Ottobeuren (Unterallgäu), Klostergebäude, Abtei-Treppenhaus (Erler) Zitieren
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Inmitten einer nach oben geöffneten Scheinarchitektur erscheint am Himmel Maria im Typus der Immaculata (weißes Kleid, blauer Mantel, Weltkugel mit Schlange), wie sie von der Heiligen Dreifaltigkeit im Himmel empfangen wird. Unter ihr, vor den gemalten Arkaden, haben sich die vier Erdteile versammelt. Zuvorderst in Rückenansicht Asien, die ein Weihrauchfass schwenkt. Ihr Tierattribut, das Kamel, befindet sich versteckt neben der Vertreterin Afrikas, die links von Asien zu sehen ist. Ihre dunkle Hautfarbe, die spärliche Bekleidung sowie der Elefant, auf dessen Kopf sie tritt, lassen keinen Zweifel an der Identifikation. Den beiden Kontinenten gegenüber, auf der anderen Seite der Weltkugel, präsentieren sich Europa und Amerika Arm in Arm. Europa, herrschaftlich gekleidet, sitzt auf einem Pferd. Während sie in der linken Hand ein Liktorenbündel und ein Zepter hält, ruht ihr rechter auf den Schultern Amerikas. Diese lehnt sich vertraut an ihre europäische Schwester. Ihre Federkrone, bescheidene Kleidung sowie der Pfeil in ihrer rechten Hand weisen sie als der Erdteil über dem Meer aus. Sie kommt als einzige ohne Tierbegleitung und hat wie ihre Schwestern Asien und Amerika den Blick zu Maria erhoben.
An diese Huldigungsszene schließt sich im Uhrzeigersinn in der Himmelszene das Kreuz, getragen von Engeln, und auf Erden die Allegorie der Gerechtigkeit an. Das leere Kreuz verweist auf den Sieg über die Sünde und den auferstandenen Christus, der seine Mutter im Himmel empfängt. Justitia ist an ihren Attributen zu erkennen: Flammenschwert und Schild in der linken Hand, daneben eine Waage auf Wolken ruhend. Mit der rechten Hand deutet sie auf ein von einem Engel gehaltenes offenes Buch, in dem der Sündenfall dargestellt ist. Dargestellt ist sie nicht im Moment der Urteilsfindung, sondern nach dem Richtspruch: Die Sünde ist besiegt, und die Menschheit ist sich nicht nur des Wohlwollen Gottes gewiss, sondern auch seiner Liebe, veranschaulicht durch den Sieg des Putto mit Fackel über den mit einer Augenbinde geblendeten Putto oberhalb der Justitia.
Hierauf folgen – vis-à-vis der Erdteilszene – die drei christlichen Tugenden: Hoffnung (Anker), Glaube (Kelch) und Liebe (Kind). Ihre Einbindung ins Bildprogramm gründet in ihrer Bedeutung als „gnadenhafte, dreieine Grundkräfte, die beim gerechtfertigten Menschen die lebendige Beziehung zu Gott bewirken, sie sind von Gott geschenkt und führen unmittelbar zu Gott.“[1]
Die Personifikation des Glaubens leitet mit einem Fingerzeig zur nächsten und abschließenden Szene über. Ihr Finger zeigt auf das Lammopfer, das auf dem Alten Testament ruht und dessen Blut über die Buchvorderseite in den Kelch mit der Hostie und einem aufgeschlagenen Buch unter diesem tropft. Das Buch enthält die Sünden der Menschheit und wird von einem Engel gehalten. Die Allegorie des Triumphes (Lorbeerkranz, Strahlennimbus, Siegespalme) hält den Kelch mit der Hostie darüber und entfernt mit einem Schwamm die Sündenliste. Die Gnade obsiegt, und die Sünde ist bezwungen. Flankiert wird die Szene von Engel in Bethaltung.
„Der ikonologische Schlüssel zu dem Bildprogramm […] ist die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens. Ohne sie ist die Erlösung nicht denkbar. Das von Gott gewollte freiwillige Ja der Menschheit zu dem Ratschluss der Erlösung wurde von Maria durch ihr „Fiat“ gegeben.“[2]
[1] Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 245.
[2] Ebenda.
