Vierzehnheiligen (Lichtenfels), Mariä Himmelfahrt Zitieren
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Die Kanzel befindet sich im Langhaus am südöstlichsten Pfeiler frei hängend. Auf einem Kanzelfuß, an dem zwei Putti eine leere Kartusche halten, erhebt sich einem quadratischem Blütenkelch gleich der Kanzelkorb. Während die Seiten drei Reliefs mit szenischen Darstellungen der vier Evangelisten zeigen, schmücken die Ecken die vier Büsten der Erdteile. Sie bilden stets den krönenden Abschluss von vier Agraffen. Asien und Europa flankieren den Evangelist Lukas und schauen auf das Chorgeschehen. Daran schließt sich Afrika auf der anderen Seite mit den Relief der Evangelisten Markus und Johannes an. Den Schluss am Übergang zur Kanzeltreppe bildet Amerika, rechts des Reliefs mit dem Evangelisten Matthäus. Bis auf den „jüngsten“ Kontinent, der eher seltenen Schmuck einer Sonnenscheibe trägt, weisen alle typische Attribute auf:
- Asien – Turban mit Halbmond und Perlenkette
- Europa – Krone
- Afrika – Elefantenexuvie, Federschmuck und negroide Physiognomie
- Amerika – Stirnreif mit Sonnenscheibe
Über dem Kanzelkorb erhebt sich der Schalldeckel, bestehend aus einem Erdball und einem Strahlenkranz. Im Glanze dieser schwebt unter der Kugel und über den Priestersitz der Heilige Geist in Gestalt einer Taube. Es umgeben ihn und die Erdkugel sieben Flammen. Über dem Strahlenkranz vor einem senkrecht in die Höhe strebenden Strahl lüftet ein Putto den Vorhang von einem offenen Buch, das von einem Engel gehalten wird. Das Buch trägt folgende Inschrift: ATTEND / DITE / POPULE / MEUS / LEGEM / MEAM / INCLINA /=TE / AUREM / VESTRA / IN / VERBA / ORIS / MEI / PSALM 77[1].
Die Erdteilallegorien sind Teil einer typischen Kanzelikonografie, die den Betrachter, den Gläubigen dazu auffordert, dem Wort Gottes zu lauschen und zu folgen. An oberster Stelle ist der Heilige Geist dargestellt, wie er die ganze Welt erfüllt. Die sieben Flammenzungen verweisen auf die Ausgießung der sieben Gaben des Heiligen Geistes. Diese befähigten die empfangende Menschheit zum eigentlichen Verstehen der Botschaft (vgl. Apg 2, 1–13), die am Kanzelkorb durch die vier Evangelisten in aller Welt – symbolisiert durch die Büsten der vier Erdteile – getragen wurde. Der Pfarrer, der Prediger steht in dieser Predigttradition, und sein Wirkungsort ist die Kanzel im Kirchenraum.
[1] Korrekter Wortlaut und Übersetzung nach einer lateinisch-deutschen Bibelausgabe von 1749: „Attendite popule [! us] meus legem meam: inclinate aurem vestram in verba oris mei.“ = „Mein Volk! Habe acht auf mein Gesetz: neiget euer Ohr auf die Wort meines Munds“. Vgl. Erhard, Thomas Aquinas, Biblia sacra Vulgatae Editionis…oder Heilige Schrifft, des Alten und Neuen Testaments …, Grätz und Inspruck: Philipp Jacob Veith und Wolff 1749.
KANZELFUSS
zwei Putti eine leere Kartusche haltend
KANZELKORB
- Reliefs: die vier Evangelisten
- Ecken: die vier Erdteile
SCHALLDACH
- Unterseite: Heiliger Geist als Taube schwebt unterhalb einer Sonnenkugel, deren Strahlen das Schalldach bilden und auf die sieben Gaben verweisen
- Oberseite: ein Strahl erhebt sich in die Höhe, vor diesem lüftet ein Putto den Vorhang eines aufgeschlagenen Buchs mit Inschrift, das von einem Engel gehalten wird – Inschrift: ATTEND / DITE / POPULE / MEUS / LEGEM / MEAM / INCLINA /=TE / AUREM / VESTRA / IN / VERBA / ORIS / MEI / PSALM 77
Obwohl die Kanzel mehrfach restauriert wurde (1835, 1902, 1914–1919), fand die wichtigste Restaurierung 1989 statt. Es wurden Überfassungen abgenommen, Fehlstellen ausgebessert sowie einer generelle Reinigung vorgenommen. Besonders beim Vorhang wie auch bei den Wolken am Schalldeckel wurde versucht, den Originalzustand der Farbigkeit wiederherzustellen.[1]
[1] Vgl. Stößel 1990, 267-286; Visosky-Antrack 2000, 213.
