Salem (Bodenseekreis), Mariä Himmelfahrt Zitieren
Unter der nördlichen Empore befinden sich in einer mit zarten vegetabilen Ornamenten verzierten weißen Stuckdecke in der Mitte ein großer und diesen umgebend vier kleine Deckenspiegel. Das mittlere Bildfeld enthält eine Darstellung nach Offb 5,8–10:
„Als es das Buch empfangen hatte, fielen die vier Lebewesen und die vierundzwanzig Ältesten vor dem Lamm nieder; alle trugen Harfen und goldene Schalen voll von Räucherwerk; das sind die Gebete der Heiligen. / Und sie sangen ein neues Lied: Würdig bist du, / das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du wurdest geschlachtet / und hast mit deinem Blut / Menschen für Gott erworben / aus allen Stämmen und Sprachen, / aus allen Nationen und Völkern / und du hast sie für unsern Gott / zu Königen und Priestern gemacht; / und sie werden auf der Erde herrschen.“
Bildlich umgesetzt flankieren auf einem rosafarbigen Wolkenmeer die 24 Ältesten das auf einem Wolkenberg dargestellte weiße Lamm. Diese, von bärtiger Gestalt und gekleidet zu meist in einem weißen Gewand mit Krone auf ihrem weißen Haar, sind zum Teil aufgrund der dichtgedrängten Komposition nur fragmentarisch zu erkennen. Ein Teil von ihnen kniet, sitzt oder liegt und streckt ein Rauchfass, aus dem gräulich-bläulicher Rauch entsteigt, dem Lamm entgegen. Dieses ruht schlafend auf einem Buch mit sieben Siegeln und wird von einer regenbogenfarbigen Gloriole hinterfangen. Am Himmel schweben in luftiger Höhe sieben goldene Öllämpchen und schemenhaft zu erkennen Engel. Sechs Figuren ganz im Vordergrund stechen durch ihre farbige Präsenz dem Betrachter ins Auge. Links außen, hinter einem im Gebet vertieften, knienden König in Blau-Violett gekleidet und mit schwarzem Haar und Bart, ist der Kopf und der Flügel eines Löwen (der Evangelist Markus) zu erkennen. Sein Pendant befindet sich am rechten Bildrand. Hier ebenfalls nur zur Hälfte dargestellt, ruht ein Stier (Lukas) und direkt hinter diesem spielt ein in Violett und Grün gewandeter König Harfe (König David?). Im Bildvordergrund, an der untersten Kante des Bildes, schließen links ein Engel (Matthäus) und rechts ein schwarzer Adler (Johannes) zur Gänze dargestellt an. Am Rahmen des Bildes findet sich eine Inschrift: BENEDICTIO ET HONOR / ET GLORIA ET POSTESTAS (dt.: Lob und Ehre und Herrlichkeit und Kraft), wobei es sich hier um einen Ausschnitt aus Offb 5,13 handelt.[1]
In einem Rechteck angeordnet umgeben die vier Erdteile in jeweils einem eigenen Bildfeld das Mittelfeld. Links vom diesem, in Richtung des Seitenschiffes, befinden sich Amerika (hinten) und Afrika (vorne); rechts davon, in Richtung Chor, Europa (hinten) und Asia (vorne). Alle vier weiblichen Repräsentanten sitzen barfüßig in leichter Untersicht in Dreiviertelansicht auf Wolken, begleitet jeweils von ihrem Tierattribut, und schauen direkt zum Betrachter. Die rot-braunhäutige Repräsentantin Amerika scheint sogar den Betrachter mit ihrer rechten Hand zu grüßen. Ihr hellblaues Kleid lässt ihre Schultern frei. Beide Oberarme sind wie ihr Kopf mit einem mit Steinen (Perlen?) besetzten Lederband geschmückt. Ihr linker Arm ruht auf dem Kopf eines Löwen, den er auf eine seiner mächtigen Pranken gelegt hat. Der Rest seines Körpers wird wie auch die Beine der Amerika von einem roten Tuch bedeckt. Am linken Bildrand ist der aufsteigende Rauch eines Weihrauchfasses[2] zu sehen. Der erste Teil des Zitats aus Ps 117,1 – LAUDATE DOMINUM OMNES GENTES (dt.: Lobet den Herrn, alle Völker,) verbindet das Bildfeld der Amerika mit dem der Afrika. Kontrastreich heben sich ihr blau-gelb gestreiftes Gewand und ihr roter Sonnenschirm vom Schwarz ihrer Haut ab. Wie bei Amerika trägt auch sie am Arm, im Haar und um das Fußgelenk perlenversetzte Bänder. Um ihren Hals ist ein Eisenring befestigt. Ein Krokodilkopf in Dreiviertelansicht schaut unter dem Saum ihres Gewandes am linken unteren Bildrand hervor.
