Dillingen an der Donau (Dillingen a. D.), Kolleg, Bibliothek Zitieren
Im Mittelrisalit des Nordflügels sind große, längsrechteckige und flachgedeckte Repräsentationsräume untergebracht. Der größte von ihnen ist die Bibliothek, die sich über das dritte und vierte Obergeschoss erstreckt. Der Saal wird von fünf Fenstern an der Nordwand beleuchtet, die Haupteingänge liegen jeweils mittig an der Südwand – der obere führt auf die Galerie. Die Raumschale besteht aus einer wandgebundenen, vielteiligen Ausstattung aus Holz. Dazu zählen neben dem Eingangsportal der Figurenzyklus auf der Nordseite mit den beiden Aposteln Petrus und Paulus sowie den vier Evangelisten und ein Relief an dem Emporengeländer über dem Haupteingang, auf dem die vier Erdteilallegorien abgebildet sind.
Die holzsichtige Kartusche mit ihrem reich verzierten und doppelten Rahmen wird von zwei Putti präsentiert, die sich auf der Galerie niedergelassen haben. Ein mit Blüten appliziertes Netz hält den Rahmen zusammen, der sich aus volutenförmigen Rocailleformen und einrollendem Blattwerk zusammensetzt. In der oberen Bildhälfte der Kartusche erscheint in einem Strahlenkranz und von Wolken umgeben das Monogramm IHS. Über dem Querstrich des Buchstabens H schwebt ein Kreuz, darunter steht ein dreiteiliges Nagelbündel. Die untere Bildhälfte nimmt im Zentrum eine Erdkugel ein, um die sich die Personifikationen der vier Kontinente versammelt haben. Links vorne, mit einem hermelinbesetzten Umhang und einer Krone auf dem Kopf, kniet Europa. Ihr Blick richtet sich nach oben auf das Monogramm, mit der linken Hand fasst sie sich an ihre Brust, während der Zeigefinger ihrer Rechten nach unten verweist. Hinter ihr ist ein Pferd erkennbar. Ergänzt wird ihre Darstellung durch einen Kreuzstab, eine Tiara, eine Mitra und eine Krone, die vor ihr liegen.
Hinter Europa steht die Personifikation Amerikas,[1] die mit exotischer Kopfbedeckung und einem Federrock sowie mit einem Papagei auf dem Rücken dargestellt wird. Neben dem Papagei ist noch der Kopf eines Putto zu erkennen. Amerika – dargestellt mit auffällig negroiden Zügen – scheint sich mit zusammengefalteten Händen auf der Erdkugel abzustützen, während sie andächtig auf das Monogramm blickt. Auf der rechten Seite der Erdkugel schwenkt Asia im Vordergrund in Gestalt einer knienden Frau ein Weihrauchfass. Ihr Blick richtet sich, wie der aller Personifikationen, auf das Monogramm. Hinter ihrem Rücken ist eine kleine Person mit Turban und einem Gefäß mit Harz in den Händen erkennbar,[2] zwischen deren Füßen ein Krokodil hervorschaut. Ganz rechts verweist Afrika, begleitet von einem Kamel und geschmückt mit einem mit Federn verzierten Nemes-Kopftuch mit ihrer Rechten auf das Monogramm über ihr.
Die Verehrung des Namens Jesu wird in Dillingen neben der Bibliothek auch in der Hauskapelle dargestellt, die etwa zeitgleich zur Bibliotheksausstattung umgestaltet wurde. Das Thema der Verehrung des Namens Jesu beruht auf dem Brief des Apostel Paulus an die Philipper, in dem es heißt: „ut in nomine Jesu omne genu flectatur cælestium, terrestrium et infernorum“ – „damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu“ (Phil 2,10).
