux 2005, S. 26; Müller-Jahncke/Friedrich 1996, S. 40.
[15] Vgl. Poeschel 1985, S. 139.
1957 Restaurierung der Gewölbemalereien
Aus einem Eintrag im Gedenkbuch aus dem Jahr 1748 geht hervor, dass die Ausstattung der Räume der Klosterapotheke der „Großmut der Kaiserin Maria Theresia“[1] zu verdanken sei. Der Maler selbst bleibt im Dunkeln, jedoch laut Dehio Wien wäre dieser im Umkreis von Franz Anton Maulbertsch[2] zu vermuten.
[1] Eintrag im Gedenkbuch des Elisabethinenklosters zitiert nach: Weißenhofer 1944–1948, 361.
[2] Vgl. Dehio Wien 2, 1993, 50f.
Zuletzt aktualisiert am: 01.08.2018