Rechenberg (Schwäbisch Hall), Schlosskirche Zitieren
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (34f; 48; 380 Anm. 1323; 484):
Bei einer tiefer gehenden Untersuchung der territorialen Ausbreitung stechen sowohl die Kernzone dieses sogenannten „Dorfkirchenphänomens“ als auch die weißen Flecken ins Auge. Der „Erdteilgürtel“ zieht sich von Oberschwaben über Bayerisch-Schwaben und Oberbayern nach Niederbayern. Bei den weißen Flecken handelt es sich vorrangig um Gebiete im Westen beziehungweise Norden Süddeutschlands und im Osten der österreichischen Erblande. Auf dem Gebiet Süddeutschlands sind die vor allem protestantischen Gebiete wie beispielsweise Württemberg oder auch Teile Frankens betroffen. Die Ikonografie findet sich hier überwiegend innerhalb profaner Bauten. Einzig die Spitalskirche zu Dinkelsbühl und die evangelische Kirche zu Rechenberg stellen Ausnahmen von dieser „Absenzregel“ der Ikonografie innerhalb protestantischer Kirchenbauten dar. […]
Während Dinkelsbühl ehemals eine katholische Kirche war und im Zuge der Reformation an die Protestanten übergeben wurde, ist die Rechenberger Pfarrkirche eine originär protestantische Kirche. Dies wird alleine bereits im Kirchenraum über deutlich. Parallel zur Umgestaltung katholischer Kirchenräume mit ihrer räumlichen Zweiteilung und Zentralisierung auf den Hochaltar wurden auch die Räume protestantischer Kirchen umgestaltet. Im 16. Jahrhundert bildete sich „ein grundsätzlich neuartiger Kirchentyp, [der] der Konfessionskirche“[1], heraus. Die Protestanten richteten ihre Kirchenräume auf einen zentralen Bekenntnisraum aus und passten die Kirchen, die ihnen übergeben worden waren, der veränderten Liturgie an. Die evangelischen Kirchen in Rechenberg und Dinkelsbühl veranschaulichen die Bandbreite dieser baulichen Veränderungen: In der Dinkelsbühler Heilig-Geist-Kirche aus dem 14. Jahrhundert wurde analog zur Marktkirche in Halle, die 1529 unter Kardinal Albrecht von Brandenburg begonnen und 1554 nach einer konfessionsspezifischen Neuplanung unter dem lutherischen Rat fertiggestellt worden war, der Hochaltar entfernt und stattdessen ein Abendmahltisch aufgestellt. In der evangelischen Kirche zu Rechenberg – der Ort war 1555 zur Reformation übergetreten – ließ der neue Besitzer, die Familie von Berlichingen, Anfang des 17. Jahrhunderts eine neue Kirche erbauen. Auf einen Chor wurde hierbei verzichtet und stattdessen ein Turm gebaut. Im Zuge der Neuausstattung um 1781 fand im Chorraum ein Kanzelaltar Aufstellung, wie er sich zwar bereits 1585–1590 in der Schlosskapelle von Schmalkalden (Thüringen) findet, der sich aber erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Zuge der symmetrischen Anordnung des protestantischen Kirchenraums durchsetzten sollte.[2]
Hinzu kamen in allen Kirchen die Bestuhlung des Hauptschiffes und der Einbau von Emporen, die sich nicht auf Orgelemporen beschränkten, sondern sich an den Seitenwänden des gesamten Kirchenschiffes entlangzogen. Der gesamte Kirchenraum war zur Kanzel und dem Abendmahlsaltar ausgerichtet. Für diese Zentralisierung auf Predigt und Abendmahl, die im Abendmahlstreit zwischen alter und neuer Lehre gründete, hat sich in der Forschung der Begriff „Abendmahlskirchen“ eingebürgert.[3]
Auch im Bildprogramm der Rechenberger Kirche, das eine reduzierte Version des weitaus elaborierteren Programm der Dinkelsbühler Kirche ist, kommt dies zum Ausdruck. „Glaube ohne Werke“ ist die Grundessenz protestantischer Theologie, in deren „Circkel“[4] Jesus Christus steht: Moses und die eherne Schlange auf der einen Schmalseite als Figur des Gekreuzigten und Manifest der Errettung nur durch Glaube und der Gekreuzigte über einer Weltkugel dargestellt, verehrt durch die Weltbevölkerung auf der anderen Schmalseite.
Siehe ausführlicher zur Entstehung des Bildthemas in der rechten Seitenleiste „Gesetz und Evangelium“.
[1] Slenczka Wirkung 2010.
[2] Vgl. Mai Kanzelaltar 1969; Meissner Bayern 1987.
[3] Vgl. Slenczka Wirkung 2010.
[4] „da der ganzte Circkel ausgezogen ist, und auff in sehet, und wer sich nach Imme richtet, gehort auch drein. Den er ist das mittel punctlein im Circkel, und alle Historien in der heiligen schriefft, so sie recht angesehen werden, gehen auff Christum“.Luther, zitiert nach vgl. Ohly Gesetz und Evangelium 1985, 14.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Von West nach Ost:
LANGHAUS
- Decke:
- westlich: Moses mit der ehernen Schlange
- östlich: Verherrlichung des Gekreuzigten durch die vier Erdteile
- Wappen
- Emporenbrüstungen:
- westlich: der zwölfjährige Jesus im Tempel
- nördlich:
- Opferung Isaaks
- Elias Himmelfahrt
- Noli me tangere
- östlich:
- Predigt von Johannes dem Täufer
- Gleichnis vom Sämann
- südlich:
- Jakobs Traum von einer Himmelsleiter
- Verklärung am Tabor
- Jesus und die Samariterin am Brunnen
Anders als in Dinkelsbühl, wo Nieberlein zum ersten Mal für einen protestantischen Auftraggeber gearbeitet hat und ihm dort das Programm von der Kirchengemeinde vorgegeben wurde, liegt in Rechenberg die Vermutung nahe, dass er für die Themenwahl verantwortlich zeichnet. Bis zu seinem zweiten Auftragswerk in Rechenberg verwendete Nieberlein seine in Dinkelsbühl entwickelte Komposition in adaptierter Form in den katholischen Pfarrkirchen zu Schechingen (1776) und Schweeningen (1781). Während er in Schechingen seine Kreuzigung mit zwei Szenen aus dem Leben des Kirchenpatrons St. Sebastian sowie mit einer aus der Vita des Bruderschaftsheiligen und in Schwenningen (1781) nur noch mit einer Personifikation des Glaubens kombinierte, reduzierte er in Rechenberg die Dinkelsbühler Viererszenen auf die alttestamentliche Erzählung von Moses mit der ehernen Schlange und die Kreuzigung.
In seinem Discorso hatte der Kardinal Gabriele Paleotti 1582/1594 gefordert, dass der Künstler am besten ebenfalls dem katholischen Glauben angehören solle.[1] Allerdings wurde dies im engen konfessionellen Nebeneinander Süddeutschlands in der Praxis nicht durchweg so praktiziert; wie zum Beispiel die Fresken des Protestanten Johann Friedrich Sichelbein in der Wallfahrtskirche von Kirchhaslach und die Fresken des Katholiken Johann Nepomuk Nieberlein in den evangelischen Kirchen von Dinkelsbühl und Rechenberg belegen.
[1] Paleotti Discorso 1582/1594, Proemio/Pro oemium. Dieser Meinung ist auch noch Jakob in seinem Werk „Die Kunst im Dienst der Kirche“ (1857, 110; Gföllner Bildervorschriften 1905, 104–106).
Zuletzt aktualisiert am: 24.02.2016