Dinkelsbühl (Ansbach), Heilig Geist Zitieren
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Die Kirche besitzt einen Deckenspiegel im Langhaus. Dieser zeigt in einem Bildfeld vier Szenen: im Westen Moses mit der ehernen Schlange, im Norden Die Auferstehung Christi, im Osten Die Verherrlichung des Gekreuzigten durch die vier Erdteile und im Süden Das letzte Abendmahl.
Sie umgeben das Symbol der Heiligen Dreifaltigkeit mit dem hebräischen Tetragramm „JHWH“. In direkter, vertikaler Linie zu dieser himmlischen Erscheinung steht das lebensgroße Kreuz mit dem Leib Christi auf einer Weltkugel, um die die Vertreter der vier Erdteile versammelt sind: links die Vertreter von Europa und Amerika und rechts Asien und Afrika. Die weibliche Personifikation Europas zeigt sich kniend, mit Blick zum Himmel und ausgestreckten Armen in einem blauem Gewand und goldenem Mantel, der von einem Pagen getragen wird. Ihr weiß gepudertes Haar schmückt eine Krone. Schräg hinter ihr ist der männliche Vertreter Amerikas an seiner rötlich-braunen Hautfarbe und seinem Federschmuck zu erkennen. Ein blass rosafarbenes Tuch verdeckt den Unterkörper und einen Köcher mit Pfeilen. Seine linke Hand liegt auf seiner entblößten Brust direkt über seinem Herz. Der Kopf einer Schlange, die sich um Kugel und Kreuz geschlängelt hat und mit ihrem Maul einen Apfel umfasst, verbindet beziehungsweise trennt die Erdteilgruppen. Der Repräsentant Asiens ist in einen langen Mantel gekleidet und trägt einen Turban auf seinem Kopf. Zu seinen Füßen raucht ein Weihrauchgefäß. Während er kniend, mit geneigtem Kopf und zusammengefalteten Händen dem Gekreuzigten huldigt, steht hinter ihm die männliche Gestalt Afrikas. Nackt bis auf ein wallendes Tuch umfasst er mit seiner linken Hand einen Sonnenschirm. Auf dem Kopf trägt er ein Federdiadem.
Zentrales Mittelbild im Langhaus:
- Westen: Moses mit der ehernen Schlange
- Norden: Die Auferstehung Christi
- Mitte: Das Symbol der Heiligen Dreifaltigkeit mit dem hebräischen Tetragramm „JHWH“
- Osten: Die Verherrlichung des Gekreuzigten durch die vier Erdteile
- Süden: Das letzte Abendmahl
1967/1968: Innenrenovierung
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (435f. und 437f.):
Die Kombination der Erdteilallegorien mit dem Gekreuzigten ist fest mit dem Künstler Johann Nepomuk Nieberlein verbunden. Fünf seiner sechs Werke, die diese Kombinationen aufweisen, zeigen die Erdteilallegorien am Fuße eines über der Weltkugel schwebenden Kreuzes mit dem Gekreuzigten. Erstmals findet sich diese Kombination allerdings 1753 in der Wallfahrtskirche Heilig Kreuz in Mindelaltheim, bei einem Werk von Anton Enderle. In seiner Umsetzung zeigt er den Gekreuzigten, dessen Blut sich analog zum Blut des Lammopfers in Hägerau aus fünf Wunden in eine Muschelschale über einer Weltkugel unter ihm ergießt; damit betonte er die Wesenswandlung der katholischen Eucharistielehre. Nieberlein, der das Thema erstmals für die evangelische Kirche in Dinkelsbühl gemalt hatte, musste hier folglich zu einer anderen Lösung kommen.
Die Auftraggeber hatten offenbar konkrete Vorstellungen: Zwar war die Ausschmückung des Gotteshauses beschlossene Sache, allerdings schieden sich hinsichtlich des Ausmaßes die Geister. Die evangelische Kirchenpflege stellte sich ein Deckenfresko „zur Zierde der Kirche“ vor. Dies stieß allerdings auf Widerstand im evangelischen Ratsteil, der „einige leichte Muscheln von Stuckatur-Arbeit“ für angemessen erachtete.[1] Der eigentliche Anlass zur Ausmalung gründet in der Bikonfessionalität der Reichstadt Dinkelsbühl seit der Reformation und der katholischen Umgestaltungsoffensive. Die katholische Minderheit hatte nach der Reformation die beiden Klosterkirchen, die Kapelle der Heiligen Könige sowie die Stadtpfarrkirche St. Georg behalten und seitdem keine Mühen gescheut, diese Gotteshäuser zu ihrem „Argument gegen die Reformation“ barock umzugestalten.[2] Die evangelische Mehrheit dagegen hatte 1567 nur die Spitalskirche erhalten, die es nun in den 1770er-Jahren galt auszuschmücken. Mit Unterstützung aus der Bürgerschaft[3] setzte sich die Kirchenpflege durch und übertrug den Auftrag dem Ellwanger Hofmaler Johann Nepomuk Nieberlein. Im Angesicht der kontroversen Diskussionslage sowie der katholischen Konfession des Künstlers wurde diesem das Programm mit Sicherheit von den Auftraggebern vorgegeben. Es galt, in der wortstarken,[4] aber vergleichsweise bilderarmen Welt des Protestantismus ein prägnantes und zugleich universelles Pendant zum katholischen Bilderboom zu setzen. Hierzu bot sich der Rückgriff auf eine der beliebtesten protestantischen Rechtfertigungsikonografien an:[5] Gesetz und Evangelium.
