883 Erwähnung einer Pilgerstätte in Alt-Birnau
1222 Schenkung (Zehnten und Patronatsherrschaft) an das Zisterzienserkloster Salem durch die Familie von Vaz
1241 Verkauf des umliegenden Landes an die Reichstadt Überlingen unter
Abt Berthold I. Urach (reg. 1240–1241)
1318 Indulgenzbrief Papst Johannes XXII. (reg. 1316–1334) 40-tägigen Ablass bei Besuch Birnaus
1384 Inkorporation Kloster Salem und Erhebung zum Priorat, gleichfalls Bau einer Kirche
um 1420 Entstehung des heutigen Gnadenbildes im Salzkammergut
1495 erste Erweiterung
1513 zweite Erweiterung
1592 dritte Erweiterung der Kirche
1643 Zerstörung der Kirche (ausgenommen die Marienkapelle mit Gnadenbild) durch französische Truppen
1655 Kirchweih des Neubaus
1696 Gründung der St. Josephsbruderschaft
1746 Verlegung der Wallfahrt nach Neu-Birnau oberhalb des Klostergutes Maurach unter Abt Stephan II. Enroth (reg. 1745–1746)
1746–1750 Abriss von Alt-Birnau und Neubau der Wallfahrtskirche unter Abt
Anselm II. Schwab (1746–1778) [Baumeister: Peter Thumb (1681–1766);
Stuckateur: Joseph Anton Feuchtmayer (>1696–1770); Maler: Gottfried Bernhard Göz (1708-1774)]
1750 sechstägige Kirchweih
1806/1807 Säkularisation des Kloster Salem und Ende der Wallfahrt, Überbringung des Gnadenbilds in den Salemer Münster, Birnau geht in den Besitz der Großherzöge von Baden über
1919 Verkauf Birnaus an das Zisterzienserkloster Wettingen-Mehrerau und Wiederbelebung der Wallfahrt[1]
[1] Historische Basisinformation siehe in der Seitenleiste unter Verlinkungen „LEO-BW - Landeskunde online erkunden“, ein Kooperationsprojekt unter Leitung des Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart.
Birnau gilt als der älteste Marienwallfahrtsort im südlichen Schwaben. Der ursprüngliche „Marianische […] Ganden=Ort Birnau […lag bis 1746] eine halbe Meile vom besagten Closter [Salem] und etwann eine halbe Stund von der Reichs=Stadt Uberlingen, auff einem sehr anmuthigen Berge, worvon der angenehme Prospect eines Theils besagte Stadt Uberlingen item den unden=gelegenen Boden=See und das Schweizerland, samt dem schier durchs ganze Jahr mit Schnee bedeckten hohen Alpen=Gebürge, andern Theils die Wein=Gärten, Auen und Wälder, dem Auge zur Ergötzlichkeit präsentieren. Wessenthalben dann auch der Weeg dahin für die Wallfahrter von sonderbarer Anmuth ist“[1]. Mit diesen Worten beschreibt Antonius Sartorius OCist in seinem Apiarium Salemitanum von 1708 die Lage von Alt-Birnau. Ein Kupferstich auf Folio CLXXXVIII zeigt das Gnadenbild und die Dimensionen der ursprünglichen Kirche, die mit der Verlegung der Wallfahrt 1746 abgerissen worden war.[2]
Die Ursprünge der Birnauer Wallfahrt sind unbekannt, lediglich eine Urkunde Kaiser Karls III., des Dicken (reg. 881–888) aus dem Jahr 883 mit dem Verweis auf eine Kapelle „ad pirningas“ weist auf seine lange Geschichte hin. Einen zweiten, eindeutigeren Hinweis auf die Wallfahrt ist ein Indulgenzbrief Papst Johannes XXII. (reg. 1316–1334) von 1318, durch diesen wurde dem Pilger einen 40-tägigen Ablass gewährt. Das Gnadenbild stammt aus dem Salzkammergut, wo es um 1420 hergestellt wurde. Die Krone wurde letztmalig 1733 unter dem Salemer Abt Konstantin Miller OCist (reg. 1725–1745) ausgetauscht. Die Seelsorge wurde zunächst von frommen Frauen, sogenannten Beginen[3], dann von Weltpriestern und ab 1384 infolge der endgültigen Inkorporation Birnaus direkt durch die Salemer Konventualen besorgt, wobei Birnau anders als die Reichsabtei stets der bischöflichen Obrigkeit unterstand. Über Besitzungen verfügte das 1137 gegründete Zisterzienserkloster Salem dort zwar bereits seit dem 18. Juli 1222, an diesem Tag übertrug die Familie von Vaz den Zehnten von Birnau und das Patronatsrecht an das Kloster.[4] Jedoch kaum zwanzig Jahre später entschied sich der Salemer Abt Berthold I. von Urach OCist. (reg. 1240–1241) zum Preis von 75 Mark Silber sowie einer Abgabenbefreiung zum Verkauf des umliegenden Landes an die Reichsstadt Überlingen als Weide.
