Franz Joseph Spiegler gehörte neben den Gebrüdern Asam, Zimmermann, Göz oder Bergmüller zu den bedeutendsten Künstlern des schwäbischen Hochbarock, die nachfolgende Malergenerationen durch ihr Wirken maßgeblich beeinflussten. In zahlreichen Einzelstudien und Gesamtdarstellungen ist sein Leben heute dokumentiert. Als Grundlage für die folgende Kurzbiografie diente im Wesentlichen die 2007 von Michaela Neubert publizierte jüngste Künstlermonografie zu Franz Joseph Spiegler.[1]
Als sechstes Kind des Gerichtsschreibers und Landgerichtsprokurators Johann Franz Spiegler (1655–1692) wurde der spätere Maler Franz Joseph am 5. April 1691 in der Freien Reichstadt Wangen im Allgäu geboren. Seine Mutter war die Bürgermeistertochter Anna Maria Bapst (1656–1716).[2] Bereits ein Jahr nach seiner Geburt verstarb sein Vater, und seine Mutter heiratete 1695 den Maler Adam Joseph Dollmann. Die Forschung vermutete, dass dieser zwar Spieglers künstlerisches Talent erkannt hatte, aber eher sein Großonkel[3], der bayerisch-kurpfälzische Hofmaler Johann Caspar Sing (1651–1729) ihm anfangs Lehrer und Meister war. Ein Aufenthalt in München ab circa 1706[4] ist bislang nur durch eine Notiz des kurfürstlichen Hofrats und Hofbibliothekars Andreas Felix von Oefele (1706–1780)[5] – “spiegler, so zu Riedlingen wohnt, er war hir beym sing, hat vihl in Ottobeuren gemahlt […][6] – belegt. In seiner gemäß der Münchner Zunftordnung vorgesehenen sechsjährigen Lehrzeit[7] begleitete er Sing, der seit 1700 Hofmaler des Bayerischen Kurfürsten war, wahrscheinlich auf seinen verschiedenen Reisen durch Bayerisch-Schwaben, das Alpenvorland, Niederbayern und die Oberpfalz.[8] Sing war zwar in erster Linie Tafelmaler,[9] verfügte aber auch, wie ein Deckengemälde aus den 1680er-Jahren in der Münchner Residenz zeigt,[10] über Kenntnisse der Deckenmalerei und vermittelte somit seinen Schüler die ersten Grundlagen, die er innerhalb verschiedenster Aufträge in der Zusammenarbeit mit anderen Meister dieses Metiers erweiterte und perfektionierte.
Nach Abschluss seiner Lehre begab sich Spiegler 1712 auf die ebenfalls vorgeschriebene dreijährige Wanderschaft, in der er sich als Geselle verdingen sollte. Wichtige Hinweise seiner Reiseroute liefern die Rechnungsbücher der Grafen von Wolfegg, in deren Auftrag Spiegler zwischen 1712 und 1723 verschiedene Fassmalereien und Vergoldungen an Stuckrahmen anfertigte. In dieser Zeit verorten ihn persönliche wie auch berufliche Verpflichtungen in Aulendorf (1715/16), Dürmentingen (1716), Bad Waldsee und Bad Wurzach (1722).[11]
Erstmals als Tafelmaler und eigenständiger Künstler tauchte er 1718 in einem Auftrag für ein heute zerstörtes Tafelbild des Zisterzienserklosters Zwiefalten auf. Bis zu seinem ersten freskalen Werk 1723 in Maria Thann schuf er weitere Gemälde für die Pfarrkirche St. Bartholomäus in Erisdorf (1721), die Kapelle St. Joseph zu Bronnen (1722) sowie für die Zisterzienserabtei Salem (1721). Die Ausmalung der Grablege der Familie zu Syrgenstein in Maria Thann ist heute nur noch in seinen Nebenfresken erhalten, das Hauptfresko mit der Darstellung des letzten Abendmahls ist verloren. Gleich darauf 1725 betraute ihn der Ottobeurer Abt Rupert II. Neß (reg. 1710–1740), der wie er aus Wangen im Allgäu stammte und hauptverantwortlich für den Neubau der Klosteranlage zwischen 1711 und 1731 war, gleich mit fünf Aufträgen innerhalb des Klostergebäudes.