Mannheim (Mannheim), Schloss, Haupttreppenhaus Zitieren
- 1 von 2
- ›
Die Stuckbilder befinden sich links und rechts des Eingangs zum Rittersaal sowie auf der gegenüberliegenden Seite des Haupttreppenhauses, wo sie die Fenstertür zum stadtseitigen Altan einrahmen. Es sind Flachreliefs, die durch kannelierte toskanische Pfeiler gerahmt werden, einer der niederen Säulenordnungen, weshalb auf ihnen der Architekturtheorie der Zeit entsprechend Gehänge mit militärischen Trophäen dargestellt sind.
Alle Trophäengehänge werden von einem bekrönenden Maskaron gehalten. Die von Rankenwerk durchflochtenen Waffenbündel in ihrem Zentrum sind mit einer Kette an einem Olivenkranz als Friedenssymbol befestigt und treten plastisch am stärksten hervor. Zuunterst sind Paare differenziert gestalteter Trophäenhäupter als Symbole der einzelnen Erdteile in die Gehänge eingebunden. Die Zusammenstellung der einzelnen Trophäenbündel lässt in ihnen Allegorien der drei Erdteile Amerika, Asien und Europa vermuten[1], wobei Letzteres zur Betonung des Kriegsruhms des pfälzischen Kurfürsten als Sieger über die Türken in der Schlacht vor Ofen und Mainz zweimal dargestellt ist.[2]
Es handelt sich bei diesen Trophäenköpfen um tote Krieger verschiedener Ethnien, die an ihren Haaren aufgehängt sind und in der Art der Johannesschüssel vor Schilden als Hintergrund präsentiert werden. Eine mögliche Anregung dazu bieten die Masken sterbender bzw. toter Krieger, die Andreas Schlüter um 1696 für das Berliner Zeughaus entwerfen ließ.[3] Woher Egell diese kannte, muss allerdings offen bleiben.
Nordwestlich am Eingang zum Rittersaal ist die Allegorie (Süd)amerikas angebracht: Das Gehänge vereinigt einen Köcher mit Pfeilen, Rundschild, Jagdhorn, Palme, aufgezogen an einer Kette sowie eine katholische Monstranz im mittleren Trophäenbündel und einen Indianerkopfputz zwischen Schild und Köcher. In Übereinstimmung hiermit stehen die Trophäenhäupter: ein Kopf mit europäisch anmutenden Gesichtszügen sowie einem spanisch anmutenden Schlapphut mit Federbesatz und ein afrikanisches Haupt mit krausen Haaren und wulstigen Lippen, stellvertretend für die zur Plantagenarbeit nach Amerika verschleppten Negersklaven. Das Relieffeld im Mezzaningeschoss mag auf die Unterwerfung der Einheimischen mit dem Schwert anspielen.
Auf der nordöstlichen Wand wird die Bildkomposition mit zwei übereinandergeschichteten Schilden, einer eingerollten Fahne, einem Raubtierfell, Keule und Schwert wiederholt. Jedoch trägt eines der Trophäenhäupter der Allegorie Hinterasiens entsprechend einen geflochtenen Chinesenzopf, den anderen abgeschlagenen Kopf charakterisieren wiederum hagere, europäisch anmutende Gesichtszüge. Die hinter den Trophäenhäuptern angebrachte Krone, das Schwert mit Adlerknauf und die (herkulische) Keule können als Hinweis auf das Haus Habsburg und hiermit „Allegorie Eurpoas“ verstanden werden. Im dazugehörigen Mezzaninfeld ist ein Putto mit Jagdwaffen und Fischernetz abgebildet, was sich nicht in den beschriebenen Zusammenhang einfügen lässt.
Auf dem Stuckbild, das die Wand südöstlich zum Garten hin schmückt, besteht das Trophäenbündel aus Turban, Krummsäbel, dem „Tug“ und einem Haarschweif; einem Rundschild mit Köcher und Pfeilen und somit typischen Versatzstücken der zeitgenössischen Türkenikonografie. Dies legen auch die beiden abgeschlagenen Kriegerhäupter nah; der zweigeteilte, strähnige Bart des oberen könnte auf einen Türken verweisen, der untere ist durch seine hageren Gesichtszüge und Spitzbart als Europäer gekennzeichnet.
Die südwestlich zur Gartenseite gelegene Hochfüllung bietet einen Ritterhelm, eine Hellebarde, eine Trompete, eine Lanze, einen Speer und eine Muskete vor zwei Schilden und somit charakteristische europäische Waffen auf: Die dazugehörigen Kriegerhäupter weisen große Gemeinsamkeiten mit denen des südöstlichen Stuckfeldes auf, was auf eine zweite Allegorie Europas hindeutet. [4]
Das insgesamt wenig geschlossene und mit vielerlei Anspielungen durchsetzte Bildprogramm deutet auf ein freies Spiel mit Unschärfen und Andeutungen hin, das im 16. Jahrhundert unter Rückgriff auf Horaz sehr beliebt war und in Italien unter dem Begriff der vaghezza bekannt war.[5]
[1] Leibetseder, 2013, S. 71.