Das Dinkelsbühler Fresko, das 245 Jahre nach der ersten bildlichen Umsetzung durch Lucas Cranach entstand, ist eine verkürzte Darstellung der Ursprungsversion, da es nur auf die rechte Seite der eigentlich zweigeteilten Komposition rekurriert. Cranachs Komposition aus dem Jahr 1529 (etwa im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, Inv. Nr. Gm220) zeigt links das Gesetz (Sündenfall, Strafgericht und die Vertreibung aus dem Paradies) und rechts die Verheißung der Gnade in Christus durch den Glauben (eherne Schlange, Menschwerdung, Passion und Auferstehung). Mit Ausnahme der Einbindung des letzten Abendmahls an der südlichen Längsseite, band Nieberlein in seine Umsetzung die wichtigsten ursprünglichen Bausteine des Themas ein: sich gegenüberstehend an den Schmalseiten die eherne Schlange und die Kreuzigung Christi, die die Auferstehung Christi an der nördlichen Längsseite flankieren. Wie ein Altargemälde von Jacob de Wit aus dem Jahr 1726 (im Besitz des Rijksmuseums Het Catherijne-convent, Utrecht, Inv. Nr. BMH s1226) zeigt, ist Nieberleins Konzentration auf die Gnadenseite sowie die Einbindung des Abendmahls keineswegs neu. Auch de Wit vernachlässigte die Gesetzesseite und integrierte unmittelbar links hinten die Abendmahlszene ins Bildgeschehen.[6] Bereits im 17. Jahrhundert war das Thema zunehmend vereinfacht und auf einige wenige Figuren beschränkt worden.[7]
Zur Genese der Bilderfindung und ihrer Kombination mit den Erdteilen siehe in der rechten Seitenleiste den Glossarbegriff „Gesetz und Evangelium“
[1] Zitiert nach: Gerfried Dinkelsbühl 2010, o. S.
[2] „Die Katholiken barockisierten die Stadt mit Heiligenfiguren, der Kreuzkapelle und der Wegkapelle an der Bechhofener Straße und insbesondere auch das Innere der St. Georgskirche, deren barocke Ausstattung seit der Purifizierung 1856 nicht mehr zu sehen ist.“ Gerfried Dinkelsbühl 2010, o. S.
[3] „Doch die Evangelische Kirchenpflege war der Ansicht, es komme auf den Geschmack der Bürgerschaft an, versicherte sich der Zustimmung 24 bürgerlicher Handwerksleute und vergab den Auftrag zur Freskierung.“ Ebenda.
[4] Von Beginn an forderten protestantische Anhänger wie der evangelische Theologe Johann Spangenberg, dass die Worte Gottes und insbesondere das Glaubensbekenntnis „inns hertz geschriben werden, das sy nicht allain auff der Zungen schweben, sondern lebendig werden im hertzen und herauß brechen ins werck. Also, wenn die anfechtungen kommen, das wir als denn thun und handeln, wie wir glauben.“ Johann Spangenberg 1541, zitiert nach: Harasimowicz Kunst 1996, 89.
[5] Vgl. zum Themenspektrum ausführlich Kunz/Schumann Bildfunktion 2006, 252–266.
[6] Bereits im Œuvre Cranachs gibt es die Kombination der Themen, allerdings nicht in einer Bildtafel: Auf dem Flügelalter der Stadtkirche in Wittenberg von 1547 befindet sich das Abendmahl auf der Mitteltafel und die eherne Schlange auf der Außenseite eines der Flügel. Geöffnet ist das Gerichtsbild auf der Rückseite des Altars zu sehen, das wiederum mit der Opferung Isaaks auf der Außenseite des zweiten Flügels korrespondiert. Vgl. ausführlich hierzu Thulin Cranach-Altäre 1955, 9–32. Hier findet sich mit dem Kemberger Altar auch ein weiteres Beispiele solcher Kombinationen.
[7] Vgl. Ohly Gesetz und Evangelium 1985, 26f.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Zuletzt aktualisiert am: 07.07.2016