Neuburg an der Donau (Neuburg-Schrobenhausen), Unsere Liebe Frau Zitieren
Die Kanzel hängt vor dem ersten südlichen Langhauspfeiler und setzt sich in ihrer polychromen Fassung deutlich von der weißen Innenausstattung der Kirche ab. Sie ist über eine Treppe rechts vom Pfeiler zugänglich und wird von einem Schalldeckel bekrönt.
Der Kanzelkorb schließt nach unten hin mit Wolken und Puttenköpfen ab. Darüber sind auf dem Gesims der Kanzelkorbecken die Evangelistensymbole angebracht: ein geflügelter Stierkopf, ein Adler, ein geflügelter Engelskopf und ein geflügelter Löwenkopf. Über diesen sitzen Putti mit aufgeschlagenen Büchern, die sie dem Besucher entgegenhalten. Auf dem Schalldeckel ist auf der Unterseite die Taube des Heiligen Geistes im Strahlenkranz angebracht, auf der Oberseite sitzen auf Voluten die Personifikationen der vier Erdteile, die wie kleine Putti ohne Flügel gestaltet sind. Links außen sitzt Asia mit Turban sowie Köcher und Bogen, neben ihr eine reich geschmückte Afrika in dunklem Inkarnat und mit einem Sonnenschirm in der Hand. Auf der rechten Außenseite sitzt – ebenfalls in schwarzem Inkarnat – Amerika mit einer Federkrone auf dem Kopf und einem Vogel auf ihrer linken Hand. Links neben ihr sitzt eine bekrönte Europa mit einem Zepter in ihrer Rechten.
Alle vier Figuren blicken in den Raum zum Betrachter und nicht auf den großen Engel über ihnen. Einzig der kleine halbnackte Putto mit einem Herz in seiner rechten Hand, der fast am Aufsatz der Kanzel zwischen Afrika und Europa zu schweben scheint, stellt eine Verbindung zwischen der Erde, den Erdteilen und dem vom Himmel herabschwebenden Engel dar. Dieser hält, nur auf seinem rechten Bein balancierend und von einem goldenen, um ihn flatternden Lendentuch bekleidet, eine Kartusche im Strahlenkranz mit dem IHS-Monogramm in seiner Rechten. Auf dem Schriftzug sind über dem Querbalken des Buchstabens H ein Kreuz und darunter ein Bündel aus drei Nägeln erkennbar. Seinen Blick hat der Engel dem Betrachter unter ihm zugewandt, während er diesen mit seiner Linken auf die Kartusche hinweist.
Das Schalldeckelmotiv des Engels umgeben von den vier Erdteilen wird von Fischer bei der Kanzelgestaltung der Dillinger Jesuitenkirche wieder aufgreifen, wobei die Erdteildarstellungen in Dillingen größer und in ihrer Körperhaltung und Gestik auf den Bekrönungsengel über ihnen und nicht auf den Betrachter unter ihnen bezogen sind. Der Engel mit dem Herz in der Hand wurde in Dillingen durch einen größeren Engel mit einem Spruchband ersetzt.