Die Kartusche ist eingebettet in die Innenausstattung der Bibliothek und wird vom Bibliotheksbesucher spätestens beim Verlassen des Saales wahrgenommen. Die plastische Ausstattung muss im Kontext der Deckenmalerei gelesen werden. Dort wird die „Erforschung göttlicher Weisheit thematisiert“,[3] indem im Zentrum die Divina Sapientia und unter ihr Theologia, die nach der Erkenntnis der göttlichen Weisheit strebt, dargestellt wird. Auf dem Deckengemälde wird die Basis des theologischen Lehrgebäudes präsentiert und gegenüber den anderen Künsten und Wissenschaften hervorgehoben.[4]
Allerdings stellt die Deckenmalerei nur „die Methode der Erforschung göttlicher Weisheit“ vor, die skulpturale Ausstattung hingegen fügt ihr „den zu erforschenden Inhalt hinzu“, was in der Kartusche zum Ausdruck kommt. Dort verweist das IHS-Monogramm mit den Symbolen des Kreuzestodes Christi auf das Leben und Sterben Jesu,[5] wie es die Evangelien – hier dargestellt in den Figuren an der Nordwand – überliefern. Die Vermittlung dieses Offenbarungsgeheimnisses und die „Abgrenzung des römischen Kults von dem anderer Religionen und Irrlehren“ muss die Societas Jesu sicherstellen. Diese beiden Aufgaben muss der Orden auch deshalb übernehmen, „weil er als sein Signet den Namen Jesu gewählt hat“.[6]
Für den Besucher gilt beim Betrachten der Innenausstattung der Grundsatz des Bibliothekstraktats von Claude Cléments, an dem sich das gesamte Ausstattungsprogramm des Bibliotheksaales orientiert: „Primus fons eruditionis, Christus crucifixus.“[7] Die erste Quelle der Gelehrsamkeit ist somit der ans Kreuz geschlagene Christus. Im Kontext des Dillinger Bibliotheksprogramms bedeutet damit die „Eruditio Sapientiae“, wie Christine Schneider zusammenfasst, „die Erforschung der Divina Sapientia in Bezug auf die Offenbarung Gottes in Jesus Christus“.[8]
[1] Schneider bestimmt diese Figur aufgrund des Papageis und der Kleidung – „unter anderem einem Federrock und einer aufwendigen Kopfbedeckung“ – als Amerika (Schneider 2014, 32). Die negroiden Züge könnten jedoch auch für Afrika sprechen.
[2] Vgl. ebenda, 232.
[3] ebenda, 233.
[4] Zur vollständigen Interpretation des Bibliothekssaals inklusiv des Deckengemäldes siehe Schneider 2014, 209–233; vgl. auch KD Schwaben (Dillingen an der Donau) 6/1964, 342–349; Zoepfl 1970, allerdings geht Zoepfl in seinem Beitrag kaum auf die Ausstattung dafür aber auf den Buchbestand ein.
[5] Zur Bedeutung und Verwendung des IHS-Monogramms siehe ausführlich Appuhn-Radtke 2003; Schneider 2014, 249–254.
[6] Schneider 2014, 233.
[7] Clément 1635, 123.
[8] Schneider 2014, 233.
Kartusche an der Südwand (von oben nach unten)
[1] Die sehr negroiden Züge könnten auch für Afrika sprechen.
[2] Das Nemes-Kopftuch scheint sie als Afrika auszuweisen, die negroiden Züge der Figur gegenüber könnte sie im Ausschlussprinzip jedoch auch als Amerika identifizieren lassen. Schneider jedoch hält sich an die oben angegebene Zuordnung (vgl. Schneider 2014, 232).
