Der Pfarrer von Scheer Franz Anton von Reichle wurde vermutlich 1695 in Überlingen[1] geboren. In seinen 1765 erschienenen Kirchengeschichtlich= und rechtliche Nachrichten von dem Rural=Kapitel in des Heil. Röm. Reichs=Stadt Reutlingen legt David Georg Berger als einziger das Geburtsjahr seines Zeitgenossen Franz Anton von Reichle auf 1695 fest.[2] Diese unbelegte Erwähnung wird durch die Tatsache untermauert, dass Reichle nachweislich 1769 sein goldenes Priesterjubiläum gefeiert hat. [3] Hierdurch muss er seine Priesterweihe 1719 erhalten haben. Unter Berücksichtigung seines Studiums der Theologie und Rechtswissenschaft, was er vor seiner Priesterweihe absolviert haben muss, war er zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre.[4] Aus einem Stiftungsbrief vom 30. März 1766, in dem Reichle ein Familienbeneficium „St. Anton-Kaplanei“ stiftet, geht hervor, dass er einen Bruder Franz Jakob hatte, der Bürger und innerer Rat in Konstanz war.[5]
Ein weiterer Fund in der Datenbank des Virtuellen Kupferstichkabinetts der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel belegt, dass Franz Anton Reichle ein Wappen geführt hat. Dieses hat sich als eine 89 x 76 Millimeter große monochrome Radierung in der 2441 Stücke umfassenden Sammlung des Freiherrn Gottlob von Berlepsch (1786–1877) überliefert.[6] Das Wappen ist geviert. Seine Felder sind diagonal symmetrisch angeordnet: Oben links und unten rechts sind ein aufrecht stehender Löwe im Profil mit Schild und Schwert dargestellt; die anderen beiden Felder enthalten jeweils drei Kugeln. Das Symbol des Löwen wiederholt sich im Helmzier, den ein geschlossener Stechhelm mit Wulst krönt. Letztere bezeugen den bürgerlichen Rang des Trägers. Im Panier steht geschrieben „Franz Antoni Reichle SS. Thiliae Licent.“.
Am 30. November 1734 nimmt er seine 36 Jahre dauernde Tätigkeit als Seelsorger in der Pfarrkirche St. Nikolaus zu Scheer auf. Aus dieser Periode stammen auch die meisten gesicherten Informationen. Er war Dekan von Mengen, ein Förderer des Bruderschaftswesens (s. Rosenkranzbruderschaft), Stifter zweier Benefizien[7] und Verfasser von „einige moral. und catechetische Schriften“, als der er 1771 Aufnahme in Otto Friedrich Hörners (1746–1781) Alphabetisches Verzeichnis oder Lexicon der itztlebenden schwäbischen Schriftsteller gefunden hat.[8] Insgesamt sind von ihm fünf Werke bekannt. 1734 veröffentlichte er sein einziges auf Latein verfasstes Werk: Compendiosa ac Universalis Notitia…. Bereits zwei Jahre danach ließ er wiederum beim Konstanzer Buchdrucker Leonhard Parcus (†1753)[9] einen Kleinen Catechismus, enthaltend die Warheiten des catholischen Christenthums drucken.[10] Acht Jahre später, 1752[11], veröffentlichte er den Grossen und allgemeinen Katachismus sowie einen Auszug aus dem Römischen Katechismus, der nicht nur als Lehrbuch für seine Amtskollegen, sondern – wie der Untertitel besagt – „auch zu leichterem Begriff der Jugend und Erwachsenen“ gedacht war. Demselben Ziel ist auch sein letztes bekanntes Werk zum Exorzismus Der triumphierliche Namen Jesu … verpflichtet, in dem er explizit betont, dass er es „zum Nutzen des Christlichen gemeinen Volks in deutscher Sprach verfasset, damit sich ein jeder Mensch dessen bedienen könne“. Seine Schriften wurden alle mehrmals aufgelegt (s. Schriften).
Weitere Berichte aus seiner Amtszeit, die Bleicher 1989 chronologisch in seiner Kirchengeschichte wiedergibt, zeigen Franz Anton Reichle als eine glaubensstarke, mildtätige, energische Persönlichkeit. So beschwerte er sich etwa 1736 darüber, dass die Bürger in Scheer es gar zu leicht mit dem „Schwören, Fluchen und Huren“[12] nähmen. Immer wieder kam es auch zum Streit mit den Stadtobrigen, sei es über die Pflegschaftsverwaltung 1736 oder Holzgerechtigkeit 1743.[13] Er scheute sich auch nicht diese bei Verfehlungen von der Kanzel aus anzuprangern.[14] Das letzte große Ereignis, über das wir informiert sind, ist das bereits erwähnte goldene Priesterjubiläum 1769. Kein Jahr später, am 6. Januar 1770, stirbt Reichle in Scheer.[15]
Das hier skizzierte Bild eines gebildeten, resoluten, wohltätigen und frommen Mannes erlaubt nun in Bezug auf die Kirchenausstattung die Vermutung, dass sich seine Rolle während des Umbaus nicht nur auf administrative Belange[16] beschränkte, sondern vor allem aufgrund seiner für einen Dorfpfarrer überdurchschnittliche Bildung sowie seiner Publikationstätigkeit sicherlich auch inhaltlicher Natur gewesen war.
