Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (279–286):
Johann Baptist Enderle ist zu den bedeutendsten und produktivsten Künstlern Bayerisch-Schwabens zu zählen.[1] Bis zu seinem Tod am Ende des Betrachtungszeitraumes 1798 führte er 61 Freskoaufträge in Kirchen, Schlössern und Klöstern aus, die sich vor allem um Donauwörth, entlang der Donau, auf den Westen sowie auf den Süden des Untersuchungsgebietes verteilen; hinzu kommt noch eine Vielzahl von Altarbildern.[2] Die Werke in der Hochphase seines Schaffens zeigen seinen innovativen Geist wie auch den souveränen, selbstständigen Umgang mit Vorbildern. In den 1750er- und 1760er-Jahren schuf er überwiegend Werke innerhalb von Dorf- und Wallfahrtskirchen, in der Regel zwei, manchmal sogar drei pro Jahr. In den 1770er-Jahren wurde er durch die Vermittlung der Wettenhausener Chorherren an den Rhein und an den Neckar berufen. So kam es, dass man heute auch Werke von ihm in Oberndorf am Neckar sowie in Mainz und Umgebung findet.[3]
Interessante Einblicke in seinen Umgang mit den von ihm sehr geschätzten Erdteilallegorien stellt der nach Herbertshofen folgende kleine Auftrag des Wettenhausener Propstes Augustin Bauhof im Jahr 1755 dar. In der Patronatskirche St. Stephan in Limbach experimentiert er mit anderen Vorbildern, die sein Erdteilrepertoire ergänzen sollten. Enderle greift hier auf die Stiche von Gottfried Bernhard Göz, Johann Georg Bergmüller und Johann Christoph Storer zurück (siehe ausführlich Datenbankeintrag zu Limbach). […] Letztlich wird in Limbach Enderles „Emanzipationsstand“[4]um 1755 sehr deutlich, den Karl Ludwig Dasser wie folgt charakterisiert:
„Enderle sieht die Fresken noch nicht von einer Gesamtschau her, der er alles unterordnet. Er baut vielmehr aus gekonnt gemalten Einzelteilen ein Bild zusammen, in dem er alles bisher Gelernte anzuwenden versucht.“[5]
Ein einheitliches Bild gelingt ihm vier Jahre später in der Pfarrkirche von Schwabmühlhausen, seinem erstem großem Freskoauftrag. Dort ist er erstmals nicht in der Lage, eine bis dato bereits standardisierte Lösung (zentrales Bildmotiv mit einzelnen Figurengruppen) einzusetzen, sondern aufgrund der detaillierten Vorgaben der Konzeptoren musste er ein neues Kompositionsschema (basierend auf C. D. Asam, M. Günther, J. Anwander) entwickeln, das er in anderen Werken (wie in Fünfstetten, 1756, oder in Hochheim am Main, 1775) erfolgreich wieder anwenden sollte.[6] Auch im Hinblick auf die Erdteile fällt Schwabmühlhausen aus der Reihe und bleibt sowohl in Enderles Œuvre als auch innerhalb des gesamten freskalen Erdteilbestandes einzigartig.
In seinen anderen Erdteilkompositionen setzt Enderle immer wieder auf bewährte Typen und kombiniert sie in unterschiedlicher Weise. Die Limbacher Disharmonie durch Bergmüllers Afrika ist wohl auch ihm nicht verborgen geblieben, da er diesen Typ nie wieder verwendet. Stattdessen zieht er bevorzugt die Stichvorlage von Göz[7] heran, die er in Gänze oder zu Teilen (Sontheim, Wettenhausen, Hochheim am Main, Lauingen) übernimmt, und tauscht dessen Afrika durch den Kirchdorfer Typus mit Elefantenexuvie und Perlenschmuck aus (Mussenhausen[8], Sontheim, Buggenhofen). Dieser Typus, den er wohl über Wolckers Œuvre kennengelernt hat, ist auf eine Bildidee von Matthäus Günther zurückzuführen,[9] in dessen Arbeiten man diesen Afrikatyp mit Elefantenexuvie und Perlenschmuck bereits 1734 in der Wallfahrtskirche zu Aich, 1737 in der Klosterkirche zu Rottenbuch und 1748 in der Pfarrkirche zu Altdorf findet. Das Altdorfer Programm war wohl auch Enderle bekannt.[10] Denn das Langhausfresko der Wallfahrtskirche von Buggenhofen, das Enderle 1769 malte, stellt in großen Teilen eine getreue Kopie des Langhausfreskos in Altdorf dar.
