Schechingen (Ostalbkreis), St. Sebastian Zitieren
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Die Kirche besitzt zwei Deckenspiegel: oberhalb der Orgelempore (ehemals Chor => s. Befund) ist die Krönung Mariens dargestellt, im Langhaus zwei Szenen aus dem Leben des Kirchenpatrons St. Sebastian kombiniert mit einer Missionierungs- und einer Huldigungsszene an den Schmalseiten des rechteckigen Freskos. Die vier einzelnen Szenen sind in einer Scheinarchitektur eingebettet, die sie optisch verbindet.
An der nördlichen Längsseite haben sich Priester und römische Legionäre auf einem durch drei Stufen erhöhten Platz versammelt, um dem Disput zwischen den rechts an seinem Lorbeerkranz, dem Herrscherstab sowie dem purpurfarbigen Umhang erkennbaren Kaiser und links den etwas niedriger auf den Stufen stehenden Heiligen zu beobachten. Die Attribute des Heiligen – goldener Brustharnisch, Helm und auf dem Boden ein Köcher mit Pfeilen – sind als Erkennungsmerkmale des heiligen Sebastian beigefügt. Dargestellt ist, wie der Hauptmann der Prätorianergarde Sebastian seinen Oberbefehlshaber und Kaiser Diokletian des Unglaubens und der Ungerechtigkeit öffentlich anprangert. Diesem Ereignis vorausgegangen ist die Szene an der südlichen Längsseite, in der der Heilige an einem Baum gebunden von den Pfeilen numidischer (oder mauretanischer) Bogenschützen auf Befehl des Kaisers, der rechts auf einem weißem Schimmel reitet, durchbohrt wird. Sein Martyrium sowie sein Sieg über den Tod und Unglauben werden durch zwei Engel oberhalb des Baumes, die Palmenzweig und Lorbeerkranz über den Heiligen halten, angezeigt.
Im Osten des Freskos inmitten einer wilden Landschaft tauft ein mit blauer Tunika, Alba und goldener Stola gewandeter Geistliche, der in der linken Hand ein Kreuz mit dem gekreuzigten Christus und in der rechten Hand eine Muschel hält, einen vor ihm niedergeknieten Mann dunkler Hautfarbe. Dieses Geschehen wird von weiteren Figuren gleichen Stammes ehrfurchtsvoll kniend, stehend und betend verfolgt. In dieser Szene wird das Wirken des Jesuitenpaters, Missionars und Heiligen Franz Xaver veranschaulicht. Oberhalb befindet sich eine Weltkugel, die von einem Engel getragen wird, während ein anderer Engel als Verweis auf die weltumspannende Gültigkeit und Hegemonie des christlichen Glaubens ein Kreuz über die Kugel hält.
Das westliche Pendant zu dieser Missionierungsszene verbildlicht den weltumspannenden Anspruch der Botschaft unmittelbarer, indem die Repräsentanten der Bevölkerung der vier Erdteile den Gekreuzigten verherrlichen. In direkter, vertikaler Linie zu Gottvater und Heiligem Geist am Himmel steht auch hier das lebensgroße Kreuz mit dem Leib Christi auf einer Weltkugel. Auf den Stufen der Treppe, die zum Erdball hinaufführen, haben sich links die Vertreter von Europa und Afrika und rechts von Asien und Amerika versammelt. Die weibliche Personifikation Europas zeigt sich stehend, mit himmelndem Blick und ausgestreckten Armen in einem goldenen Gewand und blauen Mantel, der von einem Pagen getragen wird. Ihr weiß gepudertes Haar schmückt eine Krone. Schräg hinter ihr ist der männliche Vertreter Afrikas an seiner schwarzen Hautfarbe und seinen negroiden Gesichtszügen zu erkennen. Federn auf dem Haupt und am Arm sind jeweils in einen kostbaren mit Perlen verzierten Goldreif gesteckt. Ein blassviolettes Tuch verdeckt den Unterkörper und einen Köcher mit Pfeilen.
Während die rechte Hand den dazugehörigen Bogen umfasst, hat Afrika die linke Hand auf ihre entblößte Brust direkt über ihr Herz gelegt. Der Kopf einer Schlange, die sich um Kugel und Kreuz geschlängelt hat und mit ihrem Maul einen Apfel umfasst, verbindet beziehungsweise trennt die Erdteilgruppen. Der Repräsentant Asiens ähnelt in Kleidung (überlanges rotes Justeaucorps, weiße Weste, beides mit Goldborte) und Physiognomie (helles Inkarnat, europäische Gesichtszüge, weiße gepuderte Haare zusammengefasst im Nacken mit einer schwarzen Schleife) eher einem europäischen Kavalier und somit einem männlichen Gegenpart zu Europa als einem Orientalen. Nur der unterhalb der Weltkugel zu sehende Turban mit Schmuckbrosche und Feder sowie das Weihrauchfass zu seinen Füßen weisen ihn als den Vertreter Asiens aus. Während er kniend, mit geneigtem Kopf und zusammengefalteten Händen dem Gekreuzigten huldigt, steht hinter ihm die rothäutige männliche Gestalt Amerika. Nackt bis auf eine wallendes Tuch und einem mit Perlen verzierten Brustband umfasst er mit seiner rechten Hand einen Speer. Auf dem Kopf trägt er einen Turban, der mit einer übergroßen Feder geschmückt ist.