Im 17. Jahrhundert wurde wegen der blühenden Wallfahrt die 1643 von französischen Truppenverbänden niedergebrannte Kirche rasch wiederaufgebaut. Vom Brand verschont blieb wie durch ein Wunder die Marienkapelle mit dem Gnadenbild. Die Mitgliederzahlen der 1696 gegründeten St. Josephsbruderschafts zeigen – 1707 8.000 Mitglieder; 1750 150.000 Mitglieder –, wie sehr sich die Birnauer Wallfahrt einer großen Beliebtheit erfreute. Das starke Aufblühen der Wallfahrt machte zum einen Birnau wirtschaftlich interessant und zum anderen bauliche Erweiterungen notwendig. Letztere jedoch gestalteten sich problematisch, da die Reichsstadt Mitsprache verlangte und sich meistens gegen solche sperrte. Weitere Streitpunkte waren das von Überlingen in den 1680ern errichtete Wirtshaus neben der Kirche, das aufgrund seines „liederlichen gesündels“[5] zum Dorn im Auge der Salemer Mönche wurde. In den 1740er spitzte sich der Streit zwischen der Reichsstadt und der Reichsabtei so sehr zu, dass sowohl Rechtsmittel in Form eines Gutachtens der juristischen Fakultät in Tübingen eingeholt, als auch Baumaßnahmen gewaltsam rückgängig[6] gemacht wurden. Der Tod Abt Konstantin Millers beendete endgültige weitere Umbauüberlegungen. Stattdessen wurde jetzt auf Salemer Seite über die Verlegung der Wallfahrt nachgedacht. Es wurden Genehmigungen nicht nur vom zuständigen Konstanzer Fürstbischof Kasimir Anton von Sickingen (reg. 1743–1750) und dem Landesherren der Grafschaft Heiligenberg, den Fürsten zu Fürstenberg-Stühlingen, sondern auch von Papst Benedikt XIV. (reg. 1740–1758) eingeholt.[7] Rechtlich nach allen Seiten abgesichert, stellte die Reichsabtei mit der „Entführung“ des Gnadenbilds nach Salem am 4. März 1746 die Reichsstadt vor ein fait accompli.[8] Eine Darstellung der Prozession, an der circa 2.000 Person teilnahmen, am rechten Bildhintergrund auf dem Porträt des Salemer Abtes Stephan II. Enroth OCist (reg. 1745–1746), gemalt von Gottfried Bernhard Göz (1708–1774), erinnert noch an dieses Ereignis. Der darauffolgende Protest der Reichsstadt verhallte ungehört. Einblick in die Vorbereitung, Rechtfertigung der Verlegung sowie der Kirchweih 1750 geben zwei gedruckte Berichte des Salemer Konventualen Pater Matthias Bisemberger OCist (1698–1767), der von 1749 bis 1756 Sekretär Abts Anselm II. und dann Superior in Birnau war. Als neuer Bauplatz wurde ein Gelände oberhalb des Klostergutes Maurach bestimmt. Die Baurarbeiten waren 1750 weitestgehend abgeschlossen.