Kirchhaslach (Unterallgäu), Unserer Lieben Frau [Krippe] Zitieren
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (166 Anm. 631 und 358 Anm. 1266):
In der Wallfahrtskirche von Kirchhaslach hat sich eine Krippe erhalten, in der nicht nur traditionell drei, sondern vier Könige dem Kind huldigen. „Analogien, wie die Verbindung der Erdteile mit den heiligen drei Königen oder der Söhnen Noahs, wie sie im Mittelalter vorkamen“, so Sabine Poeschel, können „in der Neuzeit nicht [bzw. wie das Kirchhaslacher Kunstwerk belegt selten] festgestellt werden“[1]. Die mittelalterliche exegetische Verbindung der drei Könige mit den Erdteilen setzt im 9. Jahrhundert ein. In dieser werden die drei Weisen als Vertreter der Erdteile Nachkommen der drei Söhnen Noahs gesehen.
Allerdings stellte dies – so Klaus Oschema in seiner umfassenden rezenten Studie zu mittelalterlichen Europabildern – nicht die ausschließliche Seite mittelalterlicher Exegese dar: Die Könige traten auch gemeinsam mit den Erdteilen und den Söhnen Noahs auf. Ebenso wurden sie alleine auch aus einem missionarischen Blickwinkel interpretiert: Die Ehrerbietung der drei heiligen Könige an der Krippe Christi zeige wie sich die gesamte Welt zum christlichen Glauben durch die Ankunft des Messias bekehrte.[2] Im Hinblick eines beliebten bildlichen Belegs der Verbindung klärt Klaus Oschema einen langlebigen Interpretationsirrtum[3] auf. Es geht um die Darstellung dreier Wappen, deren Wappenbild jeweils ein scheinbar den Erdteile charakteristisch gestalteten Helmzier aufweist, und die Namen der Heiligen Drei Könige als Beischrift tragen: Kaspar mit Judenkopf und Mondstern [= Asien]; Balthasar mit Mohrenkopf auf Schild und Helm [= Afrika] und Melchior mit Stern auf Wappen und Helm [= Europa]. Letztlich sei diese von Köhlmann/Wirth (1965) vorgeschlagene und von Michael Wintle (2009) fixierte Zuordnung der Wappenbilder aufgrund fehlender entsprechender Bezeichnungen – wie man sie beispielsweise auf dem Hildesheimer Leuchter aus dem 12. Jahrhundert findet – zu den einzelnen Erdteile nicht zwangsläufig, sondern könnte vielmehr ein religiös-chronologisches Deutungsmuster zeigen, das „auf das historische Alter der Religionsgemeinschaften [Judentum, Christentum, Islam] anspielt.“[4] Oschema resümiert, dass
„manche Bilder in diesem Sinne gelesen werden können, tatsächlich aber scheint eine solche Interpretation vor allem die Projektion moderner Kategorien auszudrücken. […grundlegend ist] die Dreikönigs-Darstellungen nicht als feste Ausformulierungen eines starren Modells zu lesen, sondern vielmehr als integratives Motiv“,
das die gläubige Weltgemeinschaft und die universal kirchliche Macht betone. Während wohl in dem von Oschema betrachteten Untersuchungszeitraum, sprich im Mittelalter, die dunkle Hautfarbe eines der Könige von einem zeitgenössischen Betrachter aufgrund der Seltenheit entsprechender bildlicher Motive nicht zwangsläufig in Verbindung mit Afrika gebracht wurde, ist dies für einen neuzeitlichen Betrachter im Falle der zwar seltenen, aber doch auftretenden Darstellung von vier Königen keineswegs zu konstatieren. Vielmehr die Popularität des Erdteilbegriffes ebenso wie dessen Personifikationen nach der Entdeckung des vierten Kontinentes rückte diese Lesart in den Vordergrund.
Bei der Kirchhaslacher Krippe handelt es sich um ein sehr seltenes Beispiel, das von der Hand eines unbekannten Künstlers um 1710 für die Wallfahrtskirche angefertigt wurde. Ein Grund für seine Seltenheit könnte sein, dass sich das Motiv auf den Bereich des Kunsthandwerks beschränkte. In der Wand-Decken-Malerei ist es bislang gänzlich unbekannt. Es wurde sicherlich im Kunsthandwerk nur vereinzelt dargestellt, und existierende weitere Umsetzungen können in ihrer Gesamtheit verloren gegangen oder auch durch den Verlust von Einzelfiguren aufgebrochen worden sein. Folglich lassen sich heute ehemalige Vierergruppen nicht mehr als solche identifizieren, wenn sie mit drei Königen scheinbar vollständig sind. Interpretationen von drei Krippenfiguren als Erdteile, wie die in einer Katalognummer im Koblenzer Ausstellungskatalog Die Türken kommen! von 2007, – „Unbekannter Künstler, Die Heiligen Drei Könige als Vertreter der Erdteile, Süddeutschland […] aus einer Gruppe von insgesamt acht erhaltenen Krippenfiguren […], Mittelrhein-Museum Koblenz Inv.-Nr. MRM P 1966/14“ (Kat.-Nr. 5, 118) – sind nicht überzeugend. Zwar konstituierte im Mittelalter die Dreiheit die Welt, doch im Barock stellte die Vierzahl ein unumgängliches Charakteristikum dar. Inwieweit eine vierte Figur, sprich Amerika, existierte, wie dies eindeutig in Kirchhaslach der Fall ist, bleibt ungeklärt.
[1] Poeschel Erdteile 1985, 251
[2] vgl. Oschema Mittelalter 2013, 491-494
[3] vgl. RDK Erdteile 5/1965, Abb. 8; Romberg Welt in Österreich 2008; Wintle Image 2009, 215f.
[4] Oschema Mittelalter 2013, 498.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Zuletzt aktualisiert am: 02.12.2015