Die Verlegung des Chores vom Westen in den Osten im 19. Jahrhundert und der Einbau einer Empore mit Orgel, die die Marienkrönung zum Teil verdeckt, haben die optische Wirkung der Deckenbilder beeinträchtigt und deren Interpretation wegen der falschen Leserichtung erschwert. Zur Zeit der Ausmalung befand sich die Marienkrönung über dem Hochaltar und der Eingang war dort, wo heute die Sakristei ist. Dort beginnt die Abfolge der Ereignisse. Der Eintretende wird zugleich mit der Aufgabe der Glaubensverbreitung wie auch dessen Verteidigung betraut, stets in Erinnerung an das Vorbild Christi, der bis in den Tod Gottes Fingerzeig folgte, und Mariens, deren Treue und Liebe Gott mit dem Kranz des Lebens (Jak 1,12) belohnte. Den Lohn für einen steten Glauben und ein tugendhaftes Leben erhält ein jeder im Jenseits durch seine Aufnahme ins Himmelreich. Zuvor muss er sich allerdings im Diesseits bewähren.
Als Leitbilder dienen dem Gläubigen – wie im Langhausfresko visualisiert – die Taten Jesu Christi sowie die der Heiligen. Der heilige Sebastian kämpft und stirbt für den Glauben, wie bereits vor ihm Jesus Christus zur Erlösung aller den Opfertod am Kreuz erduldet hat. Im Osten des Freskos steht das Wirken des Heiligen Franz Xaver für die Befolgung des Sendungsauftrages Christi nach Mt 28, 18–20, indem er Menschen fremder Länder tauft und sie hierdurch zu Mitgliedern der Gemeinschaft der Gläubigen macht. Die erfolgreiche Missionierung der Bewohner aller Erdteile, stellvertretend dargestellt durch das Wirken des Jesuitenmissionars und Märtyrers, ist Voraussetzung für die Huldigung Christi und der katholischen Kirche. Ganz im Sinne des christlich-religiös[1] gedeuteten dualistischen Denkmodells vita activa et contemplativa[2] steht in der Missionierungsszene der handelnde, aktiv heilbringende Gläubige im Vordergrund, während im Kontext der Huldigung die Hinwendung zu christlichen Glaubensgrundsätzen und die Besinnung auf das Wirken des Heilsbringenden betont werden. Im Schechinger Langhausfresko verbindet sich somit der Grundgedanke des biblischen Missionierungsbefehls, der Widerhall in der Anwesenheit der zwölf Apostel in den Langhausmedaillons findet, mit der Aufforderung von Paulus in seinem Brief an die Philipper „damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde, ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu“ (Phil 2, 10). Die vier Erdteilallegorien als Formel für die Darstellung der ganzen Menschheit in einem religiösen Kontext werden in der abschließenden Huldigungsszene des Freskos zum Sinnbild der Ecclesia triumphans.
Die Wahl der Heiligen gründet im Patrozinium der Kirche, mit St. Sebastian als Hauptpatron sowie St. Franz Xaver als zweitem Patron und der mit seinem Altar verbundenen, seit 1733 existierenden Bruderschaft. Der „Himmelskönigin“ Maria – vertreten durch das Krönungsfresko im ehemaligen Chor – war der zweite Nebenaltar geweiht. Die Huldigung des gekreuzigten Erlösers Jesus Christus geht wohl zum Teil auf die besondere Verehrung des heiligen Kreuzes in Schechingen zurück. Berücksichtigt wurde vermutlich auch, dass Johann Nepomuk Nieberlein diese Szene bereits 1774 in der Dinkelsbühler Spitalkirche Heilig Geist gemalt hatte.
Verherrlichung, Verteidigung und Verbreitung des katholischen Glaubens – die beiden Deckenbilder in der Schechinger Kirche sollen den Gläubigen nicht zuletzt an das kurze Zwischenspiel der Reformation zu Beginn des 17. Jahrhunderts und die Rekatholisierung der Adelmann’schen Herrschaftsgebiete unter dem Urgroßvater des Schechinger Patronatsherren, Wilhelm Christoph (1606–1659) und seiner tief religiösen Gemahlin Maria Magdalena von Rechberg (1614–1669) erinnern. Beim Verlassen der Kirche wird ihm und insbesondere den Mitgliedern der Franz-Xaver Bruderschaft ans Herz gelegt, dem Vorbild ihres Heiligen zu folgen.