[12] Deren Vollendung erbrachte ihm zum einen den Ruf eines Malers, der „in fresco zuemahlen virtuos sein solle“[13], zum anderen kam er dort in Kontakt mit einer Vielzahl von Künstlern unterschiedlichster Herkunft. Spiegler konnte das Schaffen von Künstlern wie des Konstanzer Barockmalers Jacob Carl Stauders (1694–1756), Johann Baptist Zimmermanns (1680–1758) oder des Venezianers Jacopo Amigoni (1782–1752) persönlich studieren. Diese Erfahrungen prägten nachhaltig sein künstlerisches Schaffen als Freskomaler.[14] Insgesamt schuf Spiegler laut Michaela Neubert bis zu seinem Tod am 15. April 1757 in Konstanz[15] „72 Tafelbilder, unzählige Fresken an 21 Anbringungsorten und 32 bislang bekannt gewordenen Ölskizzen“[16], und dies nicht nur auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Gebietes, sondern auch auf eidgenössischem Territorium[17]. Als Freskant war er ausschließlich für Klöster beziehungsweise überwiegend innerhalb von Klostergebäuden tätig (s. Werkverzeichnis). Einerseits arbeitete er in seinen Werken häufig mit denselben Künstlerkollegen zusammen,[18] andererseits beschäftigte er auch immer wieder Lehrjungen und Mitarbeiter, die nur in einzelnen Fällen identifiziert werden können.[19] Sein erster Lehrjunge Franz Anton Erler (1700–1745)[20] ist bereits kurz nach Erhalt von Spieglers Meistertitel für das Jahr 1718 in den Wolfegger Rechnungsbüchern dokumentiert.[21] Des Weiteren sind unter anderem folgende Gesellen und Mitarbeiter namentlich bekannt oder können mit Spiegler in Verbindung gebracht werden:[22]
- Johann Konrad Wengner (~1718–1806), Mitarbeit seit circa 1745, davor Lehre bei Johann Jakob Kuen in Weißenhorn, 1762 Heirat der ältesten Tochter Spieglers
- Anton Morath (1718–1783), Mitarbeit 1752–1754
- Johann Caspar Kohler (1698–1747) aus Saulgau; Mitarbeit eventuell seit 1726
- Johann Georg Messmer (1715–1798), Lehre und Mitarbeit seit 1735[23]
- Andreas Meinrad von Au (1712–1792), eventuell Lehre Ende vor 1735
- Joseph Hölz eventuell Schüler und Mitarbeiter 1747
Privat lebte er nach seiner Heirat am 12. November 1726 mit seiner Frau Maria Rosa Wehe (1706–1772)[24] und seinen drei Kindern in Dürmentingen,[25] von 1727 bis 1752 in Riedlingen und dann bis zu seinem Tod 1757 in Konstanz.[26] Während seine älteste Tochter Maria Anna einen früheren Gesellen Spieglers und den späteren Konstanzer bischöflichen Hofmaler Johann Konrad Wengner (~1718–1806) und seine zweite Tochter Maria Josepha den „Hausarzt“[27] der Familie namens Kolb zu Radolfszell heiratete, wendete sich der letztgeborene Sohn der Rechtswissenschaft zu, arbeitete für das Reichsstift Salem, für die Grafen Köngisegg zu Aulendorf[28] und als Gesandter im Schwäbischen Kreis und war Verfasser verschiedener Schriften.
Die Ikonografie der vier Erdteile gehörte von Beginn zu seinem Repertoire. So malte er diese bereits 1725 in Ottobeuren und 1726 in Schloss Bronnbach; dann erneut 1739 im Treppenhaus des Klosters Sankt Peter im Schwarzwald und 1749 in der Vierung der Klosterkirche zu Zwiefalten. 1742 führte er sie einmalig auf einem Altargemälde der dem Kloster Ochsenhausen inkorporierten Pfarrkirche St. Urban in Reinstetten aus.
[1] Die erste Monografie stammt aus dem Jahr 1952 von Eva Pohl, danach 1976 von Karl Heinz Schömig und schließlich 1991 von Raimund Kolb. Einen umfassenden Überblick über Forschungsstand, Quellenmaterial sowie Publikationen bietet Neubert 2007, 13–21 (s. auch Rezension von Hosch 2007 und Hecht 2008).
[2] Vgl. Neubert 2007, 22.
[3] Vgl. zur verwandtschaftlichen Beziehung Zumsteg-Bruegel 1978, 258–297; Seib 1993, 61.
