Ottobeuren (Unterallgäu), Klostergebäude, südliches Galeriezimmer (Thalmeier) Zitieren
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„Die Deckhen seind an statt Stuccadorarbeit mit Farben gemahlt, damit man auch varire, und nit alles von Stuccador seye“[1].
Mit diesen Worten beschrieb Abt Rupert II. am 15. Juni 1724 die dekorativ-illusionistische Gestaltung der Decke, deren unmittelbarer Bestandteil auch die Erdteilallegorien sind. In Grisaille ausgeführt, befinden sich je zwei an den beiden Schmalseiten des 12,20 x 3,75 Meter großen Raums, der Teil einer Galerie von vier Zimmern ist. Die Erdteile sind in einem Programm eingebunden, das der Wissbegierde und dem Studium der Künste und Wissenschaften gewidmet ist. Im Zentrum der Decke sind zwei Personifikationen auf Wolken gebettet zu sehen: im Norden die Allegorie der Wissbegierde, im Süden die der Imitatio. Sie kommen in Begleitung zahlreicher Putti, die ihre Attribute halten. Während die Attribute der Curiositas, wie eine Inschriftenkartusche an der südlichen Schmalseite sie bezeichnet, – Korallen, Senkblei, ein Reif, eine Büste eines Mannes mit fünf Augen, ein Papagei, ein Narwalzahn, ein Stoßzahn eines Elefanten – auf die Erkenntnisgebiete Meer, Himmel, fremde Länder verweisen, sind der Curiositas Artis et Naturae die Attribute der Malerei zugeordnet. Auf ihrer Staffelei ist sie gerade dabei die Blüte der Natur, ein Rosenstrauch, einzufangen. Als Hilfsmittel zur Nachahmung der Natur dienen ihr Stechzirkel, Winkelmaß, Fernrohr und Wasserschälchen. Jeweils flankiert werden die beiden Allegorien durch zwei weitere Allegorien, die durch ihre monochrome Ausführung und auch Positionierung oberhalb des Gesimes als Teil der Scheinarchitektur zu lesen sind: im Süden die Bildhauerei und Geografie, im Norden die Malerei und die Astronomie. Zu dieser Gruppe unterstützender Figuren sind auch die Erdteilallegorien zu zählen. Diese sitzen den erwähnten Inschriftenkartuschen zur Seite. Im Norden umrahmen Afrika und Amerika die Kartusche
„Curiositas causa fere est Omnium, quae cognoscuntur à nobis, propter quam Naturae sec=reta inquiruntur S. Aug. L:10 Con C:35“[2].
Beide Personifikationen sind männlich, mit Federkrone und einem Tuch bekleidet, ihr Oberkörper entblößt. Afrika hält einen Bogen und Amerika einen Pfeil in der Hand. Der dazugehörige Köcher ist auf ihrem Rücken geschnallt.
Im Süden umrahmen Europa und Asien die Kartusche der Allegorie der Nachahmung
„Curiositas Artis et Naturae donis adjuta, utilis es; et thesaurum immortalis famae Colligit. Fabius. Pictor“[3].
Beide Personifikationen sind im Gegensatz zu ihren „wilden“ Geschwistern in ein wallendes Gewand gekleidet, mit Krone oder Turban „bekrönt“ und halten Attribute ihres Glaubens und Herrschaftsanspruches in der Hand: Europa mit Kreuz und Zepter, Asien mit Halbmond und Zepter.