[…]
Johann Baptist Enderle malte seine Erdteile zu einem Zeitpunkt, als die süddeutsche Rokokomalerei und auch die Abbildung von Erdteilallegorien in vollster Blüte standen. Er konnte auf eine große Bandbreite existierender Vorbilder zurückgreifen. An diesen orientierte er sich zwar zweifelsohne zum Teil recht eng, nichtsdestotrotz adaptierte und kombinierte er sie selbstständig für die gegebenen Rahmenbedingungen. Enderles Art der Bilderzählung ist paradigmatisch für die Fabulierkunst süddeutscher Maler. Was Karl Ludwig Dasser für Enderles Stilemanzipation resümierend feststellt, trifft umformuliert auch auf die Entwicklung der Erdteilikonografie im Gesamten und besonders in der Verwendung innerhalb von Dorfkirchen zu: Ging es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch um ein Suchen nach neuen Möglichkeiten, so war es nun „das Verarbeiten des Überkommenen in immer wieder neuen Variationen und die Ausbildung des eigenen Stils, um den vielseitigen und zahlreichen Wünschen der Auftraggeber gerecht zu werden“[11].
[1] Seit dem umfassenden Aufsatz von Rudolf Weser zu Anton und Johann Baptist Enderle aus dem Jahr 1917 trugen neben Einzelstudien die Künstlermonografie von Karl Ludwig Dasser von 1970 und der Ausstellungskatalog von 1998 zum 200. Todestag Enderles in Donauwörth zum heutigen Bild eines produktiven und vielseitigen Künstlers bei. Vgl. Weser Enderle 1917; Dasser Enderle 1970; AK Donauwörth Enderle 1998. Einzelstudien und Ergänzungen sind: Weser Oberndorf am Neckar 1918, 1–26; Reuschel Sammlung 1963; Knorre Rezension Dasser 1973, 321–324; Müller Lauingen 1993, 204–257; Oehler Großbayern 1993, 77–99; Pötzl LKR Augsburg 1997; Weißenhorn Zaisertshofen 1998, 261–304; Eckermann Augustinerrezeption 2001, 145–170; Seitz Hochwang 2001, 393–407; Paula Anmerkungen 2002, 466–482; AKL Enderle, Johann Baptist 33/2002, 535; Verhoeven/Lehmann/Hefele Hochheim am Main 2008; Müller Lauingen 2008, 123–134.
[2] Für ein Verzeichnis siehe Werkverzeichnis zusammengestellt von Otmar Seuffert in AK Donauwörth Enderle 1998, 29–33.
[3] Mit Ausnahme der Augustinerkirche in Mainz, der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Hochheim am Main und der Klosterkirche von Oberndorf haben seine Arbeiten in der ehemaligen Jesuitenkirche St. Ignaz in Mainz, in St. Georg in Mainz-Kastel und im Konvent des Oberndorfer Augustiner-Chorherrenklosters nicht überdauert.
[4] Seine ersten selbstständigen Werke der Folgejahre sind noch lange von Kuens stilistischem Einfluss geprägt. Johann Baptist Enderle emanzipiert sich in seinen Frühwerken langsam von seinen Lehrern, indem er zu seinem für ihn typischen Stil kommt, der durch Fabulierfreudigkeit, Volkstümlichkeit und Lebhaftigkeit der Bilderzählung und helle, duftig differenzierte Farben gekennzeichnet ist. Vgl. ausführlich Dasser Enderle 1970, 15–22.
[5] Dasser Enderle 1970, 17.
[6] Vgl. ebenda, 34.
[7] Insbesondere aus dem druckgrafischen Motivvorrat von Gottfried Bernhard Göz, nicht nur bei den Erdteilallegorien, bediente sich Enderle zeitlebens. In fast jedem Werk findet sich ein Motiv, das auf eine Stichvorlage von Göz zurückgeht. Vgl. ebenda, 77.
[8] Zwar liegen in der Wallfahrtskirche Unser Lieben Frau vom Berg Karmel andere räumliche Bedingungen vor, da die Erdteile in Einzelspiegeln dargestellt sind und das Chorfresko umgeben. Nichtsdestotrotz folgen sie dem gängigen Typus Enderles.
[9] Bzw. Bergmüller.
[10] Karl Ludwig Dasser vermutet, dass Enderle entweder das Programm selbst gesehen hat, als er 20 Kilometer nördlich die Pfarrkirche in Ketterschwang ausgemalt hatte, oder ihm ein Stich als Vorlage gedient haben mag. Während vom Altdorfer Chorfresko sowohl ein Stich im Würzburger Kupferstichkabinett als auch ein Entwurf in der Staatlichen Sammlung Aschaffenburg erhalten sind , sind vom Langhausfresko keine Aufzeichnungen erhalten. Ein Verlust ist im Bereich des Möglichen, allerdings erscheint mir aufgrund des Detailreichtums des Vorbildes und des hohen Übereinstimmungsgrades eine persönliche Kenntnis des ausgeführten Werkes in Altdorf wahrscheinlicher.
[11] Dasser Enderle 1970, 77.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Zuletzt aktualisiert am: 28.10.2015