Verherrlichung Maria Immaculata durch die vier Erdteile, umgeben im Uhrzeigersinn
- von der Erlösung von Erbsünde und Schuld
- von den christlichen Tugenden: Glaube, Liebe Hoffnung
- vom Triumph der Gnade über die Sünde
1991 wurde durch Helmut Juraschek aus Frickenhausen eine Musterachse angebracht. Sieben Jahre später musste die Decke mit Netzen und Kompressen in Folge eines Wasserschadens gesichert werden. 2013, nach der Vorortbegehung durch die Bearbeiterin, wurde die Kuppel durch Gerhard Diem aus Dirlewang gereinigt. Die Autoren der Bildwelt Ottobeuren 2014 stellen zum Erhaltungszustand fest:
„Das Kuppelbild ist in Seccomalerei auf Putz ausgeführt. Es ist in allen Partien übermalt, vor allem die Figuren im Zentrum sind erneuert.“[1]
Im online zugänglichen Farbdiaarchiv zur Wand- und Deckenmalerei des Zentralinstituts für Kunstgeschichte existieren noch Aufnahmen der Kuppel aus dem Jahr 1943, als es im Zuge der fotografischen Dokumentation der „Decken- und Wandmalereien in historischen Baudenkmälern Großdeutschlands“ erfasst wurde. Diese Erfassung, die in den letzten beiden Kriegsjahren durchgeführt wurde, geht auf eine Initiative Adolf Hitlers zurück, der der Hauptabteilung „Bildende Kunst“ des Reichspropagandaministeriums diesen Auftrag erteilte (siehe http://www.zi.fotothek.org/objekte/19003791).
[1] Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 242.
Das nicht erhaltene Programm wird der Feder von Pater Benedikt Schmier OSB (1682–1744) zugeschrieben.[1] Da es sich bei dem vorliegenden Programm um das einzige mariologische im gesamten Klosterbau handelt, wird angenommen, dass nicht wie sonst Abt Rupert II. der Autor war, sondern einer seiner Ordensbrüder. Schmier war Konventuale in Ottobeuren und hielt eine Professur der Philosophie und Theologie an der Benediktineruniversität Salzburg inne, dem „Zentrum der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariens um 1700“ (Bildwelt 245). Er ist der Verfasser mehrere Schriften, in denen er unter anderem auch zur Erbsünde Stellung nahm.[2]
[1] Vgl. Bildwelt Ottobeuren 1/2014, XXVII und 2/2014, 245.
[2] vgl. Schulte, von, „Schmier, Benedict“ in: Allgemeine Deutsche Biographie 32 (1891), S. 31-32 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ppn124399096.html?anchor=adb.
Für Erler bedeutete dieser Auftrag eine Herausforderung, da die räumlichen Bedingungen ihn zwangen – anders als in seinen vorherigen Werken für Ottobeuren[1] – in besonderem Maße zu einer eigenständigen Lösung zu kommen. Er behalf sich, indem er sich auf Vorbilder von seiner Italienreise, insbesondere Neapel, besann. Die Europa, die im Gegensatz zu den anderen vorhandenen Erdteildarstellungen mit einem rein weltlichen Herrschaftssymbol, ein Liktorenbündel, attributiert ist, hat Erler einer Gruppe von Tugendpersonifikationen im Sakristeifresko der neapolitanischen Kirche S. Paolo Maggiore entnommen. Hier hat Francesco Solimena 1690 in einem Fries an den Langhauswänden der Sakristei vier Dreiergruppen solcher Allegorien gemalt. Erler entlehnt sich hier für seine Erdteilgruppe in Ottobeuren die Allegorien der Pax und Justitia. Während er die Justitia in eine Europa verwandelt, deren Füße nicht auf einer Weltkugel, sondern auf dem Hinterteil eines Pferdes ruhen, übernimmt er für Amerika zwar Haltung, aber wandelt die blonde, hellhäutige Nymphe in die rothäutige Gestalt Amerikas um, die statt eines Zweigs einen Pfeil von sich streckt und noch inniger an der Schulter Europas lehnt.
Seine Übernahmen beschränken sich nicht nur auf diese beiden Figuren, auch der Gruppe der christlichen Tugenden sowie die Allegorie der Temperantia entnimmt er Solimenas Komposition, indem er Letzterer die Rolle Justitia zugedenkt und die christlichen Tugenden 1:1 in seine Komposition einbaut.