[9] Unter breiter Beteiligung der Bevölkerung wurde die neue Wallfahrtskirche am 20. September über ein Fest von sechs Tagen eingeweiht. Anfangs schadete die Verlegung des Gnadenbildes der Wallfahrt nicht. Überliefert ist, dass zwischen den 20. September 1750 (dem Tag der Weihe) und 27. Juni 1755 9.581 Messen, 223 Prozessionen und jährlich ungefähr 10.000 Kommunionen durchgeführt wurden.[10] Jedoch nach dem Bericht des Minorits P. Benevenut Stängele (†1904) in seiner 1887 veröffentlichten Wallfahrtsgeschichte Linzgovia Sacra scheint die Wallfahrt „trotz der vielfachen Bemühungen des Klosters nicht recht in Aufnahme gebracht werdn und Neubirnau nicht zu dem Ansehen von Altbirnau gelangen. […] Es kam zudem das Wehen des voltairischen Geistes über die Vogesen herüber, der […] den Wallfahrten und Klöstern das Lebenslicht ausblies.“[11] Ein vorläufiges Ende der Wallfahrt setzte die Säkularisation 1807. Erst 1919 wurde sie durch das Zisterzienserkloster Wettingen-Mehrerau wiederbelebt.[12]
[1] Sartorius Apiarium Salemitanum 1708, CXCVI, online: S. 210.
[2] Sartorius Apiarium Salemitanum 1708, Fol. CLXXXVIII, online: S. 213.
[3] Diese gründeten über Seefelden und Boos bei Saulgau 1241 das Zisterzienserinnenkloster Baindt, das Salem als Tochterkloster unterstellt wurde. Vgl. Lauterer 2000, 16. Übergreifende Informationen zu Beginentums im Bodenseeraum siehe Wilts 1994, 316.
[4] Vgl. Pemsl 2000, 61.
[5] Zitiert nach: Pemsl 2000, 64.
[6] Wie bspw. am 5.10.1742 zerstörten die Überlinger „unter Saracmentieren und fluechen“ das neu erbaute Wirtschaftsgebäude.
[7] Die gesamte Rechtfertigung der Wallfahrtsverlegung wurde unter dem Titel „Instrumentum Proto-Notariatus Publicum Oder Gründlich- und wahrhaffter Bericht Uber all das Jenige / was sich bey Feyrlichster Ubersetzung Der Uralt-Marianischen Wahlfarth zu Bürnaw / Und der daselbstig- Gnadenreichen Mutter Gottes Bildnuß In die Reichs Stüfft-Salmanseylisch-alligliche Ohe- und Niedere Gerichte / Territorium und Eigenthumb etc. zugetragen […]“ von Pater Matthias Bismberger OCist (1698–1767) verfasst und vom Buchdrucker Labhart in Konstanz 1746 verlegt. Vgl. Kalchthaler 2000, 81–85.
[8] Eine kurze Nacherzählung findet sich bei Kalchthaler 2000, 84f.
[9] Der Architekt Peter Thumb arbeitete noch bis 1751, während der Stukkateur und Bildhauer Feuchtmayer und seine Werkstatt die Ausstattung (wie bspw. die Galeriestatuen) bis 1758 fertigstellten. Vgl. Gubler 1972, 82.
[10] Nach Aufzeichnungen von P. Gervasius Feuchtmayer, vgl. Pemsl 2000, 69.
[11] Stengele 1887, 180f.
[12] Vgl. Lauterer 2000, 37–58.
Zuletzt aktualisiert am: 23.10.2015