Ottobeuren (Unterallgäu), Klostergebäude, Salettl [Fresken] Zitieren
In seinem Diarium beschreibt der Auftraggeber Rupert II. Neß die Ausstattung seines Speise- und Empfangssalons[1] mit folgenden Worten:
„Es ist septima mundj aetas, in qua vivimus, in disem Stuckh exprimirt, nemblich Salvator in einen Triumphwagen von 4 Evangelischen Thieren gezogen, praeducente S. Joanne Baptista, & praeeunte tempore, cum fama, so in einem Fahnen dise Wohrt führet: venit plenitudo temporis. Gal. C. 4. Salvator leint und steyrt sich auf Ecclesiam Catholicam. Oben umb lassen sich sehen Justitita, Innocentia, Angelus delens Chyrographum sanguine Christi. Unden ein Engel, so in einer Handt ein Schlangen, in der anderen ein feyrigen Straal mit dem Namen Maria, anzueütten, ipsa conteret caput tuum. Sambt den 4 Theilen der Welt, so von Salvatore & Ecclesia erleichtet werden. Neben anderen Gedanckhen, Archtectur.“[2]
Im Zentrum des Bildes sitzt Christus in einer Biga, die von den vier Symbolen der Evangelisten – Adler, Engel, Stier und Löwe – gezogen wird. Ihre Zügel hält Johannes der Täufer (Kamelfell, Kreuzfahne mit Spruchband: Ecce Agnus Dei) in seiner Hand. Er schreitet dem Wagen voran. Vor ihm kündigt ein schwebender Herold mit zwei Trompeten den Zug an. Auf dem Wimpel einer seiner Trompeten ist die Botschaft des Bildes zu lesen: VENIT PLENITUDO TEMPORIS Gal: C.4.[3] Flankiert wird der Zug von zwei Allegorien. Etwas entfernt vom Wagen, auf Wolken ruhend, schaut die Allegorie der Zeit und der Vergänglichkeit Chronos (Sense, Stundenglas) auf den Zug. Zur rechten Seite der Biga kniet die Allegorie der Kirche und des Glaubens (Tiara, Messkelch, Pluviale und Albe). Christus ist das verbindende Element zwischen beiden. Mit seiner linken Hand deutet er vorbei an einem leeren Kreuzbalken, der von einem Engel getragen wird, auf Chronos, mit seiner rechten stützt er sich auf Fides-Ecclesia. „Gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich der Toten, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel“ verheißt er, fest im Glauben, den Sieg über den Tod.
Auf dieselbe Erlösungsbotschaft beziehen sich die beiden anderen Allegorien der Unschuld (weißes Gewand, rosafarbenes Tuch, Lammopfer auf der Heiligen Schrift) und der Gerechtigkeit (Schwert, Waage) links im Bild. Das Blut des Lammopfers ergießt sich auf eine unter ihm befindliche Weltkugel. Ein Engel nutzt es, um die Welt analog zum Schuldschein-Gedanken nach Kol 2,14 von seinen Sünden mit einem Schwamm reinzuwaschen.
Daran anschließend haben sich die Repräsentanten der Menschheit hinter einer Brüstung auf Erden versammelt. Europa, prächtig in einem wallenden Umhang gekleidet, mit einer Krone bekrönt und ein Zepter haltend, steht außen links. Neben ihr sucht die schwarzhäutige Afrika mit Federschmuck, Goldkette und Speer den Blickkontakt zum Betrachter. Als leuchtender Kontrast zwischen der in Rückenfigur wiedergegebene dunkelhäutige Allegorie Amerikas (Köcher, Bogen, Federschmuck) und Afrika schaut auch die hellhäutige Asia nicht wie ihre Schwestern Europa und Amerika nach oben, sondern zum Besucher. Ein mit Perlenschnüren verzierter Turban, der mit einem Halbmond bekrönt ist, weist sie als Bewohnerin Asiens aus. Die Gruppe schließt der Erzengel Michael ab. Dieser kämpft noch gegen Häresie und Unglaube, symbolisiert durch die Schlange, die er über die Brüstung hält. Er ist im Begriff, der Schlange das Haupt mit seinem Flammenschwert, in dem das Marienmonogramm aufflammt, abzuschlagen. Sein Sieg in diesem „siebten Weltalter“ ist absehbar. Ein Weltalter, das mit dem Opfertod Christi begann und in Frieden und Gerechtigkeit andauert („in qua vivimus“).
Der Auftraggeber selber ist an der Unterseite des Balkons, auf dem die vier Erdteile stehen, mit seinem Wappen und den Initialen R A O verewigt.
Dem Fresko untergeordnet ist die Stuckausstattung, in der ebenfalls die vier Erdteile in Form von Stuckreliefs in den vier Ecken des Raumes eingebettet sind. Diese verweist auf die Harmonie des Kosmos, sprich der natürlichen Ordnung der Dinge.
[1] Neben diesem gebrauchte der Abt noch drei andere Zimmer als Tafelstuben. Vgl. Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 494 Anm. 4.
[2] Tagebuch des Abtes Rupert II. Ness, zitiert nach: Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 497.
[3] „Als aber die Fülle der Zeit kam. Gal 4,4“, zitiert nach und übersetzt durch: Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 497.