[4] Im Alter von 15 wird in der Regel eine Lehre begonnen. Von Raimund Kolb wird eine vorausgegangene unbelegte Lehre von 1705 bis 1708 beim Vater beziehungsweise beim Wangener Maler Judas Thaddäus Sichelbein (1684–1758) angenommen, allerdings verkürzt er dadurch die vorgeschriebene sechsjährige Lehrzeit der Münchner Malerzunft auf drei Jahre. Michaela Neubert folgt Kolb hier nicht, sondern sieht Spiegler bereits ab 1706 bei seinem Großonkel. Vgl. Kolb 1991, 293; Neubert 2007, 22–24.
[5] Oefele war ein Vetter des Malers Joseph Esperlin (1721–1797), der unter anderem Ende der 1740er-Jahre bei Joseph Ignaz Wegscheider in Riedlingen gewesen sein soll und 1770 zum 1. Professor der Akademie für bildende Künste in München berufen wurde. Für eine ausführliche Kurzbiografie von Andreas Felix von Oefele siehe ADB 24/1887, 162–165 sowie für eine Charakterisierung aus der Feder Wolfgang Amadeus Mozarts (1756–1791) in: Messerer 1976, 147 Anm. 3. Vgl. auch Wust/Langheiter 2005, 54.
[6] Oefele, 5, Bd. V, fol. 363, zitiert nach: siehe Seib 1993, 35, Anm. 34.
[7] Vgl. Gernhardt 1937, 32f.; Haenert 1956, 115ff.; Stürmer 1979, 155ff.
[8] Vgl. zum Werk Sing siehe Seib 1993.
[9] Hier zeigen sich auch die größten Einflüsse Sings auf Spiegler. Vgl. Seib 1993, 62–70.
[10] vgl. CdbM 3,2/1989, 275–277, 288, VI 1–6, Abb 289.
[11] Für das Jahr 1712 ist der Ort „Hopfenbach“ vermerkt. Hierbei könnte es sich laut Michaela Neubert einerseits um den bei Wangen gelegenen väterlichen Heimatort Opfenbach oder andererseits auch um den auf dem Hoheitsgebiet des Fürststifts Kempten gelegenen Ort Hopferbach handeln. Allerdings ergab eine Internetrecherche, dass auch ein Dorf in der Nähe von Bad Schussenried den Namen „Hopferbach“ trägt. Plausibler erscheint eine Identifizierung entweder mit Opfenbach oder mit dem zum Prämonstratenserkloster Schussenried gehörenden Hopferbach, da Ersterer in der Nähe seiner in Wangen lebenden Mutter und Geschwister liegt und Letzterer später zu den Auftraggeber Spieglers zählte. Darüber hinaus malte auch sein Lehrer Sing keine fünf Jahre später, 1717, für die Klosterkirche St. Magnus das Hochaltargemälde. Vgl. Neubert 2007, 24, 55–57; Leo-BW „Hopferbach“.
[12] Zwar nicht durch Signatur, aber durch das Tagebuch des Abts, das er von 1714 bis zu seinem Tod geführt hatte, ist die Tätigkeit Spieglers für 1724/1725 in Ottobeuren belegt: sog. Geheime Archiv des Abtes Rupert II., Kuppelfresko; Theatersaal, Deckenfresken; im Westtrakt die Erdgeschossanlage, Gewölbefresken und das nördliche Treppenhaus im Westflügel, Deckenfresko; sog. Bonifatius-Zimmer, Deckenfresko. Vgl. Neubert 2007, 97–113.
[13] Dies schrieb P. Vincentius Würth, Konventuale des Benediktinerhospiz Mengen, an den Abt Blasius III. von St. Blasien am 14. März 1726, zitiert nach: Neubert 2007, 577. Für das Kloster Sankt Blasien war Spiegler zeitgleich zu Ottobeuren in Form von Tafelbildern (heute zerstört) sowie sogleich im Anschluss in der Ausstattung des Festsaals und der Schlosskapelle des Propsteigebäudes der Abtei in Bonndorf im Schwarzwald tätig.
[14] Ausführlicher siehe Hosch 1993, 124–129; Neubert 2007, 124–127 und 179–182.
[15] Spiegler und seine 15 Jahre nach ihm verstorbene Frau wurden in der Kirche St. Johann in Konstanz begraben. Vgl. Neubert 2007, 32.
[16] Neubert 2007, 11. 2011 hat Peter Stoll noch ein Altargemälde mit dem heiligen Benedikt in der Kirche SS. Petrus und Paulus von Herdwangen dem Künstler zugeschrieben, das von Michaela Neubert unerwähnt bleibt. Vgl. Stoll 2011, 1–6.
