Kirchdorf (Unterallgäu), St. Stephan Zitieren
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Umgeben von den christlichen Tugenden Glaube, Liebe, und Hoffnung, ergänzt durch die der Frömmigkeit, leuchtet in den Kartuschen im oberen Teil des Chorfreskos das allerheiligste Altarsakrament der Sonne gleich am Firmament. Es wird von der Allegorie der Ecclesia im Triumph auf einer goldenen Biga, verziert mit drei der vier Evangelistensymbolen (Mensch, Stier, Löwe) und den päpstlichen Insignien (Tiara und Schlüssel Petri), hochgehalten. Über dieser Szene und als wesentlicher Teil fliegt die Taube des Heiligen Geistes, links vom Wagen hält ein Engel seitlich ein geöffnetes Buch der Personifikation der Kirche entgegen. Im rechten Bildhintergrund erstrahlt ebenso hell auf einem Berg das Haus Gottes, ein Zentralbau. Im Vordergrund – im unteren Teil des Freskos – hinter einer Balustrade auf einer Terrasse werden, vergleichbar zu Bildkompositionen des Jüngsten Gerichtes, die Seligen links und die Verdammten rechts dargestellt. Während Letztere an ihrer Kleidung sowie den Schriftstücken als Vertreter des protestantischen Glaubens zu identifizieren sind und durch einen Strahl der Eucharistie quasi in die „Hölle“ vertrieben werden, werden die Seligen durch die Vertreter der vier Erdteile repräsentiert und knien huldigend auf der Terrasse vor einer riesigen graublauen Erdkugel.
Zuvorderst ist die weibliche Personifikation Europas in einer tiefen Verbeugung versunken. Sie trägt ein wallendes Kleid, dessen Saum mit edlen Goldstickereien verziert ist; die Schleppe wird von einem Pagen getragen. Dieser ist als einziger nicht von der eucharistischen Präsenz am Himmel gebannt, sondern sucht keck den Blick des Betrachters. Auf ihrem Kopf trägt Europa eine Mauerkrone, eine Reminiszenz antiker Stadtpersonifikationen wie der Roma und Vorläufer der Europaallegorie. Vor ihr auf einem Kissen ruhen die Insignien weltlicher Herrschaft: eine Krone und ein Szepter. Direkt hinter ihr stehen die anderen drei Erdteile vor einer Dschungellandschaft. Der männliche Repräsentant des Orients repräsentiert sich würdig in Physiognomie und Habit als solcher. Er trägt ein goldenes Untergewand und darüber einen blauen Kaftan mit rotem Innenfutter und Goldstickereien. Auf der Brust glänzt eine Sonnenscheibe. Sein Gesicht dominiert ein „Mongolenbart“. Auf dem Kopf trägt er einen Turban, an dessen Stirnseite der osmanische Mondstern prangt. Er hat den Blick nach oben auf das Himmelsphänomen gerichtet, die Arme – Segnungen empfangend – zur Seite gestreckt.
Im Gegensatz zu den prachtvoll und reich gekleideten Vertretern des Westens und Ostens werden die Bewohner Afrikas und Amerikas zwar mit bloßem Oberkörper und halbfigurig dargestellt, allerdings genauso in ekstatischer Verzückung mit himmelnden Blick und die Hände – als Ausdruck ihrer entflammten Liebe – fest auf das Herz gedrückt. Amerika als nächster in der Reihe zeigt sich mit Federn auf Kopf und am Oberarm sowie einem Köcher voller Pfeile. Afrika, die zweite weibliche Vertreterin neben Europa, kontrastiert durch ihre schwarze Hautfarbe sowie ihren fantastischen Kopfschmuck: eine mit Perlen verzierte Elefantenexuvie. Ein grüner Umhang wird durch ein diagonal über ihre Brust verlaufendes Band gehalten.
Für weiterführende Informationen zur Kombination der Erdteilallegorien mit dem Allerheiligsten Altarsakrament in Anwesenheit protestantischer Gläubiger siehe in der rechten Seitenleiste den Glossarbegriffe „Bekehrung über Ausgrenzung“.
