Lindau (Lindau), Mariä Himmelfahrt Zitieren
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Das Mittelfresko am Gewölbe des südlichen Querhauses ist der Anbetung des Lammes gewidmet. Innerhalb einer Wolkenarchitektur ist das Lamm auf dem Buch mit den sieben Siegeln im oberen Bilddrittel unterhalb Gottvaters und oberhalb von drei der vier Evangelistensymbole (Engel, Stier und Adler) zu erkennen. Im restlichen Fresko haben sich 7 der 24 Ältesten mit Weihrauchgefäßen und einer Harfe sowie der Autor der literarischen Quelle der heilige Johannes Evangelist versammelt. Umgeben ist dieses Mittelbild von vier Zwickelbildern, in denen die Vertreter der vier Erdteile dargestellt sind. In den östlichen beiden Zwickeln finden sich Europa im Süden und Afrika im Norden; im westlichen Pendant Asien im Süden und Amerika im Norden. Farblich sind sie monochrom in verschiedenen Nuancen von Ocker gehalten.
Europa sitzt auf Wolkenbergen und trägt ein körperverhüllendes Gewand. Als Insignien ihrer Macht und Hegemonie dienen ihr ein einfacher Stirnreif, ein Federzepter sowie das Papstkreuz, das links von ihr von einem Putto gehalten wird. Rechts von ihr schaut ein Pferd über die Wolken auf den Betrachter. Ihr Blick ist auf die himmlische Erscheinung über ihr im Mittelbild gerichtet.
Afrika kniet betend mit gefalteten Händen und himmelnden Blick auf Wolken. An Arm und Hals trägt sie dreireihige Perlenketten und auf dem Kopf eine „abstrakt geformte“[1] Elefantenexuvie. Ein langer Mantel bedeckt sie vom Hals bis zu ihren Knöcheln. An ihren nackten Füßen sind Schnürsandalen zu erkennen. Es begleiten sie rechts im Bild ein Putto und ein Löwe. Beide sitzen neben einem Weizenfeld. Das Produkt des Feldes umfasst der Putto mit der rechten Hand, während seine linke auf auf der lockigen Mähne des Löwenkopfes ruht.
Asien steht mit ausgebreiteten Armen, seinen Blick nach unten auf das Chorgeschehen gerichtet. Ein Turban sowie ein wallendes Gewand kleiden sie. Es begleiten sie je zwei Putti und Kamele. Letztere sind seltsam ineinandergeschoben. Der Schwanz des einen Kamels ist der Kopf des anderen. Während der eine Putto links im Bild das Kamel mit einem Stecken bändigt, zieht der andere durch seine dynamische Pose, bildzentrale Positionierung und individualisierte Physiognomie die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Seine muskulöse Statur ragt in Rückenansicht zur Hälfte aus den Wolken. Er wendet seinen Kopf über seine rechte Schulter, und sein Blick ist unmittelbar auf den Betrachter gerichtet. Besonders auffallend sind seine windzersausten Haare, die im Gegensatz zu dem in der Regel schlichten Haarschmuck von Putti steht. Er schwenkt in seiner rechten Hand das Attribut der Asia: ein Weihrauchfass.
Amerika, in ähnlicher Anbetungshaltung wie Afrika, präsentiert sich bis auf ein Tuch um Taille und Knie nackt. Ihre auf der Brust gefalteten Hände verdecken die Blöße ihrer Brüste. Federschmuck zieren Kopf und Oberarm. Anders als die Szenen der anderen Erdteile birgt dieses Bild eine innere Emotionalität und Dramatik. Vis-à-vis zu Amerika am linken Bildrand ist ein Krokodil[2] zu sehen, das einem Putto in den Oberschenkel beißt. Sein Leid, und seine Panik schreit dieser mit schmerzverzogenen Gesicht und emporgehobenen Armen heraus. Amerika schaut unbeteiligt hinüber. Genauso unberührt lässt sie die zu ihren Füßen liegenden zwei abgeschlagenen, von einem Pfeil durchbohrten Häupter. Die „Tatwaffe“ – ein Bogen – liegt direkt daneben.
Theologisch bezieht sich das Programm des Querschiffs auf die Bibelstelle Offb. 5,8–10:
„Als es das Buch empfangen hatte, fielen die vier Lebewesen und die vierundzwanzig Ältesten vor dem Lamm nieder; alle trugen Harfen und goldene Schalen voll von Räucherwerk; das sind die Gebete der Heiligen. / Und sie sangen ein neues Lied: Würdig bist du, / das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du wurdest geschlachtet / und hast mit deinem Blut / Menschen für Gott erworben / aus allen Stämmen und Sprachen, / aus allen Nationen und Völkern / und du hast sie für unsern Gott / zu Königen und Priestern gemacht; / und sie werden auf der Erde herrschen.“
Die Umsetzung in Lindau in Form eines zentralen Mittelbildes umgeben von vier Einzelbildern mit den vier Erdteilen findet sich auch unterhalb der nördlichen Orgelempore im Salemer Münster. Die Ikonografie der Erdteile wird hier mit dem neutestamentlichen Sinnbild des geopferten und siegreich auferstandenen Christus in Gestalt des Lammes verbunden.
