Besondere Fakten zur Zeit der Entstehung der Erdteilallegorien[1]:
764 Gründung des Klosters
830 urkundliche Ersterwähnung als „Uttinbura“
972 Erhebung zum Reichskloster
1710 Erlangung der endgültigen Reichsunmittelbarkeit durch Kauf des Vogteirechtes vom Augsburger Fürstbischof
1711–1731 Neubau der Klosteranlage unter Abt Rupert II. Neß (reg. 1710–1740); Entwurf: Christoph Vogt OSB; Leitung: Johann II. Brenner (bis 1717), dann Simpert Kramer – folgende Stichpunkte sind beschränkt auf die Räumlichkeiten mit den Erdteilallegorien: Salettl, westliches Treppenhaus im Kaisertrakt, Galeriezimmer und nördliches Treppenhaus im Mitteltrakt
- 1719 und 1721 Ausstattung des Salettls im 2. Obergeschoss (Stuckateur: Andrea Maini, zug., und Gaspare Mola, zug.; Maler: Johann Jacob Stauder)
- 1722 Ausmalung des Mitteltreppenhauses mit einer Darstellung „SS. P. Benedictus auf einem Triumphwagen von den 4 Theilen der Welt gezogen“[2] (Reslfeld-Stich); Maler: Arbogast Thalheimer, zug. => 1725 Übermalung des Freskos mit einer Darstellung „S. Benedictum in gloria“ (ohne EA); Maler: J. C. Stauder
- 1723–1725 Ausstattung des nördlichen Treppenhauses zum Kaisersaal (Stuckateur: Andrea Maini; Maler: Franz Joseph Spiegler)
- 1727/1728 Ausstattung des Abteit-Treppenhauses (Stuckateur: Andrea Maini, Leitung und Francesco Gerolamo Andreoli, zug. Ausführung; Maler: Franz Anton Erler)
1711–1736 Planung der Klosterkirche (maßgeblicher Entwurf: Christoph Vogt OSB, †1725; weitere Entwürfe von Kaspar Radmiller 1730, von Andrea Maini, 1729–1731, von Dominikus Zimmermann 1732 und von Joseph Schmuzer 1734/1735)
1737–1766 Neubau der Klosterkirche unter den Äbten Rupert II. Neß und Anselm Erb (reg. 1740–1767)
1766 Jubiläumsfeier anlässlich des 1000-jährigen Bestehens des Klosters
[1] Historische Basisinformation siehe in der Seitenleiste unter Verlinkungen „Klöster in Bayern“, ein Projekt des Hauses der bayerischen Geschichte, Augsburg.
[2] Aus dem Diarium des Abtes Rupert II. Neuß vom 20.12.1722, zitiert nach: Bildwelt Ottobeuren 1/2014, 9.
WICHTIG: Die Raumbezeichnungen folgen den Angaben im „Bildwelt Ottobeuren 2014, XXVII-XXXIX“, da die Autoren die Nutzung des 18. Jahrhunderts zugrunde gelegt haben.
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (244–247):
Abt Rupert II. Neß (†1740) begann ein Jahr nach seinem Amtsantritt, 1711, mit der Ausstattung der Klostergebäude, ein Projekt, das noch seine Nachfolger Abt Anselm Erb (†1767) und Abt Honorat Göhl beschäftigen sollte. Im Zuge der ersten großen Ausstattungsphase in den 1720er-Jahren entstanden im Klostergebäude in fünf Räumen sechs verschiedene Darstellungen der Erdteilallegorien. 1719 schuf er die ersten Stuckreliefs jeweils in den vier Ecken der Decke des Empfangs- und Speisezimmers des Abtes, dem sogenannten „Salettl“. Sie werden Gaspare Mola, einem Mitglied der Werkstatt des Italieners Andrea Maini, zugeschrieben.[1] Im Zentrum der Decke band anschließend 1721 der Konstanzer Maler Jacob Carl Stauder in Anlehnung an seine Donauwörther Komposition die Erdteile in ein kosmologisches Programm ein.
Ein Jahr später, 1722, malte der Hausmaler des Klosters, Arbogast Thalheimer, den Abt Rupert II. „als wortgetreue[n] Interpret[en] für seine ausgeklügelten Programme“[2] schätzte, im mittleren Treppenhaus zum Kaisersaal einen Triumph des heiligen Benedikt, für den ihm der Stich Johann Karl Reslfelds als Vorlage gegeben wurde. Das Ergebnis gefiel dem kunstsinnigen Abt nicht und er ließ das Werk bereits 1725 von Stauder wiederum mit einer Glorie des heiligen Benedikt, allerdings ohne die Erdteile, übermalen. Andere Erdteildarstellungen von Thalheimer sind in den südlichen Galeriezimmern, die als Kunstkammer bestimmt waren, überliefert. Er malte diese 1724 in Grisaille und verwendete als Vorlage die Iconologia von Cesare Ripa.
