Gries (Prov. Bolzano), Augustiner-Chorherrenstift Zitieren
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Das Freskenprogramm der Stiftskirche der Abtei Muri-Gries ist ganz auf den heiligen Augustinus ausgerichtet, den Patron der Kirche und der Augustiner Chorherren, die bis zum Jahr 1807 im Stift Gries ansässig waren. Martin Knoller verfertigte die drei großen Freskenspiegel über der Orgelempore, im Tonnengewölbe des Hauptschiffs und im Chor sowie die umgebende Stukkaturmalerei und die Fresken in den Zwickeln und Gurten zwischen 1771 und 1773. Nähere Informationen über den Fortgang der Arbeiten geben die Tagebucheintragungen von Probst Prack.[1]
Ausgangspunkt des Bildprogramms ist das im Jahr 1771 verfertigte Fresko über der Orgelempore. Es stellt die Bekehrung des jungen Augustinus dar.[2] Die Erzählung wird weitergeführt im großen Fresko des Hauptschiffs (1772), das Augustinus als „Überwinder der Ketzer“[3] zeigt, und endet in dem ovalen Fresko der Chorkuppel (1773), das die Aufnahme des Heiligen in den Himmel darstellt.
Der große Freskenspiegel im Hauptschiff der Stiftskirche feiert den heiligen Augustinus als Überwinder der Ketzer und als Kirchenlehrer. Das Zentrum des Bildes nimmt ein auf Wolken stehender Christus ein, flankiert von einer quer zur Bildachse dargestellten Personifikation der Kirche mit Hostienkelch. Hinter Christus richten fliegende Putti ein Holzkreuz auf, darüber kreisen Engel. Unterhalb dieser zentralen Figurengruppe ist der heilige Augustinus dargestellt, stehend mit Buch und Federkiel in Händen, die Arme ausgebreitet und den Blick nach oben auf Christus gerichtet. Hinter seinem Rücken, in der linken Ecke des Freskos, sind Schüler des Augustinus in priesterlichem Ornat zu sehen. Aus der Schreibfeder des Heiligen fahren zwei Blitze hervor, mitten hinein in eine Gruppe von Sündern oder Häretikern, die in wildem Tumult ins Kircheninnere hinunterstürzen. Augustinus gegenüber blicken einige Personen erschrocken auf diese Demonstration göttlicher Macht.
Den Hintergrund des Freskos bildet eine raffinierte Scheinarchitektur, welche eine Illusion von Dreidimensionalität erweckt. Gegen die übrige Gewölbefläche ist das Fresko durch einen breiten goldenen Rahmen abgegrenzt. Der illusionistische Eindruck wird noch gesteigert durch die über diesen Rahmen hinweg stürzenden Häretiker.
Dieses dynamische, farbenfrohe Deckengemälde wird flankiert durch die Personifikationen der vier Erdteile, die zwischen die Gurten des Tonnengewölbes gemalt sind und einen klaren Gegensatz zu dem dramatischen, bunten Fresko bilden. Nicht nur heben sie sich durch die Ausführung in Grisaille klar ab, sie wirken auch - trotz dreidimensionaler Ausführung – vergleichsweise flach. Dieser Effekt ist vor allem auf den Umstand zurückzuführen, dass sich die Ränder der Darstellungen auch auf die in den Raum vorragenden Gurtbänder erstrecken und so der plastische Eindruck der Malerei gebrochen wird.
Auffällig sind die lebendige Gestik, sorgfältige Ausführung und die zahlreichen Attribute, mit denen die Erdteildarstellungen versehen sind. Europa präsentiert sich mit Füllhörnern voller Getreide, Obst und Wein. Zu ihren Füßen liegen die Herrschaftsinsignien der geistlichen und weltlichen Macht: Tiara, Mitra, Herzogshut, Krone und Zepter. Daneben sind Symbole der Gelehrsamkeit und Kunst zu sehen: Eule, Buch, Laute, Geige, Flöte und Notenblätter. In ihrer Rechten hält Europa ein tempelartiges rundes Gebäudemodell als Hinweis auf die technischen Künste. Hinter ihr verweisen Fahne, Vexillum und Lanze auf die militärische Macht Europas. Als klassisches tierisches Attribut ist Europa das Pferd beigesellt.
