Retz (PB Hollabrunn), St. Pöltner Stiftshof Zitieren
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Im Zentrum des ikonografischen Programms steht das große Deckenfresko. Es stellt die Verbindung von Apoll und Fortuna in einer sehr narrativen allegorischen Szene dar. Das Thema ist nicht leicht zu identifizieren: Apollo, Gott der Wahrheit, Prophezeiung und Kunst, ist eindeutig am Strahlenkranz um sein Haupt, an Lorbeerkranz und Lyra zu erkennen. Hingegen sind Fortunas Attribute, das Schicksalsrad und die Weltkugel, so in die Szene eingebettet, dass sie nicht sofort als ihr zugehörig zu identifizieren sind.
Die Göttin des Glücks und des Schicksals thront im Bildzentrum. Aus einem Füllhorn ihrer Seite ergießen sich goldene Früchte und blühenden Blumen in die Falten ihres Kleides. Die Weltkugel, Symbol ihrer umfassenden Herrschaft, liegt neben ihrem linken Fuß. Hier ist sie ein großer Globus im gedrechselten Holzgestell, ein Putto ist mit einem Zirkel darauf zugange. Im Hintergrund türmt sich ein großes Rad auf, fast droht es einen Teil der Gruppe zu überrollen. Dies ist das Schicksalsrad, das nur Fortuna nach ihrem unvorhersehbaren Entschluss anhält oder weiterdreht.
Fortuna entzieht sich durch Drehung ihres Körpers dem zupackenden Arm eines wilden Mannes, der sie ungestüm zu umfassen sucht. Dies versinnbildlicht die Unmöglichkeit das Glück mit Gewalt zu bezwingen. Während Fortuna sich dem gewaltsamen Zugriff lächelnd entwindet, bietet sie gleichzeitig mit ausgestrecktem Arm einer Figur auf der rechten Seite goldenes Geschmeide dar. Es handelt sich unverkennbar um einen Arzt am Krankenbett, er steht im Begriff einer kranken Person den Puls zu nehmen. Die Figur des Arztes wendet sich in halber Drehung zu Fortuna und blickt über die Schulter zu ihr zurück, als wäre er eben noch ganz von ihr abgewandt gewesen und nur mit seiner Aufgabe beschäftigt. Dies spielt auf die sprichwörtliche Unberechenbarkeit des Glücks an: Es fällt dem zu, der gar nicht danach getrachtet hat. Gleichzeitig steht die Heilkunst auch unter dem Patronat Apollos, sodass hier die Verbindung von Glück und Wissen und die Begünstigung des einen durch das andere sinnfällig werden. Hinter dem Rücken des Arztes ist, halb verdeckt, eine kleine Männerfigur mit rundem Gesicht zu sehen. Sie trägt einen schwarzen Dreispitz und einen grauen Rock, ein weißes Jabot ziert die Brust, in der Hand hält sie einen Stock mit goldenem Knauf. Möglicherweise handelt es sich hier um eine Verkörperung des Handels oder des wohlhabenden Bürgertums, dessen Reichtum ebenso auf Glück und Voraussicht beruht.
An die Knie Fortunas schmiegt sich Cupido mit verbundenen Augen, gleichermaßen Liebesglück und Zufallsbestimmtheit der Liebe anzeigend. Den Vordergrund rechts besetzt ein Feldherr in Kürass und rotem Mantel, mit gezogenem Hut und Feldherrnstab. Es ist dies wohl auf Kriegsglück und Feldherrenkunst bezogen. Gemeinsam mit dem Globus kann die Figur auch als Allegorie auf weltliche Herrschaft, auf das Agieren von Fürsten und Staaten verstanden werden. Auch hier wirken die Prinzipien des Glücks und der Voraussicht gleichermaßen bestimmend.
An der rechten Seite Fortunas steht Apoll im roten Umhang und Lorbeerkranz. Das ideale Verhältnis der Weisheit zum Glück und die Verbindung zwischen Kunst und Glücksempfinden finden Ausdruck in ihren ineinander verschränkten Händen und in der gegenseitigen Hinwendung der Körper.