[1] Florian Matzner erweiterte in seiner Dissertation die bisher ausschließlich christlich-religiöse oder neuplatonische Deutung des Denkmodells in der Kunstgeschichte um einen staatstheoretischen und humanistischen Ansatz. Vgl. Matzner 1994, 17–33.
[2] Papst Gregor XIII. (reg. 1572–1585) bezieht sich in seiner Beschreibung der Ausstattung der Villa Farnese in Caprarola unter anderem auf dieses Denkmodell. Gregor 1920, 368–387, Matzner 1994, 183–230.
Von West nach Ost:
ORGELEMPORE
Krönung Mariens
SEITENBIDLER
12 Apostel
LANGHAUS
- Schmalseiten: Missionierung durch den heiligen Franz Xaver und Verherrlichung des Gekreuzigten durch die vier Erdteile
- Längsseiten: Szenen aus dem Leben des heiligen Sebastian:
- das Verhör vor Kaiser Diokletian
- das Martyrium des heiligen Sebastian
Obwohl das Innere der Kirche eine wechselhafte Geschichte aufweist, befindet sich das Fresko in einem augenscheinlich sehr guten Zustand. Die Farben sind kräftig und intensiv. Erstmals im 19. Jahrhundert, 1871, wurde die Kirche dem historisierenden Zeitgeschmack in Form ihres gotischen Ursprungs verändert, indem neogotische Altäre[1], eine größere Orgelempore eingebaut und die Chorfenster farbig gestaltet wurden.[2] Auch die im Zuge der Barockisierung vorgenommene Verlegung des Chores vom Osten in den Westen der Kirche wurde rückgängig gemacht. Erste Schritte zur Re-Barockisierung wurden 1937 unternommen, als die Seitenaltäre, die Kanzel und Statuen restauriert wurden.[3] Während der Rest der neogotischen Einbauten mit Ausnahme der Orgelempore erst in der Gesamtrenovierung zwischen 1962 und 1964 im Rahmen der zweiten Phase der Re-Barockisierung wieder entfernt wurden, wurde die Ostausrichtung beibehalten.[4] Dieser Eingriff erklärt auch die nach Westen orientierte Blickrichtung der Apostel innerhalb der Stuckmedaillons im Langhaus sowie die ungewöhnliche Positionierung der Marienkrönung oberhalb der Orgel, da sie sich in der Regel im Chor befindet.[5] Dieser Tausch beeinflusst auch heute noch die Leserichtung des Hauptfreskos mit der Darstellung der vier Erdteile. Das Deckenfresko im Langhaus, das im Zuge vorhergegangener Renovierungen mit „Ölfarbe schwer und plump übermalt“[6] worden war, wurde in seinen Originalzustand zurückversetzt.[7] Zwanzig Jahre später, 1984, wurde anlässlich der 500-Jahrfeier das Innere der Kirche saniert.[8]
[1] Eine Aufnahme vom Juni 1962 zeigt noch den gotischen Hochaltar im Ostchor. Vgl. BKA Marburg „mi08926f16“.
[2] Vgl. Dörr 1984, 3; Weiß/Schürle [3].
[3] Auf freundlicher Auskunft von Reinhold Fischer vom 23. Oktober 2012.
[4] Der gotische Hochaltar (s. Anm. 11) wurde durch einen neuen Altar ersetzt, der Teile des Barockaltars (inkl. des Altargemäldes „Das Martyrium des heiligen Sebastian“) aus Kappel bei Bad Buchau enthält. Vgl. Weiß/Schürle [3]; Weiß 2006, 12. Für einen Überblick über die Schritte der Re-Barockisierung siehe Schwäbisch-Gmünd / Rems-Zeitung vom 14.01.1964, 6.
[5] Gängige Themen für die Orgelempore sind unter anderem die heilige Cecilia, Engelschöre oder auch die Darstellung der vier Erdteile wie Beispiele in den Kirchen von Tannheim, Neuershausen und Seekirch zeigen.
[6] Schwäbisch-Gmünd / Rems-Zeitung vom 14. Januar 1964, 6. Dieser Zeitungsartikel wurde mir freundlicherweise von Dr. Elmar Schmid zur Verfügung gestellt.
[7] Vgl. für eine historische Aufnahme von 1962 BKA Marburg „mi08926g01“.
[8] Vgl. Dörr 1984; Weiß 2006, 12. Siehe auch BKA Marburg „mi08926f18“ mit einem Einblick in die Kirche nach der Restaurierung.