Afrika ist dargestellt mit dem typischen Attribut der Elefantenexuvie auf dem Haupt. Ohren und Hals zieren große, runde Perlen. Mit ihrer Linken umfasst sie ein Füllhorn voller Getreide, in ihrer rechten Hand hält sie einen Skorpion. Neben ihr kauert ein großer Löwe mit Mähne und leicht geöffnetem Maul. Zu ihren Füßen ringeln sich Schlangen sowie ein Basilisk.
Amerika ist deutlich erkennbar durch den Federschmuck auf ihrem Kopf, Pfeil und Bogen in ihren Händen sowie durch den gefüllten Pfeilköcher an ihrer Seite und durch das tierische Attribut des Alligators, der hier mit einer eigentümlich schnabelförmigen Schnauze dargestellt ist. Unter dem weiten schmucklosen Mantel lugt der Saum eines Federrockes hervor. Zu Füßen der Amerika liegt ein abgetrennter, von einem Pfeil durchbohrter Menschenkopf, auch dies ein traditionelles, bereits bei Cesare Ripa vorhandenes Attribut der Amerikaallegorien.
Asia erscheint in einem reich mit Perlen bestickten Gewand, auch Kopf, Hals und Handgelenke sind reich geschmückt. In der linken Hand hält die Kette eines qualmenden Räucherfasses, in der rechten Hand einen Strauß Gewürzzweige. Ihr traditionelles Tierattribut, das Kamel, kniet hinter hier.
Diese allegorischen Darstellungen der vier Erdteile stützen das Thema des mittleren Freskos und vermitteln die Botschaft, dass auch die vier Erdteile den Lehren des Augustinus lauschen. In den Gewölbezwickeln des Chores begleiten die weiblichen Personifikationen der vier Kardinaltugenden Fortitudo (Tapferkeit), Prudentia (Klugheit), Temperantia (Mäßigkeit)und Justitia (Gerechtigkeit) die Darstellung der Himmelfahrt des Augustinus. Sie weisen den Weg der Tugend als Weg in den Himmel.[4] Im Chorfresko wird auch in besonderem Maße auf die Position der Chorherren und die Bedeutung des Augustinus für die monastische Kultur verwiesen, denn die Erhebung des Heiligen wird von einer etwa dreißig Repräsentanten aller nach der Augustinerregel lebenden Ordensgemeinschaften begleitet.[5]
Zu dem augustinischen Thema gehört auch das ebenfalls von Knoller geschaffene Hochaltarbild, das den heiligen Augustinus in verklärter Kontemplation der Dreifaltigkeit zeigt.[6]
[1] Zitiert in Christian 1899, 8.
[2] Landi 2009, 18; Baumgartl 2004, 231.
[3] Baumgartl 2004, 231. Walter Landi benennt das Fresko anders, er schreibt es stelle „Augustinus als Lehrer und Schriftsteller“ dar: siehe Landi 2009, 18. Angesichts der dramatischen Darstellung der aus dem Bild stürzenden Häretiker scheint aber Baumgartls Benennung sehr viel passender.
[4] Landi 2009, 22.
[5] Landi 2009, 22.
[6]Baumgartl 2004, 231; Landi 2009, 23 f.