[1] Eine Vergleich mit Ripas Darstellungen der Elefantenexuvie offenbart die hier vorliegende bildliche Abstraktion, die vermutlich auf die unsachgemäße Restaurierung der Fresken zurückzuführen ist. Vgl. ausführlich „Erhaltungszustand und Restaurierung“
[2] In der einzigen Beschreibung der Innenausstattung, die das gesamte Programm Appianis veranschaulicht, identifiziert der Autor dies als „Bären, der ein geraubtes Kind im Rachen trägt“. Aubele 1913, 48.
Von West nach Ost:
LANGHAUS
- Nördliche Emporen: Mariensymbole flankiert von je zwei allegorischen Figuren, die auf die Rolle Mariens in der Apokalypse sowie der Heilsgeschichte bezugnehmen (Keuschheit, Siegerin, Herrscherin, Fürbitter, etc.)
- Mittelbild: Mariä Himmelfahrt (erneuert 1922)
- südliche Emporen: Mariensymbole flankiert von je zwei allegorischen Figuren, die auf die Rolle Mariens in der Apokalypse sowie der Heilsgeschichte bezugnehmen (Keuschheit, Siegerin, Herrscherin, Fürbitter, etc.)
CHORBOGEN
- Nördliches Zwickelbild: die Anbetung der Hirten
- Mitte: Wappen des Stifts und der Auftraggeberin Theresia Wilhelmina von Polheim
- Südliches Zwickelbild: die Dabringung Jesu im Tempel
NÖRDLICHES QUERHAUS
- Mittelbild: musizierende Engel
- Seitenbilder: Putti
CHOR
- Mittelbild: Marienkrönung
- Seitenbilder: die vier Evangelisten
SÜDLICHES QUERHAUS
- Mittelbild: die Anbetung des Lammes durch die 24 Ältesten (Offb 5, 8 und 13)
- Seitenbilder: die vier Erdteile
Das Ausstattungsprogramm der Lindauer Marienkirche hat eine sehr leidvolle Geschichte. Die in dem Befundbericht der letzten Restaurierung konstatierten starken Übermalungen gehen weitestgehend auf die „schlechte Renovierung des Inneren“[1] am Ende des 19. Jahrhunderts, 1886/1887, zurück. Ein Brand am 26. Februar 1922 zerstörte den gesamten Dachstuhl und mit ihm das Langhausfresko. Die Inneneinrichtung sowie die Fresken im Chorraum und in den Querhäusern trugen große Schäden davon. In den darauffolgenden Jahren wurde der Kirchenraum wieder in Stand gesetzt und das Langhausfresko durch den Münchner Maler Waldemar Kolmsperger gemeinsam mit seinem Sohn neu gemalt.[2] Eine Beschreibung von 1913 veranschaulicht das ursprüngliche Aussehen des Kirchenraums.[3]
Die unsachgemäße Konstruktion des neuen Langhausgewölbes führte zum Einsturz desselbigen 62 Jahre später, am 28. September 1987. Sechs Jahre dauerte der anschließende Wiederaufbau unter Verwendung der Originalsubstanz.
Der erwähnte Befundbericht bewertet die Fresken im südlichen Querhaus wie folgt:
„Südkuppel:
Das Bild ist in fast allen Bereichen mehrfach übermalt, dadurch lassen sich Schäden oder Originalbestand kaum noch abschätzen. In den Himmelsbereichen kann mit etwa 50% unregelmäßig verteiltem Originalbestand gerechnet werden. Die figürlichen Darstellungen sind bis auf einzelne Ausnahmen vermutlich zu 70% oder mehr gestört und übermalt. Ursprüngliche Farbanlagen sind durch den jetzigen Zustand nicht nachvollziehbar. Figuren könnten konzeptionell übernommen worden sein, da sich an manchen Stellen noch Fragmente des Originals erkennen lassen.
Zwickelbilder der Südkuppel:
Vollständig übermalt, in der Thematik schienen sie nachempfunden. Bei den einzelnen Bildern sind etwa 20% Originalbestand noch erkennbar.“[4]
Die noch von Appiani stammenden Fresken wurden bis 1993 lediglich einer konservatorischen Behandlung unterzogen. Als Restaurierungsziel galt der Zustand der 1920er-Jahre.[5]
[1] KD Schwaben 4/1954, 38.
[2] Die Künstler haben es mit „W. Kolmsperger sen. & junior 1925“ signiert. Vgl. auch ausführlich zur Restaurierungsgeschichte Markus Weis „Zur Bau- und Restaurierungsgeschichte der ehemaligen Stiftskirche Mariä Himmelfahrt in Lindau“ (7-19) und zum Künstler Johannes von Megen „Waldemar Kolmsperger – Notizen zur Biographie“ (39-34). Beides in: Petzet 1993.
[3] vgl. Aubele 1913, 47f.
[4] Curt Osing und Bernhard Symank, Restaurierung der Appiani Deckenbilder im Chor, in: Petzet 1993, 57f.
[5] ebenda, 54.
Zuletzt aktualisiert am: 09.12.2015