Zeitgleich malte der junge Maler Franz Joseph Spiegler, ein Landsmann des Abtes, im nördlichen Treppenhaus zum Kaisersaal in einzelnen Kartuschen die Erdteile. Ein Vergleich der Erdteile von Stauder und Spiegler zeigt, dass sie in ihrer Ausführung unterschiedlichen Generationen angehören. Die Steifheit der Erdteile Stauders ist seiner konservativ-traditionellen Malweise geschuldet. Ganz anders Spiegler, der erstmalig das Thema umsetzte und sich hierbei nicht etwa Stauders Erdteilallegorien im Salettl, sondern die in Stuck ausgeführten Allegorien des Italieners Mola zum Vorbild nahm und auf Vorlagen wie die Iconologia von Cesare Ripa zurückgriff. Sie sind bewegt, dynamisch, raumgreifend. Seine späteren Erdteilallegorien, insbesondere die in der Vierungskuppel der Klosterkirche zu Zwiefalten von 1749, steigern sich noch in ihrer Furiosität, obwohl er stets seiner Komposition treu bleiben wird. Ein Jahr nach den Erdteilallegorien von Ottobeuren malte Spiegler sie im Festsaal des Bonndorfer Schlosses erneut und erinnerte sich wohl stärker an die Amerika-Darstellung Molas, da auch hier der ausgestreckte Arm mit Bogen und der mit einem Pfeil durchbohrte Kopf zu finden sind.
Die letzten Erdteilallegorien im Konventgebäude der Benediktiner entstanden 1728 von der Hand Franz Anton Erlers im Abteitreppenhaus. Erler, geboren um 1700 in Eglofs in Unterallgäu, setzte seine Erdteile in ganz selbstständiger Weise um. Er lernte zunächst bei Spiegler (1718) und kam im Anschluss daran als Geselle nach Ottobeuren, wo er unter Führung von Thalheimer bis 1721, dem Jahr seiner Meistergerechtigkeit, arbeitete. In Ottobeuren wohnte er bis zu seinem Tod 1745. Den Auftrag zur Ausmalung des Abteitreppenhauses hatte er dem Abt Rupert II. „extorquirt“ und ihn nur deswegen erhalten, da zum einen der vom Abt sehr geschätzte Venezianer und Münchner Hofmaler Jacobo Amigoni nicht zur Verfügung stand und zum anderen Erler „2 Jahr in Italien practicirt“ haben soll.[3] Für Erler bedeutete dieser Auftrag eine Herausforderung, da die räumlichen Bedingungen ihn zwangen – anders als in seinen vorherigen Werken für Ottobeuren[4] –, in besonderem Maße zu einer eigenständigen Lösung zu gelangen. Er behalf sich, indem er sich auf Vorbilder von seiner Italienreise besann. Hierdurch wird das Treppenhausfresko zu einem prägnanten Beispiel für einen horizontalen Kulturtransfer zwischen Neapel und Ottobeuren, in dem die Darstellung anders als bei dem später vorgestellten Fall von Costanzi/Rom-Kuen/Fischach nicht an die „Sprache des Volkes“ angepasst werden musste. Die Europa, die im Gegensatz zu klassischen Erdteildarstellungen mit einem rein weltlichen Herrschaftssymbol, einem Liktorenbündel, attributiert ist, hat Erler einer Gruppe von Tugendpersonifikationen im Sakristeifresko der neapolitanischen Kirche San Paolo Maggiore entnommen. […]
Obwohl Abt Rupert II. das ausgeführte Fresko nicht zusagte – er kommentierte es mit dem Wort „passabel“ und überließ es dem Urteil anderer Künstler –, ließ er es nicht, anders als Thalheimers Werk im mittleren Treppenhaus, durch Jacopo Amigoni übermalen, der nur ein paar Monate später erneut nach Ottobeuren kam, um dort die sogenannten Amigoni-Zimmer sowie den Vorplatz auszumalen. Über das Verhältnis der beiden einheimischen Maler Erler und Thalheimer ist nichts Genaueres bekannt, außer dass das anfängliche Meister-Gesellen-Verhältnis nicht unter einem guten Stern gestanden hatte. Thalheimer führte bereits am 6. Mai 1720 – wie ein Verhörprotokoll im Amtsgericht Ottobeuren belegt – Klage wegen Beleidigung gegen den „Malergesellen Anton Ehrler von Egloff“[5]. Später konkurrierten sie nicht nur mit den „auswärtigen“ Malern[6], sondern auch gegeneinander.[7]