EMPORE
Bekehrung des Augustinus
HAUPTSCHIFF
- großes Deckenfresko: Augustinus als Überwinder der Ketzer
- seitlich zwischen Gewölbegurten: die vier Erdteile (Grisaille)
- links: Afrika, Europa
- rechts: Amerika, Asien
CHOR
- Kuppelfresko: Apotheose des Augustinus
- Pendentifs: die vier Kardinaltugenden: Justitia, Sapientia, Fortitudo, Temperantia
Der mit Familie und Werkstatt seit 1765 in Mailand ansässige Knoller reiste in den Jahren 1770 bis 1775 jeden Sommer nach Norden um drei, zeitweise parallel verlaufende Großprojekte zu betreuen. Es waren das die Ausmalungsarbeiten in der Abteikirche zu Neresheim (1770–1775), in der Stiftskirche in Gries (1771–1773) und im Bürgersaal der Stiftskirche in München (1773–1774). Nur den Herbst und Winter 1772/73 verbrachte er mit seiner Frau und dem Sohn Carlo in Gries, wo auch sein zweiter Sohn Martino getauft wurde. [1]
Knoller malte das Fresko in der Chorkuppel im Frühjahr 1772. Zwischen Ostern und Pfingsten 1772 (April bis Juni) fertigte er das große Fresko im Langhaus an, das Fresko über der Orgelempore und die Darstellungen der Erdteilallegorien folgten im Herbst 1772.[2]
Das Altarbild fertigte Knoller in Mailand und schickte es 1776 nach Gries. Weitere Aufträge unterblieben vorerst aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Aber 1781 beauftragte Probst Prack Knoller mit der Anfertigung eines ersten Seitenaltarbildes mit dem Tod des heiligen Joseph.[3] Die Auslieferung desselben kam aber nicht mehr zustande, da Prack 1781 verstarb und die kaiserliche Regierung die Wahl eines neuen Probstes untersagte. In der Folge ruhte dann auch die weitere Ausgestaltung der Stiftskirche. Das 1782 fertig gestellte Seitenaltargemälde wurde in der Pfarrkirche von Mals aufgestellt. 1790 konnte das Grieser Kollegium schließlich mit Augustin Nagele (Amtszeit 1790–1815) einen neuen Probst wählen. Dieser beauftragte Knoller im Jahr 1794 mit der Anfertigung der fehlenden sechs Seitenaltarbilder, die der Künstler in den Jahren 1795 bis 1801 nach und nach fertigstellte.[4] Baumgartl weist darauf hin, dass aufgrund der umfangreichen erhaltene Korrespondenz kaum eine andere Werkgruppe des 18. Jahrhunderts so gut dokumentiert sein dürfte wie diese Seitenaltargemälde der Stiftskirche Gries.[5]
Für den Auftrag an Knoller und die vorausgehenden und nachfolgenden Gespräche mit dem Künstler war demnach der Probst Prack maßgeblich zuständig. Gleichwohl kann aufgrund der erhaltenen Quellen davon ausgegangen werden, dass die künstlerische Ausgestaltung des vorgegebenen Themas weitgehend dem Künstler überlassen wurde.
[1] Baumgartl 2004, 24–25, 226–233.
[2] Landi 2009. 18–21.
[3] Christian, 1899, 8–9.
[4] Christian, 3–5. Zu der Korrespondenz zwischen Knoller und Nagele über die Seitenaltarbilder zwischen 1794 und 1802 siehe die Transkription der Schriftstücke aus dem Stiftsarchiv Muri-Gries in Christian 1900, Briefe Nr. 23, 24, 25, 26, 28, 29, 31, 33, 35, 39, 40, 42, 43, 44, 47, 52, 53, 61, S. 4–17.
[5] Baumgartl 2004, 309.
Über das Ausmaß der Beteiligung von Josef Schöpf oder seine spezifische Aufgabenbereiche in der Freskierung der Stiftskirche Gries scheint nichts bekannt zu sein. Schöpf war von 1766 bis 1775 als Schüler und Gehilfe in der Werkstätte von Knoller tätig. Er wird in den Abrechnungen des Neresheimer Projekts genannt und war zumindest zeitweilig in Gries anwesend, denn er unternahm zusammen mit Knoller am 12. Dezember 1772 eine Reise von Gries zum Servitenkloster Maria Weißenstein. Es ist also zu vermuten, dass er auch an dem Grieser Projekt mitwirkte.
Zuletzt aktualisiert am: 20.03.2016