[17] Wie etwa die Ausmalung der Prioratskapelle des Benediktinerklosters St. Blasien im Schwarzwald in Sion (Kt. Aargau) oder Altarbilder für das Benediktinerkloster zu Engelberg (Kt. Obwalden), 1733/34 und zu Muri (Kt. Aargau) 1746. Für Letzteres hatte er bereits 1742 ein Hochaltargemälde für die dem Kloster Muri inkorporierte Pfarrkirche St. Petrus in Dettingen (Lkr. Freudenstadt). Vgl. Booz 1964/65, 297; KD Schweiz 1/2005, 96; KD Schweiz 2/2005, 370f; Neubert 2007, 29.
[18] Spiegler hat mit den Stuckateuren Joseph Anton Feuchtmayer (1696–1770) und dessen Cousin Joseph Michael (1709/1710–1772) des Öfteren zusammengearbeitet. Mit Ersterem führte er Werke 1729/30 in Salem, 1732 und 1734 in Engelberg, 1737 in Mainau, 1747 in Habsthal und Altheim aus. Dem Jüngeren, dem er auch laut Bruno Bushart seinen letzten Auftrag in Säckingen verdanken soll, ist er in Zwiefalten 1747–1753 und in Säckingen 1752–54 begegnet. Vgl. Bushart 1975, 66.
[19] Im Dunkeln bleiben die Gesellen der Aufträge für St. Blasien und Sankt Peter im Schwarzwald 1726/1727 sowie 1735 im Zusammenhang mit dem Angebot Spieglers zur Ausmalung der Wolfegger Pfarrkirche. Vgl. Mühleisen 1977, 50–93; Neubert 2007, 90.
[20] Dieser malte 1728 im Nordtreppenhaus der Abtei Ottobeuren die Kuppel mit einer Darstellung der Verherrlichung Maria Immaculata durch die vier Erdteile aus und stach seinen Lehrmeister 1735 im Wettbewerb um die Ausmalung der Wolfegger Pfarrkirche St. Katharina aus. Vgl. ThB X/1914, 607; AKL XXXIV/2002, 399; Neubert 2007, 138–140.
[21] Vgl. Neubert 2007, 25.
[22] Vgl. hierzu besonders Hosch 1990, 45–54; ders. 1993, 130–155.
[23] S. Kurzbiografie von Joseph Anton Messmer.
[24] Sie war die Tochter des Kastenvogts von Dürmentingen und späteren Landamtmanns von Hohentengen.
[25] Insgesamt waren es elf Kinder. Allerdings starben bereits sechs im Kindesalter: Johann Joseph Fidelis (‡1729), Franz Josef Anton Fidelis (1733–1735), Markarius Franz Joseph Balthasar (‡1735), Maria Franziska Bibiana (1736–<1752), Maria Antonio Margarita (1738–1739), Karl Joseph Anton (1739–1740), Georg Joseph Anton Mansuetus (1741–1746), Josef Leopold Andreas (1743–1746). Die anderen Kinder – ein Sohn und zwei Töchter – waren Maria Anna, vereh. Wengner (1727–1782), Maria Josepha, vereh. Kolb (*1730), Franz Josef Wilhelm (1746–1809). vgl. Pohl 1952, 231, Anm. 102 und 103; Kolb 1991, 298–300.
[26] Ein Grund seines Umzugs könnte in den Streitigkeiten Spieglers mit dem Magistrat der Stadt Riedlingen gelegen haben, an dessen Spitze seit 1744 sein Malerkollege Joseph Ignaz Wegscheider (1704–1758) stand. Gegenstand des Streits waren Darlehen und Zinszahlungen, die Spiegler der Stadt 1734 und 1740 gewährt hatte. Vgl. Neubert 2007, 28–31.
[27] Archivalisch ist die Ausstellung von Rezepten für „den Vater seeliger“ dokumentiert. Vgl. Kolb 1991, 299.
[28] Ihm folgte im Dienst der gräflichen Familie als Rat und Oberamtmann Meinrad Messmer (1777–1798), Sohn des Malers Joseph Anton Messmer (1747–1827). Dessen Vater Johann Georg Messmer (1715–1798) war wiederum seit circa 1735 Mitarbeiter in Spieglers Werkstatt. Vgl. Zumsteg-Bruegel 1978, 267f., 273f.; Kolb 1991, 299.
Zuletzt aktualisiert am: 20.05.2016