Barocke Kanzeln nehmen in ihren Bildprogrammen „grundsätzlich Bezug auf das Evangelium“ und den „Auftrag seiner Verbreitung“.[1] Das ist in Neuburg nicht anders, auch dort bildet das Evangelium, dargestellt durch die Evangelistensymbolen am Kanzelkorb und die Bücher präsentierenden Engeln, die die Basis nicht nur für die Kanzel, „sondern auch für den Glauben allgemein“ sind. [2] In der Kirche wird das Evangelium vom Prediger auf der Kanzel verkündet. Bei dieser Aufgabe wird er vom Heiligen Geist unterstützt, wie die über ihm, auf der Schalldeckelunterseite schwebende Taube des Heiligen Geistes anzeigt.[3]
Auf die Erlösungsbotschaft der Evangelien verweist auch der Engel[4] auf dem Schalldeckel, indem er auf das IHS-Monogramm deutet. Denn dieses scheint – zwar noch nicht so deutlich wie in Dillingen – wie vor einem Hohlspiegel appliziert zu sein und erinnert damit an die Darstellung des Hohlspiegels am Deckengemälde von S. Ignazio, der ebenfalls von einem Engel emporgehalten wird.[5] Allerdings ist hier das Monogramm nicht als Ordenssignet, sondern als Abbreviatur für Christus zu verstehen. Dieser starb den Opfertod für alle Menschen, wodurch er erst die Erlösung der Menschen und die Zuversicht auf Erlösung ermöglichte. Auf diese frohe Botschaft weist der Engel den Kirchenbesucher unter ihm hin, indem er mit auf den Namen Jesu weist, von dem Strahlen in alle Richtungen fallen.[6] Diese Botschaft und damit der christliche Glaube wird über die gesamte Welt verbreitet, die hier durch die Personifikationen der vier Erdteile dargestellt wird.
Die Verbreitung der Erlösungsbotschaft und somit des christlichen Glauben wird auch durch den kleinen Putto vor dem Bekrönungsengel deutlich. Denn dieser scheint auf die Erde herabzuscheben und die Welt mit der göttlichen Liebe zu entflammen, wie das Herz in seiner Hand andeutet. Auch dieses Motiv findet sich bereits im Deckenfresko von Andrea Pozzo in S. Ignazio, denn links unterhalb der Engelsfigur, die den Hohlspiegel emporhält, überreicht ein Engel einem Erdenbewohner Europas ein flammendes Herz. Das Herz in Neuburg ist allerdings nicht entflammt, dafür wird es von einem Pfeil durchbohrt, wodurch es auch als Hingabe an Christus gelesen werden kann, im Sinne von: „ihm gehört unsere ganze Liebe“.[7]
[1] Gantner 2001, 40.
[2] ebenda, 41.
[3] Vgl. ebenda, 41.
[4] Dieser Engel wird von Horn/Meyer als „Gerichtsengel“ gedeutet (Horn/Meyer 1958, 98), was jedoch im Kontext der ähnlichen Darstellung auf dem Dillinger Schalldeckel nicht haltbar ist.
[5] Christine Schneider schreibt darüber im Zusammenhang mit der Kanzel in der Dillinger Jesuitenkirche: „Bei beiden Darstellungen ist der Schriftzug nicht auf das Schild oder die Spiegelfläche gemalt, vielmehr stehen die Buchstaben davor. Sie befinden sich im Brennpunkt des Hohlspiegels und können von dort über die Erde strahlen und für ihre Bewohner wirksam werden. Deshalb weisen die Strahlen des Dillinger Hohlspiegels in alle Richtungen und auf die Personifikationen der Erdteile.“ (Schneider 2014, 175).
[6] Vgl. Schneider 2014, 175, 179; Seitz/Lidel 1983, 80.
[7] Seitz/Lidel 1983, 80.
Von unten nach oben:
KANZELKORB
- Unterseite: Puttenköpfe
- Lukas (Stier), Johannes (Adler), Matthäus (Engel), Markus (Löwe)
- vier Engel mit aufgeschlagenen Büchern
SCHALLDECKEL
- Unterseite: Taube des Heiligen Geistes
- Oberseite: Asia, Afrika, Engel mit Herz, Europa, Amerika
Engel mit IHS-Monogramm
Restaurierungsmaßnahmen in der Innenausstattung der Kirche, vor allem des Stucks, fanden bereits 1807/08 statt. Fast hundert Jahre später, 1900 bis 1903, erfolgte eine „durchgreifende Renovierung der ganzen Kirche“ einschließlich des Turms.[1] Zu Beginn der 1980er-Jahre fand eine weitere „umfassende Renovierung der ganzen Kirche“ statt, die 1983 abgeschlossen wurde.[2]
[1] KD Schwaben (Neuburg an der Donau) 5/1958, 85, vgl. ebd. 90; vgl. Schulte 1983, 27.