Im Beitrag zur Schechinger Pfarrkirche St. Sebastian im ersten Band des Baden-Württembergischen Dehios zu den Regierungsbezirken Stuttgart und Karlsruhe aus dem Jahr 1993 ist Folgendes zu lesen: „Saal und apsidenförmiger Westeingang stammen aus der Zeit der Barockisierung 1781…Fresken von Johann Nepomuk Nieberlein 1774“[1]. Liegt hier nicht ein chronologischer Widerspruch[2] vor? Der Quellenarbeit des Schechinger Lokalhistorikers Reinhold Fischer ist es zu verdanken, dass dieser Widerspruch nun endgültig geklärt werden kann. Zwar befand sich die Kirche bereits während der Amtszeit von Pfarrer Franz Anton Schedel (reg. 1726–1771) „in einem katastrophalen Zustand der Baufälligkeit“[3], jedoch erst unter seinem Nachfolger Pfarrer Michael Mettmann, der in der Pfarrchronik festhielt „am festag St. Mathias [24. Februar 1774] unser Kirchen Knopf herunter[stürzte]“[4], wurden erste Maßnahmen ergriffen. Schlussendlich dauerte es noch weitere zwei Jahre bis der erste „Spatenstich“ gesetzt wurde, obwohl es „höchste Zeit [war], Hand an das werck zu legen.“[5] Der Ellwanger Hofbaumeister Sebastian Manz[6] wurde engagiert, um „in Zeit von 6 bis längstens 7 Monath die Kirchen zu Schöchingen“[7] zu richten. Plan war die Kirche nicht nur zu stabilisieren, sondern ebenfalls nach Westen hin zu vergrößern. Infolgedessen wurde der Hochaltar in den neuen apsidenförmigen Westabschluss der Kirche verlegt.
Der Zeitplan wurde – wie eine Quittung über 2.117 fl 54 x vom 24. September 1776 bezeugt[8] – weitestgehend eingehalten.[9] Nach Abschluss der äußeren Baumaßnahmen wurde sogleich mit der Innenausstattung im Herbst 1776 begonnen. Neben Johann Nepomuk Nieberlein wurden für die Stuckarbeiten die lokalen Künstler Jörg Rathgeb aus Schrezheim (heute ein Ortsteil von Ellwangen) und Johannes Vogelmann aus der Adelmann’schen Residenz Hohenstadt herangezogen. Rathgeb kannte Nieberlein bereits durch seine Tätigkeit in der Stimpfacher Pfarrkirche 1765. Mit Sebastian Manz arbeitete Nieberlein vier Jahre später, 1781, in der Wallfahrtskapelle Heilig Blut in Schwenningen erneut zusammen.[10] So wiederholte er hier nicht nur das Thema der Marienkrönung, sondern auch das Thema der Verherrlichung des Gekreuzigten durch die Vier Erdteile.[11] Er hatte Letzteres neben Schechingen bereits vorher in Dinkelsbühl (1774), Hofen (1775) und Rechenberg (1780) in modifizierter Form gemalt. Letztlich wurde die Schechinger Kirche am 21. Oktober 1782 geweiht.
[1] Dehio BW I/1993, 654.
[2] Die Existenz eines Widerspruchs charakterisiert die Schechinger Kirchenforschung. Als Jahr der Barockisierung wird nicht nur 1781 (vgl. OA Aalen 1851, 305; Dörr 1984, 3; Dehio BW I/1993, 654; Weiß 2006, 11; Weiß/Schürle [4]), sondern auch zum Teil 1761 genannt (vgl. KD Jagstkreis 1907, 33; BKA Marburg „mi08926g01“; Dehio BW 1964, 421; Leo-BW „Schechingen [Teilort]“).
[3] Fischer 2012.
[4] Pfarrarchiv Schechingen B 3, zitiert nach: Fischer 2012.
[5] StA L PL 12 III Bü 679, zitiert nach: Fischer 2012.
[6] Es sind keine Lebensdaten bekannt.
[7] Grupp, Anselm, Sebastian Manz – Der vergessene Landbaumeister (Manuskript), zitiert nach: Fischer 2012.
[8] StA Ludwigsburg PL 12 III Bü 687, zitiert nach: Fischer 2012.
[9] Anscheinend verursachten später auftretende statische Probleme am Dachstuhl und Chorbogen Spannungen zwischen Auftraggeber und Baumeister, sodass es einen „unpartheyischen BauVerständiger“ bedurfte. StA Ludwigsburg PL 12 III Bü 687; Fischer 2012.
[10] Vgl. Gabor 1996, 156–158.
[11] Als Vorlage für das Schwenninger Kreuzigungsfresko diente Nieberlein eine Federzeichnung im Schlossmuseum Ellwangen (Inv. Nr. 1465/151). Vgl. Hosch 1981a, 92 Nr. 204.
Zuletzt aktualisiert am: 14.09.2018