Die sieben Weltalter:
- sechs der sieben Weltalter als goldgefasste Standfiguren:
- Osten:
- Adam mit Baumfrucht an einem Stamm gelehnt – Kartusche: Putto mit Bildnis des Paradiesbaums und Schlange; Inschrift: Ia Aet. in Adamo INFANTIA.
- dazwischen eine Inschriftentafel: MUNDI AETATES
I.ma Annorum MDCLVI. [= 1656]
II.da CCCXXCII. [= 382]
III.tia = CDLXXV. [= 475]
computatur:
IV.ta = CDLXXVI. [= 476]
V.ta = DLXXVII. [= 577]
V.ta = DXXXVI. [= 536]
Sex Aetatum mundi usque aa Chrstium Natu Anni IV.LII. Vel: Calculo Ecclesiae V.C.X.CIX - Noah mit Arche – Kartusche: Putto mit Bildnis der gelandeten Arche auf dem Berg Ararat; Inschrift: IIda in Noemo PUERI.
- Norden: Abraham mit Isaak auf dem Brandopferaltar – Kartusche: Putto mit Bildnis eines brennenden Holzhaufens; Inschrift: IIItia in Abrahamo ADOLESCENTIA
- Süden: Moses mit Stab und Gesetzestafeln – Kartusche: Putto mit Bildnis eines brennenden Dornbusches; Inschrift: IVtia in Moyse IVENTUS
- Westen:
- König David mit Harfe – Kartusche: Putto mit Bildnis des Hauptes Goliaths; Inschrift: Vta in Davide VIRILIS
- dazwischen eine Inschriftenkartusche: In Iesu Christo Mundi Salvatore VIIma Mas Annorum MDCCXXI Renata VIIIva In coelis aut Inferis Eaque Perenis ac Novissima.
- Zorobabel mit Turban, Schild und Feldherrnstab – Kartusche: Putto mit Bildnis eines göttlich erleuchteten Tempels; Inschrift: VIta in Zorobabele SENILIS.
- Osten:
- das siebte Weltalter im Deckenfresko: Verherrlichung Christi und der Triumph der Kirche durch die vier Erdteile
- weitere Stuckreliefs in den Ecken und oberhalb des Gesimes der Decke sowie der Kapitelle der Pilaster zum Gedanken der Ausbreitung des christlichen Weltalters: die vier Erdteile, die vier Elemente, die Lebensalter oder Tageszeiten (?), Köpfe von Personen verschiedener Nationalität
1972 wurde das Salettl letztmalig restauriert, wobei das Deckenfresko ausgespart wurde. Das Team umfasste den Restaurator Erich Marschner (Memmingen), den Kirchenmaler Hermann Dreyer (Frechenrieden) und der Stuckateur Josef Schnitzer (Augsburg).
Abt Rupert II. Neß hat in der Regel das Programm dem Künstler vorgegeben. Sein Lob an J. C. Stauder der „inventio“ (s. Arbeitsverlauf unten), das er in einem Tagebucheintrag vom 22. April 1721 aussprach, scheint im Fall des Salettls auf eine Autorenschaft durch den Künstler zu verweisen. Allerdings lässt die Ausführlichkeit, mit der der Abt sowohl im April als auch im Mai das Programm erläutert, auf ihn als eigentlichen Verfasser schließen. Er schreibt in seinen Erläuterungen:
„Der Gedanckhen sambt dem Saal ist recht wohl und gutt gemacht ad gloriam Salvatoris, qui nos pretioso sanguine redemit.[1] […] All dises habe allhero annotiren wollen, ut sciat posteritas, was man mit disen Schriften anzeigen wollen. Es seind eben Gedanckhen, welche in compendio vil andeitten, auch occasion zu vilen discursen geben können, wie dan daraus zu ersehen aetas mundi, ad mentem historicorum, praesertim P. Bucelinj, P. Saliani, & aliorum, obwohlen andere authores dise aetates anderst computiren, & praecipue Ecclesia Catholica iuxta 72 interpretes annos a creatione mundj numerat 5199, iuxta martyrologium in vigil. Nat. Dom.“[2]
[1] Eintrag vom 22.4.1721, zitiert nach: Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 505.
[2] Eintrag vom 10.5.1721, zitiert nach: ebenda.
Zunächst wurde die stuckierte Ausstattung durch die Werkstatt des Italieners Andrea Mainis 1719 fertiggestellt. Als Schöpfer der Figuren und vermutlich auch der Reliefs kann sein Mitarbeiter Gaspare Mola angesehen werden.[1] Im Anschluss daran führte Jacob Carl Stauder zwei Jahre später die Fresken aus. Sein erstes Werk („Probestück“) für den kunstsinnigen Abt Rupert II. Neuß fertigte er rasch und einfallsreich zum Wohlwollen des Auftraggebers aus, der in seinem Diarium am 21. April 1721 festhielt:
„Weilen in dem kleinen Vorsaal der Sommerabbtey eine Cupula auszumahlen ware, sambt Zugehörde, so habe solches Stuckh H. Johann Jacob Stauder Constantiensi anvertraut, welches er auch mit Ölfarben auf die Maur in 10 bis 12 Tagen gemacht, darfür ich ihme 300 f. bezahlt. Es wolte mich vil Gelt gedunckhen, weilen er aber ein schönes Stuckh und invention gemacht, so habe solches müssen gelten lassen.“[2]
[1] Vgl. Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 494.
[2] Zitiert nach: ebenda, 495.
Zuletzt aktualisiert am: 24.02.2016