[2] Schulte weist darauf im Zusammenhang mit ihrem im Jahr 1983 publizierten Text hin (Schulte 1983, 27). Welche Restaurierungsmaßnahmen dabei genau durchgeführt wurden, erläutert Schulte leider nicht.
Für die Erdteilpersonifikationen konnten keine expliziten schriftlichen oder bildlichen Vorlagen ausgemacht werden. Für das Thema auf dem Schalldeckel der Kanzel können dieselben Vorlagen wie für Dillingen ausgemacht werden:
- römische Kirche S. Ignazio: Engel mit Hohlspiegel auf dem Deckenfresko von Andrea Pozzo
- Vorbild für den Bekrönungsengel: die „figura serpentinata“ des Florentiner Bildhauer Giambologna, allerdings sind keine Auslandsaufenthalte Fischers nachweisbar. Ein mögliches Verbindungsglied bildet die Figur des Merkurs für den Augsburger Merkurbrunnen, der von Adriaen de Vries, einem Schüler Giambolognas geschaffen wurde und mit dem der Dillinger Engel in „Drehung, Kopfhaltung und nach oben gerichtete[m] Zeigegestus“ übereinstimmt[1]
- Jeremias Kilian (Stecher), Ignatius von Loyola und die Weltmission der Jesuiten, Kupferstich (15,6 x 11 cm). In Mathias Tanner, Societas Jesu Apostolorum imitatrix, Pragae 1694, 1.
[1] Gantner 2001, 58.
Die Kanzel wird in der Regel als eine Arbeit des Bildhauers Joseph Anton Breitenauer angesehen, der auch für die übrige Kirchenausstattung verantwortlich ist. Allerdings soll Breitenauer die Kanzel nicht allein gefertigt haben, denn der Bekrönungsengel auf dem Schalldeckel wird Johann Michael Fischer zugeschrieben. Die gedrehte Haltung des Engels hat Fischer, ebenso wie das IHS-Monogramm vor der Kartusche, bei der Gestaltung der Dillinger Kanzel im Jahr 1760/61 wieder aufgegriffen und gesteigert. Der Neuburger Bekrönungsengel ähnelt der Dillinger Skulptur nicht nur in Haltung und Gestik, sondern auch in der Physiognomie. Auch die Tuchfalten sind typisch für Fischer, nur die Flügel müssen der Werkstatt zugeschrieben werden, wie Benno Gantner feststellt.[1] Die vier Putti, die auf dem Schalldeckel um den Engel herum sitzen und die Erdteile darstellen, sollen allerdings nicht von Fischer, sondern entweder von einem Gesellen, einer anderen Werkstatt oder Breitenauer gefertigt worden sein.[2]
So ungenau wie die Angaben zu den Künstlern sind, so wage ist auch die Datierung der Kanzel. Es wird vermutet, dass die Kanzel um 1755/60 entstanden ist; exaktere Datierungen konnte bisher nicht nachgewiesen werden.[3]
[1] Dehio Schwaben 2008, 935; Gantner 2001, 220.
[2] Vgl. Schlöttl 1934/35, 79; KD Schwaben (Neuburg an der Donau) 5/1958, 98; Gantner 2001, 220. Seitz/Lidel vermuten Breitenauer als Bildhauer der ganzen Kanzel, siehe Seitz/Lidel 1983, 59; Lidel 1986, 16.
[3] Vgl. Gantner 2001, 220. Einzig Horn/Meyer (KD Schwaben (Neuburg an der Donau) 5/1958, 98) datieren die Kanzel in das Jahr 1756, wobei sie sich auf Schlöttl berufen (Schlöttl 1934/35, 79).
Zuletzt aktualisiert am: 24.02.2016