In der Berliner Kunstbibliothek hat sich ein 43,8 x 27,7 Zentimeter großer Entwurf zur Vierzehnheiliger Kanzel erhalten. Dieser wird im Gegensatz zur bisherigen Forschungsmeinung[1] von Iris Chr. Visosky-Antrack nicht Johann Michael Küchel[2] (1703–1769), Pankraz Fries[3] (1736–1780) oder Johann Michael Feichtmayr zugeschrieben, sondern dem fürstbischöflichen Hofstuckateur aus Würzburg Materno Bossi. Sie wiederlegt beziehungweise begründet dies in ihrer Künstlermonografie der Gebrüder Antonio und Materno Bossi aus dem Jahr 2000 wie folgt:
- begrenzte Auswertung der Quellen (nur bis 1743) durch Johann Joseph Morper 1960
- Die Beschriftung des Kanzelrisses lautet „J.F. Frieß“ statt erwartungsgemäß „P. Fries“. Sie vermutet, dass das Blatt einem entsprechenden Künstler als Studienobjekt zu einem späteren Zeitpunkt gedient haben mag. Die andere Signatur „Joh. Gg: Neser/Schreinermeister/Burgebrach“ scheint später hinzugefügt worden sein.
- Die einzige für Feichtmayr gesicherte Kanzel in der St. Peterskirche in Bruchsal zeigt keinerlei Übereinstimmungen mit der vorliegenden Kanzel. Sie ist konventionell in Aufbau (schwerer, baldachinartiger Schalldeckel).
- Ähnlichkeit der Kanzel (Grundriss, Aufriss) zum Werk Bossis in der Würzburger Hofkirche, die die Werkstatt Bossis 1774 ausgeführt hatte. Es finden sich am Kanzelkorb ebenfalls als weibliche Büsten die vier Erdteile in Kombination mit den vier Evangelisten in Relief ausgeführt. Die Treppe weist auch nierenförmige Durchbrechungen auf. Das Schalldach steht zwar noch in der Tradition einer Baldachinarchitektur, aber ein Strahlenkranz leuchtet an seiner Unterseite. Die Kanzel in Vierzehnheiligen fügt sich schlüssig an den Anfang der für Bossi gesicherten Kanzeln mit Erdteilbüsten in der Würzburger Franziskanerkirche zur Kreuz-Auffindung (nach 1774, 2. Weltkrieg zerstört), Heidenfeld (1783/1784), Triefenstein (1785/1786), Bad Kissingen (1786) und Zellingen (1787/1788) ein. Seine späten Kanzeln der 1780/1790er-Jahre entsprechen mehr dem klassizistischen Zeitgeschmack. Allerdings trotz aller Gemeinsamkeit zwischen Würzburg und Vierzehnheiligen existieren auch Unterschiede, die in der handwerklichen Umsetzung des plastischen Schmucks liegen. Aus diesem Grund kommt Visosky-Antrack zum Schluss, dass zwar der Entwurf von Bossi stammt, aber „Teile der Kanzel vor Ort und von einem anderen Künstler ausgeführt wurden.“[4]
Ein weiteres Argument für Bossi ist, dass der Patronatsherr, der Fürstbischof von Bamberg, der gleichzeitig auch die bischöfliche Würde von Würzburg inne hatte, Bossi sehr schätzte. Seinsheim beschäftigte diesen nicht nur mit der Ausstattung der Hofkirche, sondern bereits seit 1767 mit der Stuckausstattung großer Teile des Nordflügels der Würzburger Residenz.
[1] Größtenteils bleibt diese Frage undiskutiert (vgl. Morper 1980; Geldner 1990, 224–226), aber wenn dann divergieren die Vermutungen sehr. Vgl. Visosky-Antrack 2000, 212–215.
[2] vgl. Morper 1960; Lippert 1968, 298.
[3] Vgl. Stüve 1972, 373; Sitzmann 1983, 175. Holger Stüve veröffentlicht 1972 im Rahmen einer Edition zahlreicher Archivalien zu Vierzehnheiligen aus unterschiedlichen Archiven stammend auch einen Forschungsstand über den Zeitraum 1826 bis 1972.
[4] Vgl. Visosky-Antrack 2000, 215.
Zuletzt aktualisiert am: 28.02.2016