Genau gegenüber von Afrika befindet sich die Repräsentantin Asia. Diese besticht durch ihren blauen Kaftan, dessen Borte mit kostbaren Stickereien verziert und am linken kräftigen Oberarm durch einen kleinen Knopf gerafft ist. Darunter trägt sie ein grünes Gewand, das am Kragen und zwischen den Brüsten in Gold gefasst ist. Ein weißer Turban mit einer rosa Feder, die von einer goldenen Brosche gehalten wird, sowie Perlenohrringe runden das Bild ab. Hinter ihrem rechten Arm, der auf einer Wolke ruht, schaut in Dreiviertelansicht ein Kamel den Betrachter an. Zwischen dem Bildfeld der Asia und Europa befindet sich der Rest des Teilzitats aus Ps 117,1: LAUDATE EUM OMNES POPULI (dt.: Preist ihn, alle Nationen!). Europa präsentiert sich in einem gelben Gewand mit weißen fließenden Ärmeln, von denen der linke von der Schulter gerutscht ist und diese dem Blick des Betrachters freigibt. Das Weiß ihrer Haut wird nur von einer dunkelblonden Locke, die aus der mit Perlen hochgesteckten Frisur entwichen ist, durchbrochen. Auf der anderen Schulter liegt die Schleife eines blauen Bandes, das sie sich um den Oberkörper gebunden hat. Ihre Beine sind gänzlich mit einem roten Tuch bedeckt. Auf ihrem Kopf trägt sie eine mit Perlen und Edelsteinen besetzte Krone (Rudolfskrone?). Während man schräg hinter ihr am rechten äußeren Bildrand den Kopf und den Hals ihres weißen Schimmels erkennt, befindet sich neben ihrem rechten Oberschenkel die weltliche (Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches) und die geistliche Krone (Tiara).
Die heute noch erhaltenen[3] barocken Umbauten und Erweiterungen (Altäre, Epitaphien, Wandmalereien) werden fast von der bestimmenden hochgotischen Grundstruktur der Klosterkirche in Salem überdeckt. Besonders die Wandmalereien befinden sich keineswegs in exponierter Lage, sondern man findet sie erst auf den zweiten Blick unterhalb von Emporen oder auch innerhalb von Nischen. Das gewählte Thema der Nordempore korrespondiert mit den circa 40 Jahre früher gemalten Fresken unter der Südempore, die von der Hand Franz Anton Spieglers (1691–1757) stammen. Hier wird die Erschaffung der Welt, umgeben von den vier Elementen[4], dargestellt. Dem alttestamentlichen Bezug zum göttlichen Schöpfungswerk wird das neutestamentliche Sinnbild des geopferten und siegreich auferstandenen Christus in Gestalt des Lammes entgegengesetzt.[5]
[1] Lt. Hosch 1987, 109.
[2] Von Hubert Hosch 1987 fälschlicherweise als Federkrone identifiziert. Vgl. Hosch 1987, 109 F 15b.
[3] Die große barocke Umgestaltung des Inneren der Klosterkirche unter Abt Konstantin (reg. 1725–1745) wurde im Zuge erneuter Umbauten in den 1770/80er-Jahren entfernt. Die Neukonzeption entstand nach einem Gesamtentwurf von Johann Joachim Scholl, ein Schüler des französischen Baumeisters Pierre Michel d’Ixnard (1723–1795). Inwieweit Scholl sich Entwürfe seines Lehrers bediente, ist ungewiss. Zwar existiert ein Schriftverkehr zwischen Abt Anselm II. und d’Ixnard aus dem Jahr 1767, in denen von „Skizzen“ die Rede war, und d’Ixnard besuchte selber im Frühjahr 1773 Salem, aber Weiteres ist nicht bekannt. Im Außenbereich wurde der 1756 errichtete Turm bereits 1807 wieder entfernt. Auch wurden während der großen Restaurierung der Jahre 1883 bis 1891 wesentliche Eingriffe in die Baustruktur vorgenommen. Vgl. Franz 1985, 219; Knapp 2007, 17f.
[4] Ulrich Knapp identifiziert diese auch als Erdteile. Wie Beispiele im Speyrer Rathaus von Johann Georg Dathan von 1725 zeigen, sind zwei-dreifach allegorische Belegungen zwar möglich, jedoch im Gegensatz zu Speyer fehlen hier – außer vielleicht bei der Feuer-Darstellung – jegliche ikonografische Hinweise auf die vier Erdteile. Aus diesem Grund kann ich mich diesem Urteil nicht anschließen. Vgl. Knapp 2007, 26. Ebenso gilt dies für das rechte Wandgemälde unterhalb der Südempore. Hier versammeln alle Völker dieser Erde zum Lob des Herrn. Vertreter Asiens, Amerikas und Europas sind eindeutig zu erkennen, ein Vertreter Afrikas fehlt jedoch oder könnte in der Panflöte spielenden Figur direkt hinter der zentralen Mittelfigur vermutet werden.
[5] Vgl. LCI 3/1994, 7; LTHK VI/2006, 623.