[1] 1727 malte Erler in den nördlichen Galeriezimmer und im Vogelzimmer die Fresken. Vgl. Bildwelt Ottobeuren 1/2014, XLII.
In seinem Diarium schreibt Abt Rupert II. Neuß am 20. Juni 1728 über die Auftragsvergabe und das ausgeführte Fresko:
„Ein allhiesiger Maler Antonj Erler hat die Cupula ob der Stiege gemahlt, so ihme nit gern anvertrauen wollen, ohneracht er 2 Jahr in Italien practicirt, doch auf seine Instanz [Ansuchen], daß er ein occasion [Gelegenheit] habe sich zu zeigen, hab es geschehen lassen, was werde heraus kommen, wirdt das Werckh zeigen, und iudicia [Urteile] der Künstler, so darüber kommen werden. Ich habe vor mein Opinion dise Cupula vor passabel angesehen, doch hat es mich gereüt, daß ich solche nit von Sgre Amiconj habe mahlen lassen, so die Capell, Vorfletz und underen Chor gemacht, als welches alles eine rare künstliche Mahlerey, allein ware H. Amiconj in München, und dieser Erler sasse mir vor der Thür; und hat solches extorquirt [mir abgerungen].“[1]
Der Abt spricht über den Maler Franz Anton Erler, der um 1700 in Eglofs in Unterallgäu geboren war. Dieser setzte seine Erdteile in ganz selbstständiger Weise um. Er lernte zunächst bei Spiegler (1718) und kam dann im Anschluss daran als Geselle nach Ottobeuren, wo er unter Führung von Thalmeier bis 1721, dem Jahr seiner Meistergerechtigkeit, arbeitete. In Ottobeuren wohnte er bis zu seinem Tod 1745. Den Auftrag zur Ausmalung des Abteitreppenhauses hatte er dem Abt Rupert „extorquirt“ und ihn nur deswegen erhalten, da zum einen der vom Abt sehr geschätzten Venezianer und Münchner Hofmaler Jacobo Amigoni nicht verfügbar war und zum anderen Erler „2 Jahr in Italien practicirt“ haben soll.[2]
Obwohl Abt Rupert das ausgeführte Fresko nicht zusagte – er kommentierte es mit dem Wort „passabel“ und überließ es dem Urteil anderer Künstler – ließ er es nicht, anders als Thalheimers Werk im mittleren Treppenhaus, durch J. Amigoni übermalen, der nur ein paar Monate später erneut nach Ottobeuren kam, um dort die sogenannten Amigoni-Zimmer sowie den Vorplatz auszumalen. Über das Verhältnis der beiden einheimischen Maler Erler und Thalmeier ist nichts Genaueres bekannt, außer, dass das anfängliche Meister-Gesellen Verhältnis nicht unter einem guten Stern stand. Thalheimer führte bereits am 6. Mai 1720 – wie ein Verhörprotokoll im Amtsgericht Ottobeuren belegt – Klage wegen Beleidigung gegen den „Malergesellen Anton Ehrler von Egloff“[3]. Später konkurrierten sie nicht nur mit den „auswärtigen“ Malern[4], sondern auch gegeneinander.[5]
[1] zitiert nach: Bildwelt Ottobeuren 2/2014, 238.
[2] Hinsichtlich der Datierung seines Italienaufenthaltes scheiden sich die Geister. Siehe ausführlich die Biografie zu Erler in der Datenbank.
[3] Registratur des Amtsgerichts Ottobeuren, 1719/1723 Blatt 100, zitiert nach: Lieb Erhler 1931, 106.
[4] Neben den genannten hinterließen in Ottobeuren auch der junge Franz Georg Hermann (1692–1768) und Hieronymus Hau (*1679) aus Kempten sowie der Venezianer Jacopo Amigoni (~1675–1752) Werke. Vgl. ausführliche Vorstellung der in Ottobeuren tätigen Künstler Dischinger Ottobeuren 1/2011, 249f.
[5] Übersicht über die verantwortlichen Künstler in Ottobeuren von 1712–1768. Erler löste Thalheimer als primärer Hausmaler ab. Nach 1728 wird ausschließlich Erler als Maler beauftragt. Vgl. Bildwelt Ottobeuren 1/2014, XL-XLII.
Zuletzt aktualisiert am: 24.02.2016