Von West nach Ost:
LANHAUS
- nördliche Seitenbilder:
- Hl. Augustinus
- Maria als Rosenkranzspenderin an Kranke und Leidende – Spruchband: SALUS INFIRMORUM[1]
- Hl. Ambrosius
- Mittelbilder:
- Hl. Stephan als Märtyrer in Glorie
- Verteidigungsrede des heiligen Stephan – (Signatur: Johan. Enderle inv. et pinxit 1753)
- Auffindung des Leichnams des heiligen Stephan – Inschriftenkartusche: Da S. Stephaus Leib erheht ist worden, seind sehr vil Kranckhe frish und gsund worden
- südliche Seitenbilder:
- Hl. Hieronymus
- Maria als Fürbitterin vor dem zürnenden Jesus Christus, verherrlicht von den Heiligen Dominikus und Franz von Assisi – Inschriftenkartusche: HOC TIBI SOLA SALUS[2]
- Hl. Gregor
CHOR
- nördliches Seitenbild: Hoffnung
- Mittelbild:
- Glaube
- Verherrlichung des allerheiligsten Altarsakraments durch die vier Erdteile [Signatur: Enderle p: 1754]
- Liebe
- südliches Seitenbild: Frömmigkeit
[1] Die 1971 von Heinrich Habel erwähnten Unterschrift „Das Marienpsaelterlein | Aller Kranken Heil wird sein!“ ist heute nicht mehr sichtbar. vgl. Habel 1971, 154.
[2] Auch das Pendant zur nördlichen Unterschrift „Das Marienpsaelterlein | Gottes Strafe stellet ein“ ist verschwunden. vgl. ebenda.
1909 Innenrenovierung
1968 Außenrenovierung
1978 und 1980 Außen- und Innenrenovierung: Freilegung eines Malereifragment an der nördlichen Chorwand, entstanden um 1500?
1995/1996 Außen- und Innenrenovierung
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (266):
Als Vorlage für Enderles Komposition in Kirchdorf diente ihm das Chorfresko seines ehemaligen Meisters Franz Martin Kuen in Fischach. Enderle übernahm die Komposition im Chorfresko der Kirche St. Martin in Kirchdorf fast originalgetreu.[1] Ihm gelingt es allerdings, die Identität der Repräsentanten noch stärker als in Kuens Ausführung herauszuarbeiten. Dies erreicht er, indem er das „Bubengesicht“ von Kuens Asia dem Türkenbild – wie man es seit dem Porträt Süleymans I. aus dem Umkreis Tizians in unterschiedlichster Weise rezipiert findet – anpasst: markantere, herbere Gesichtszüge, ein Spitzbart, der Turban geschmückt mit dem Mondstern. Auch die Attributierung Amerikas erweitert er, indem er der Figur klassisch einen Köcher voller Pfeile auf den Rücken schnallt. Für die Afrika, die zwar Kuens Typus entspricht, zieht er ein anderes Vorbild heran: Keine drei Jahre vor Kirchdorf malte sein Onkel Anton Enderle diese mit Perlen geschmückte und eine Elefantenexuvie tragende Personifikation in der Pfarrkirche St. Peter in Tapfheim.[2] Vis-à-vis der Afrika findet sich auch Johann Baptists Asia-Vorlage. Nur die Europa lässt er im Wesentlichen unverändert.
[1] Kirchdorf war Enderles zweiter selbstständiger Freskoauftrag. Sein erster Auftrag findet sich unweit von Kirchdorf in Hochwang. Allerdings ist die Ausmalung im Chor und Langhaus der Hochwanger Kirche bedauerlicherweise nur noch in den Kartuschenbildern im Original erhalten (vgl. ausführlich Dasser Enderle 1970, 117). Das heute zu sehende Thema Verherrlichung des Erlösers durch die vier Erdteile ist keineswegs ein Produkt Enderles, sondern beide Hauptbilder sind Werke des Münchner Malers Sebastian Wirsching. 1902 hat sich Wirsching zur Komposition seines Hochwanger Chorfreskos auf die zeitnahe Umsetzung Enderles in Kirchdorf besonnen und hier die Erdteile entnommen und sie mit dem Gekreuzigten kombiniert. Inwieweit es sich hierbei um das ursprüngliche Thema handelt, ist unklar.
[2] Anton Enderle wiederum ließ sich in seiner Komposition von Johann Georg Wolckers Fresko in der Wallfahrtskirche zu Deubach von 1740 inspirieren. Siehe hierzu ausführlicher è VII 2.1.2. Möglich wäre auch, dass Johann Baptist den Afrika-Typus während seines Studiums in Augsburg in den Werken von Wolcker, Günther oder Bergmüller, dem eigentlichen „Autor“ der Typenidee (s. auch Anm. 935), gesehen hat. Zwar ist Johann Baptists Studium in Augsburg nicht belegt, allerdings ist der Einfluss der Augsburger Akademie beziehungsweise Bergmüllers nicht zu verkennen. Vgl. Dasser Enderle 1970, 17.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Zuletzt aktualisiert am: 06.07.2018