Anbetung des Lammes durch die 24 Ältesten und die vier Evangelisten, umgeben von den vier Erdteilen
Abgesehen von ein paar Rissen befinden sich die Fresken in guten Zustand. Ob die Fresken im Zuge der großen Restaurationen im 19. und 20. Jahrhundert verändert wurden, ist nicht bekannt.[1]
[1] Lt. Kraus 1887, 561 „In den letzten Jahren fand eine umfassende, von der Liberalität der fürstlichen Bauherren getragene Restauration der Kirche statt, welche sich theils auf die Instandsetzung einzelner schadhaft bez. Baufällig gewordener Theile, theils auf Beseitigung einzelner Veranstaltungen des Bauwerks durch die Zopfzeit erstreckte.“ Lt. Hosch 1978, 108.
Die Salemer Fresken sind zwar undatiert, als terminus post quem steht der Bau der Empore 1770/1771 beziehungsweise eventuell sogar Sommer/Herbst 1774 als die Tabernakelorgel von Karl Joseph Riepp fertig aufgestellt wurde.[1] Der noch immer existierenden Datierungsproblematik lässt sich über eine stilistische wie auch biografisch-chronologische Untersuchung weiter nähern. Bruggers Aufenthaltsorte können für die Zeit von 1774 bis circa 1780 eindeutig archivalisch belegt oder eingeschränkt werden (s. Werkliste Fresken).[2] Darüber hinaus ist für Brugger die Ankunft in Salem am 15. Juli 1774[3] sowie in Sulmingen am 29. Juli 1774[4] belegt. Nach Abschluss seiner Arbeiten in Sulmingen ist er im Herbst 1774 nach Salem zurückgekehrt, um das besagte Kalvarienbild, wie eine Rechnung vom 23. Oktober[5] beweist, fertigzustellen. Aufgrund der stilistischen Nähe zu Buchau datiert Hosch auch den Auftrag Bruggers für die Westempore in Salem „Moses vor dem brennenden Dornbusch“ in den Juni/Juli 1774[6]. Angenommen, dass Brugger zwischenzeitlich, vermutlich in den Wintermonaten, da in dieser Zeit in der Regel aufgrund von Frostgefahr keine Freskoarbeiten ausgeführt werden konnten,[7] sich vor allem der Leinwandmalerei vermutlich in Langenargen widmete, ergeben sich aus obigen Eckdaten zwei Zeitfenster, in denen Brugger in Salem die Erdteilallegorien hätte malen könne: zum einen 1774 zeitgleich zu seiner Arbeit im Salemer Münster und zum anderen im Frühjahr/Sommer 1778. Für letzteren Zeitraum sind keine Werke im Œuvre Bruggers sicher zu datieren. Brugger hat in dieser Zeit neben Salem sowohl in Buchau als auch in Bodnegg eine Anbetung des Lammes durch die 24 Ältesten gemalt.[8] Ein Vergleich dieser drei insbesondere der Figuren rückt die Nordempore näher an Bodnegg.[9]
[1] Riepp war von Ende Mai bis Anfang September 1774 in Salem. Am 30. August 1774 legt Riepp dem Salemer Prälaten ein Endbericht seiner Arbeiten in den Jahren 1766 bis 1774 vor, die den Aufbau der drei Orgeln im Münster – Dreifaltigkeitsorgel, Lieb-Frauen-Orgel und Tabernakel-Orgel – umfassten. Wörsching nimmt an, dass bereits am 15. August 1774 zum Patroziniumsfest „Mariä Himmelfahrt“ alle drei Orgeln erklungen (215). Vgl. Meyer 1936, 35; Wörsching 1940, 203–218; Knapp 2007, 28.
[2] Sulmingen, St. Dionysius Aeropagit (August/September 1774); Salemer Münster, Kalvarienbild hinter dem St. Verena Altar (September/Oktober 1774)[2]; Buchau, St. Cornelius und Cyprian (ca. Frühjahr 1775 bis Sommer 1776); Taldorf, St. Peter und Paul (Herbst 1776); Wurzach, St. Verena (Sommer 1777); Buchau, Kapitelzimmer (Spätherbst 1778); Bodnegg, St. Magnus und Ulrich (Frühjahr/Sommer 1779).
[3] Publiziert bei Hosch 1987, 231 Dok. XXIII.
[4] Publiziert bei Hosch 1987, 231 Dok. XXIV A.
[5] Publiziert bei Hosch 1987, 232 Dok. XXV.
[6] vgl. Hosch 1987, 59 und 98 F8a
[7] Vgl. Isphording 1997, 24.
[8] Eine weitere Anbetung des Lammes hat er auch in St. Kolumban in Rorschach Mitte der 1780er-Jahre, in St. Gallus in Gattnau (1790/91, zerstört); in St. Peter und Paul in Lindenberg (1795/96, zerstört) und letztlich in St. Blasius in Weiler im Allgäu (um 1796/97) gemalt. Vgl. Hosch 1987, Werkverzeichnis.
[9] Ebenfalls ins Jahr 1778 gibt Hosch die Ausmalung der Kirche von Mariabrunn, deren späteren Übermalungen eine endgültige Aussage jedoch erschweren. Vgl. Hosch 1987, 62.
Zuletzt aktualisiert am: 22.07.2016