Schriften:
- Compendiosa ac Universalis Notitia eorum quae tum ordinandis tum parochis ac animarum curatoribus scitu necessaria sunt ex varijs, probatisque auctoribus collecta a Francisco Antonio Reichle, Ss. Theol. Lic. Decano, ac Parocho in Scheer […] Constantia: apud Leonardum Parcus 1734. (wiederaufgelegt 1743 und 1759)
- Kleiner Catechismus, enthaltend die Warheiten des catholischen Christenthums: In 5 Theil abgetheilt: 1. Was man glauben. 2. empfangen. 3. halten. 4. begehren. 5. meiden u. wircken muß, Kostanz: Leonhardum Parcus 1744. (wiederaufgelegt 1750, 1758, 1769)
- Kurzer Auszug des Römischen Katechismus in Fragen und Antworten zu nützlichen Gebrauch aller Pfarrherren, auch zu leichterem Begriff der Jugend und Erwachsenen, Kaufbeuren: Neth 1752. (wiederaufgelegt 1768)
- Grosser und allgemeiner Catechismus : in sich enthaltend Die Wahrheiten des Catholischen Christenthums in fünf Hauptstück abgetheilt; I. Was man glauben, II. was man empfangen, III. was man halten, IV. was man begehren, V. was man meiden und wircken muß …; Mit sehr vielen Exempeln und Historien erkläret, samt angehängten zweyen kleinen Catechismus-Büchlein / Zum nützlichen Gebrauch … in öffentlichen Druck gegeben Von R. D. Franc. Ant. Reichle …. - Augsburg, 1752.
- Der triumphierliche Namen Jesus, das ist: Allgemeines, unfehlbares, und kräftiges Hilfs=Mittel, Durch welches ein jeglicher katholischer Christ […] und die Seinigen von allen Unheil bewahren, allen Anfall des bösen Feinds abtreiben, […] ja gar den leidigen Teufel selbsten vermittelst des allerheiligsten Namen JESUS verjagen und überwinden kan. Zum Nutzen des Christlichen gemeinen Volks in deutscher Sprach verfasset, damit sich ein jeder Mensch dessen bedienen könne, Costanz: Parcus, 1729. (wiederaufgelegt 1753, 1761, 1775)
[1] Vgl. Krießmann 1950, Dekanat Saulgau, 36
[2] Beger 1765, 62.
[3] Bleicher 1986, 210.
[4] Es handelt sich hierbei um das Mindestalter. Vgl. Hersche 1/2006, 275.
[5] Vgl. Bleicher 1986, 210.
[6] VKK „Wappen des Franz Anton Reichle“. Die Sammlung kam noch zu Lebzeiten des Sammlers 1875 nach Wolfenbüttel; s. http://www.hab.de/wir/presse/pressemitteilungen/2011-10-25-exlibris.htm [5.9.2012].
[7] 1766 Familienbeneficiat „St. Anton Kaplan“ (Bleicher 1986, 210); 1769 Stiftung für Bürgerskinder. Bleicher 1986, 116.
[8] Der in Heroldingen lebende Hörner gab zwar in seinem Untertitel „aus des ber. Herrn Prof. Hambergers in Göttingen Gelehrtem Deutschlande gezogen, mit vielen Zusätzen vermehret und einer Vorrede begleitet“ Hambergers „gelehrtes Teutschland“ (1768–1770) als Quelle an, jedoch ergänzt er dies um eigene Funde. So findet Reichle auch im Hambergers 2. Abschnitt (J-S, 1768) keine Erwähnung und wird erst im Nachtrag der 3. Auflage von 1778, die nach dem Tod Hambergers 1773 von Johann Georg Meusel zusammengestellt wurde, erstmals aufgenommen. Der Untertitel zum Gelehrtes Teutschland oder Lexicon der jetztlebenden teutschen Schriftsteller ist irreführend, da Reichle bereits seit 1770 tot ist. vgl. Hörner (Nördlingen: Beck) 1771, 174; Hamberger 1768; Meusel 1778, 396; Volckamer 1980, 51. Alle Ausgaben Meusels finden sich digitalisiert bei Google Books. Eine Übersicht findet sich online unter: http://www.v-kleist.com/FG_allg/Google/gelehrtesTeutschland.htm
[9] Reske 2007, 499.
[10] Vgl. Bleicher 1986. 195.
[11] Bleicher 1986, 209.
[12] Bleicher 1986, 192.
[13] Bleicher 1986, 192, 194.
[14] Bleicher 1986, 192, 195.
[15] Unter Signatur Dep. 30/1 T 3 Nr. 2059 im StA Sigmaringen findet sich das Testament des Pfarrers Franz Anton von Reichle, 1770, mit Lacksiegel und Unterschrift. Nachfolger wird Franz Pfleghaar, der erst am 1. November 1770 seine Stelle antritt.
[16] Hier geben die Quellen einen kleinen Einblick: So forderte er bei Scheerer Bürgerschaft „die für den Kirchenbau erforderlichen Fuhr- und Handfronen“ ein. Auch beklagte er sich 1746 über „verstohlene Handwerksleute“, die immer wieder „etliche Gerüststangen, Blei, Gerüstbretter und Eisenklammern“ gestohlen hätten. Vgl. Bleicher 1986, 114, 195.
Zuletzt aktualisiert am: 27.02.2016