Unter den wehenden roten Mantel Apolls kauert eine in sich zusammengesunkene Gestalt, auf dem Boden vor ihr liegen Würfel und Spielkarten. Dies ist ein deutlicher Verweis auf die gefährlichen Unwägbarkeiten des Glücksspiels, die sich der Voraussage entziehen. Als Pendant auf der anderen Seite der Szene sind einige Putti beim harmlosen Kugelspiel zu sehen. In diesem kindlichen Vergnügen regiert Fortuna im Gegensatz zum Hasardspiel auf harmlose Art und Weise. Am Himmel über der Figurengruppe schwebt ein geflügelter Putto. Er hält einen Ehrenkranz in Händen, aber seine Gestik und Mimik drücken Ratlosigkeit aus. Hier sind die Unwägbarkeiten von Ruhm und Ehre versinnbildlicht.
Den Hintergrund des Bildes nimmt eine parkähnliche Landschaft ein, die durch eine in der Mitte aufragende Mauer in zwei Hälften geteilt ist. Links sind Brunnen und eine See- oder Teichfläche zu sehen, rechts öffnet sich ein weiter Landschaftsausblick. Diese zwei gegensätzlichen Ansichten veranschaulichen nochmals die ambivalente, dualistische Beziehung zwischen den von Apoll und Fortuna vertretenen Prinzipien.
Es ist dies ein gelehrtes Programm, dessen aufklärerischer Gehalt einen angemessenen Rahmen bildet für heitere Feste gelehrter Gesellschaft. Der universalistische Anspruch, der in dem Deckenfresko deutlich wird, genauso wie sein spielerischer Gestus, findet ihren Widerhall in der restlichen Ausstattung. Medaillons in der Mitte der mit Rankenornamenten verzierten Gewölbekehle sind den vier Elementen gewidmet, jeweils versinnbildlicht durch spielende Putti. Die vier Jahreszeiten sind durch farbenfrohe Gewächse in den Ecken des Deckengewölbes vertreten. An den Längswänden stehen einander in Lebensgröße männliche Allegorien der vier Erdteile gegenüber. Europa ist ein Herrscher in voller Rüstung, ein Putto reicht ihm auf einem Kissen die Insignien geistlicher und weltlicher Macht: Tiara, Krone und Zepter. Asien ist ein schnurrbärtiger Mann in Turban und orientalischer Kleidung. Er schwingt ein Räucherfass, ein Putto mit Kelch seinen Beinen hervor. Ein Halbmond rechts hinter seiner Schulter weist auf den Islam hin. Europa gegenüber befindet sich Afrika, dargestellt als Mann mit afrikanischen Gesichtszügen. Er ist in ein weites Gewand gehüllt, auf dem Haupt ein kleiner Turban, die rechte Hand stützt sich locker auf einen ungespannten Bogen. Der ihn begleitende Putto trägt einen Papagei wie einen Jagdvogel auf der Faust. Amerika tritt im Federkostüm auf (Krone und Rock), ein mit Perlen gesäumter Lederkürass bedeckt den Rumpf. Aus einer Falte des lose um die Hüften geschlungenen Mantels fallen Perlen zu Boden. Ein Putto müht sich, den Sonnenschirm über Amerikas Haupt hoch zu halten. In dieser Amerikaallegorie wird also der nach damaligem Verständnis barbarische Charakter der Neuen Welt genauso sichtbar wie ihre Reichtümer.
DECKE
- zentrales Fresko: Fortuna und Apoll
- Ecken (Stuckrelief, bemalt): die vier Jahreszeiten
- NO: Frühling (Rosen)
- SO: Sommer (Getreidegarbe)
- SW: Herbst (Efeu)
- NW: Winter (Zweige)
- Gewölbekehlung (Stuckrelief): die vier Elemente
- östl. Fensterfront: Feuer
- Südwand: Wasser
- westliche Fensterfront: Luft
- Nordwand: Erde
WÄNDE (Fresken)
die vier Erdteile
- Nordwand:
- ganz links: gemalte zweiflügelige Türe
- links: Europa
- Mitte: Blumenvase
- rechts: Asien
- Südwand:
- links: Amerika
- Mitte: Blumenvase
- rechts: Afrika
Im Hauptfresko (rechts unten, gegenüber der Signatur Mathiowitzʼ) findet sich ein Restaurierungsvermerk: „Rest. 1972 L.P.“
Trotz der langen Nutzung des Saales durch die Schule sind die Fresken in leidlich gutem Zustand.
Zuletzt aktualisiert am: 24.02.2016