Wie zahlreiche Einträge in seinem Diarium belegen, hatte Abt Rupert II. stets „underschidliche Gedanckhen […] mahlen zu lassen“[8]. Er gab den Malern genaue Instruktionen wie auch zum Teil Vorlagen zur Hand. Einzig ein Programm stammt vermutlich nicht aus seiner Feder, sondern aus der eines seiner Mitbrüder, P. Benedikt Schmier. Als Autor verschiedener Werke zur Erbsünde sowie durch seine 22 Jahre dauernde Lehrtätigkeit an der Benediktiner-Universität Salzburg, dem „Zentrum der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariens um 1700“[9], war Schmier wohl prädestiniert für die Formulierung des einzigen mariologischen Programms im gesamten Klostergebäude: im Abtei-Treppenhaus.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das schwäbische Escorial Ottobeuren primär ein Werk „auswärtiger“ Maler, von italienischen und süddeutschen Größen, ist.[10] Auch die Ausmalung der späteren Klosterkirche wurde keineswegs den Söhnen Thalheimers, Franz Anton und Arbogast d. J., übertragen, sondern den Gebrüdern Zeiller aus Reutte anvertraut. Anders als die im Klostergebäude von der Öffentlichkeit abgeschotteten Erdteilallegorien wurden die für alle zugänglichen und sichtbaren Erdteilallegorien in der Kuppel der Vierung der Klosterkirche Mittler eines vertikalen kulturellen Austausches, als Franz Xaver Bernhardt diese 1775 in seinem Chorfresko in der Kirche St. Nikolaus in Bernbeuren kopierte.
[1] Andrea Maini beschäftigte hauptsächlich Landsleute in seinem Trupp. Vgl. Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 498.
[2] Bildwelt Ottobeuren 1/2014, IX.
[3] Während Norbert Lieb 1931 den Italienaufenthalt unmittelbar vor Ottobeuren vermutete, was allerdings mit Sabine Neuberts Fund in Wolfegg kollidiert, schätzen Matthias Kunze und die Autoren der Bildwelt Ottobeurens (2/2014, 242) die Bemerkung des Abtes rezenter ein, indem sie den Aufenthalt Erlers zwischen 1724 und 1727 ansetzen. Diese Datierung ist vor dem Hintergrund plausibel, dass Erler erstens seit seiner Verheiratung 1721 jedes Jahr bis 1724 und dann erst wieder am 20. August 1727 Vater einer Tochter geworden war. Zweitens sind für Erler keinerlei Werke in diesem Zeitraum dokumentiert. Vgl. Lieb Ehrler 1931, 110; Neubert Spiegler 2007, 90 (In den Rechnungsbüchern der Grafschaft Wolfegg wird 1718 im Zusammenhang mit Franz Joseph Spiegler „sein Jung Antone Erler“ erwähnt.); AKL Erler 2002, 399 (M. Kunze); Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 242.
[4] 1727 malte Erler in den nördlichen Galeriezimmern und im Vogelzimmer die Fresken. Vgl. Bildwelt Ottobeuren 1/2014, XLII.
[5] Registratur des Amtsgerichts Ottobeuren, 1719/1723 Blatt 100, zitiert nach: Lieb Ehrler 1931, 106.
[6] Neben den Genannten hinterließen in Ottobeuren auch der junge Franz Georg Hermann und Hieronymus Hau aus Kempten sowie der Venezianer Jacopo Amigoni Werke. Vgl. ausführliche Vorstellung der in Ottobeuren tätigen Künstler Dischinger Ottobeuren 1/2011, 249f.
[7] Erler löste Thalheimer als primärer Hausmaler ab. Nach 1728 wird ausschließlich Erler als Maler beauftragt. Für eine Übersicht über die verantwortlichen Künstler in Ottobeuren von 1712 bis 1768 vgl. Bildwelt Ottobeuren 1/2014, XL–XLII.
[8] So schreibt der Abt am 31. Mai 1723 anlässlich der Ausmalung des Kaisersaals durch J. C. Stauder in sein Tagebuch; zitiert nach: Dischinger Ottobeuren 3/2011, 729.
[9] Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 245.
[10] Diese rege Bautätigkeit resultierte in Ottobeuren in einem Anstieg der Zahlen der ansässigen Handwerker: Vom Anfang des 17. Jahrhunderts bis in die 1760er-Jahre hat sich die Menge der im Baugewerbe Tätigen vervierfacht. Siehe Anm. 192 in der vorliegenden Arbeit.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Zuletzt aktualisiert am: 24.02.2016