Die Inschriften sind Paraphrasen aus antiken Schriften, deren Autor jeweils angegeben wurde. Die erste bezieht sich auf das 34. und 35. Kapitel des 10. Buches der Confessiones des Kirchenvaters Augustinus. In diesen warnt er vor der „Sucht der Erkenntnis durch das Fleisch“ und betont die Erkenntnis durch die menschlichen fünf Sinne, insbesondere den des Sehens (Büste mit fünf Augen). Die zweite soll sinngemäß aus der Feder des römischen Politikers und Geschichtsschreibers Quintus Fabius Pictor stammen, allerdings ist ein genauer Beleg ausständig.[4] Ein Affe, der unterhalb der Personifikation der Imitiatio zu sehen ist, gibt Aufschluss über die Botschaft. Er hält einen Männerkopf in der einen und einen Spiegel in der anderen Hand. Während Kunst und Wissenschaft von Dauer und Bestand sind, ist die Beschäftigung mit dieser durch den Menschen nur ein kurzlebiges Affenwerk. Ausgedrückt durch den Affen und den Spiegel, denn das Studium mit Künsten und Wissenschaften wird „in diesen Affenpossen spielerisch-witzig nachgeahmt, oft mit sartirischem Hintersinn. Hier hält der Affe dem menschlichen Gesicht einen Spiegel vor; auch der Spiegel ist Imitation; nur hat das Spiegelbild keinen Bestand – es ist Affenwerk.“[5]
Das Bildprogramm korrespondiert, so die Vermutung in der Forschung, mit der Zweckbestimmung der Zimmerfolge. Der Raum 254 soll als Kunstkammer gedient haben, was mit dem Programm einhergehen würde.[6] Abt Rupert ließ zwei Jahre vor Ausmalung bereits „insgesamt vier intarsierte Schränke“[7] aufstellen.
[1] Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 325
[2] „Wissbegier ist in der Regel der Anstoß für unsere Erkenntnis; dadurch werden die Geheimnisse der Natur erforscht“ zitiert nach und übersetzt durch ebenda, 328.
[3] „Wissbegier, unterstützt durch die Gaben der Kunst und der Natur, ist nützlich und sammelt einen Schatz unsterblichen Ruhms“ zitiert nach und übersetzt durch ebenda, 329.
[4] Vgl. ebenda.
[5] Ebenda, 332.
[6] Vgl. Lieb 1964, 353.
[7] Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 322.
Programm der schlauchartig angeordneten Zimmer (Süd-Nord):
- Zi. 252 (südlich) Entrückung des Johannes und des Paulus
- Zi. 254 Curiositas und Imitatio, als Grisaillefiguren die vier Erdteile
- Zi. 255 (nördlich) Veritas und Iustitia, umgeben von vier Reiterszenen
- Zi. Geheimes Archiv (nördlich): Verherrlichung der Heiligen Dreifaltigkeit durch Abt Rupert II. Neß
- Zi. 257 (nördlich): Varitas Vanitatum
Als Nachschlagewerk für die Allegorien bediente sich Thalheimer der Iconologia von Cesare Ripa, wobei er sich nicht sklavisch an dessen Vorgaben hielt. Von den Erdteilen nahm er sich besonders die Amerika als Vorbild, und auch das Gewand der Asia gleicht dem Ripas.
Für die Komposition des Deckenbildes zog er Paul Deckers Schrift „Fürstlicher Baumeister, Oder Architectura Civilis: Wie Grosser Fürsten und Herren Palläste, mit ihren Höfen, Lusthäusern, Gärten, Grotten, Orangerien, und anderen darzu gehörigen Gebäuden füglich anzulegen, und nach heutiger Art auszuzieren […]“ heran, die zwischen 1711 und 1716 in drei Bänden erschienen ist und als Volltext-Digitalisat bei der UB Heidelberg abrufbar ist:
- Band 1, Augsburg, 1711: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/decker1711
- Anhang zu Band 1, Augsburg, 1713: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/decker1713
- Band 3, Augsburg, 1716: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/decker1716
2. OG des inneren Längstraktes
1713–1715 Bau der Südhälfte des inneren Längstraktes mit ostseits verlaufendem Gang im 2. OG
1722 Schaffung von fünf Räumen (vier Galeriezimmer und das Geheime Archiv) durch Unterteilung des Ganges
1724 Ausmalung der Zimmer (Maler: Arbogast Thalmeier)
Zuletzt aktualisiert am: 24.02.2016