[2] Schmidt, 1963, S. 13, S. 26.
[3] Dautel, 2001, S. 7 und S. 96.
[4] Leibetseder, 2013, S. 76.
[5] Horaz, 21983, S. 292, Zeile 49ff.
Nordwestlich am Eingang zum Rittersaal: Allegorie Amerikas
Mezzaninfeld: Putto mit Säbel beim Niederringen eines Hundes
Nordöstlich am Eingang zum Rittersaal: Allegorie Asiens
Mezzaninfeld: Putto mit Flinte, Keule und Fischernetz
Südöstliche Altanseite: Allegorie Europas
Südwestliche Altanseite: Allegorie Europas
Infolge von Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg erlitten das Treppenhaus und die angrenzenden Räumlichkeiten schwere Zerstörungen. Nach dem Einsturz der Dachkonstruktion des Mittelbaus, lagen die Stuckbilder ab 1943 im Freien. Im Treppenhaus waren gravierende Schäden an Egells Stuckreliefs zu verzeichnen. Auch im Rittersaal fehlten Dach und Decke, jedoch bleiben die Stuckbilder größtenteils erhalten, während das nicht für die rahmenden Pilaster aus Stuckmarmor und Marmor galt.
1956/57 begann die Instandsetzung des Haupttreppenhauses, wo die Stuckaturen mehr als zehn Jahre lang dem Wetter ausgesetzt gewesen waren. Im Juli 1959 erfolgte die Fertigstellung des Haupttreppenhauses im Rohbau, wobei man auf bestimmte Ausstattungsmerkmale verzichtete. Egells Stuckarbeiten wurden von dem ortsansässigen Künstler Cornelius Vocke ergänzt und restauriert. Von den Egells Stuckaturen im Rittersaal wurden – höchstwahrscheinlich ab 1961 – „ein Drittel, im Treppenhaus etwa die Hälfte rekonstruiert.“ Die feierliche Wiedereinweihung des erneuerten Mitteltraktes wurde am 29. Mai 1961 im Rittersaal des Schlosses gefeiert.
In den Jahren 2005/2006 wurde anlässlich konservatorischer Arbeiten zur Wiedereröffnung der Beletage als Museum festgestellt, dass im unteren Wandbereich des Haupttreppenhauses noch umfangreiche Teile des ursprünglichen Putzes und Zierstuckes erhalten sind. Die Stuckreliefs von Paul Egell befinden sich heute in einem sehr guten Zustand.
Als Vorlagen für die physiognomische Gestaltung und ethnografische Zuordnung der einzelnen Menschenrassen standen Paul Egell nicht nur die Vorgaben und Erläuterungen in Cesare Ripas „Iconologia“ [1]und Zedlers „Universallexikon“[2] zur Verfügung, sondern vermutlich auch Salomon Kleiners Kupferstich des Deckengemäldes von Johann Rudolf Byss aus dem Jahr 1717 für das Haupttreppenhaus von Schloss Pommersfelden. Diese Druckgrafik befand sich laut Inventar im Mannheimer Kupferstichkabinett.[3] Die Zusammenstellung der Erdteile als Kopftrophäen tritt im 18. Jahrhundert häufig auf.[4]
[1] Ripa, Bd. 1, 1644, S. 8, S. 9.
[2] Anonymus, Zedler, Art. „Africa“, Bd. 1, A–Am, 1732, Sp. 730. – Anonymus, Zedler, Art. „Amerika“, Bd. 1, A–Am, 1732, Sp. 1723. – Anonymus, Zedler, Art. „Turcken-Kopffe, gedorrete“, Bd. 45, Trap–Tz, 1745, Sp. 1701.
[3] Kleiner, 1728, Tafel 8. – Inventar des Mannheimer Kupferstichkabinett, siehe: HStA München, Hz 100 Abt. III, Nr. 67.
[4] Kreuzer/Kruft, Art. „Erdteile“, RDK, Bd. 5, Email–Eselsritt, 1965/1965, Sp. 1159f.
Zunächst wurden den üblichen Gepflogenheiten entsprechend Entwürfe auf Kartons angefertigt, die mit Vorlagen in Originalgröße umgesetzt und an Ort und Stelle auf die Wand gebracht wurden, wovon noch Spuren im oberen Bereich der Treppenhauswände zeugen. Dies gab dem Bauherrn die Möglichkeit, sich mit dem Hofarchitekten und Egell als ausführendem Künstler abzustimmen. Der Reihenfolge der Bauarbeiten folgend schuf dieser zunächst die Reliefs im Rittersaal (1728) und im Anschluss daran die Stuckbilder im Haupttreppenhaus (1729/30).
Zuletzt aktualisiert am: 01.05.2017