Die Regalierung, die Putti und die Kartusche sind im Gegensatz zu den Figuren an der Nordwand, die mit Blattmetallauflagen polychrom gefasst sind, holzsichtig geblieben.[1] Es ist davon auszugehen, dass „diese Holzausstattung“ ebenfalls noch hätte gefasst und vergoldet werden sollen. Auch die Tatsache, dass der „ornamentale und figürliche Dekor der Regale und Galerie […] provisorisch mit Nägeln angeheftet“ wurde, belegt, dass er unvollendet geblieben ist.[2] Christine Schneider geht auch davon aus, dass der „Zyklus unvollständig erhalten“ geblieben ist. Dafür sprechen verlorene beziehungsweis ausgetauschte Attribute der Putti, was ihrer Meinung nach auch ein Indiz für Restaurierungsmaßnahmen ist. Insgesamt stellt sie fest, dass die „gesamte Ornamentik der Regale […] noch heute im Zustand einer Stellprobe zu verharren scheint, die nicht mit einem angestrebten Endzustand gleichgesetzt werden darf“.[3]
[1] Vgl. Schneider 2014, 230.
[2] KD Schwaben (Dillingen an der Donau) 6/1964, 345.
[3] Vgl. Schneider 2014, 231. Über die „modernen Bau- und Restaurierungsmaßnahmen“ vermerkt Schneider, dass sie „im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und im Staatlichen Bauamt Krumbach dokumentiert“ sind (Schneider 2014, 20; siehe hierzu auch Anm. 63).
schriftliche Vorlagen:
- Philipperbrief (Phil 2,10): „ut in nomine Jesu omne genu flectatur cælestium, terrestrium et infernorum“ – „damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu“.
bildliche Vorlagen:
Daniello Bartoli, Della vita e dellʼIstituto di S. Ignatio Fondatore della Compagnia di Giesu, 5. Buch, Rom 1650, Frontispiz, Cornelius Bloemaert (Stecher), Kupferstich. http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10636706-1
Bei der Komposition der vier Erdteile erstaunt besonders der Kopfputz der Amerika, der an ein sogenanntes Nemes-Kopftuch erinnert, wie man sie aus Darstellungen von Ägyptens Pharaonen kennt. Das Motiv findet sich innerhalb von zeitgenössischen Kupferstichen und weiteren Verwendungsbeispielen. Die folgenden beiden Kupferstiche sind zwar später entstanden als die Holzkartusche, allerdings kann aufgrund ihres Entstehungskontext als Thesenblatt sowie als Frontispiz eines in Mexiko erschienenen Werkes davon ausgegangen werden, das Vorläufer zirkulierten. Ein Beleg hierfür ist die Übernahme der Komposition des mexikanischen Kupferstichs in der vorliegenden Schnitzkartusche an der Galerie der Bibliothek des Dillinger Jesuitenkollegs. Ein nur ein Jahr nach Dillingen entstandenes Werk, das vermutlich dieselbe Vorlage verwendete, findet sich in der Pfarrkirche von Otting:
- Johann Anwander, Verherrlichung Mariens als Gnadenquell durch die vier Erdteile, 1739, Otting, St. Richard ==> ASIA!
- Verherrlichung des heiligen Ignatius von Loyola, signiert: Iacob Vogel inv. et del. | Ioh. Daniel Hertz fec. et excud. Aug. V., datiert: 7.7.1744, Promotionsblatt für P. Lotharius Helling, SJ an der Bamberger Universität[1]
- Die Verherrlichung des heiligen Ignatius von Loyola, Kupferstich, 200 x145 mm, gestochen von Zapata, Frontispiz zu: Carochi, Horacio SJ, Compendio del Arte de la lengua mexicana, Bibliotheca Mexicana, Konvent von St. Augustin 1759 [editio princeps 1645, unbebildert]. Eine komplette Ausgabe des Werkes findet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek online unter: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10524292-7
Der unbekannte Künstler kannte vermutlich eine europäische Vorlage des mexikanischen Kupferstichs, die innerhalb des Jesuitenordens zirkulierte. Obwohl er der Vorlage relativ eng[2] folgte, bezog er die Gestalt der Personifikation links hinten aus anderer Quelle. Diese typische Profildarstellung mit kunstvollen Turban, stark negroider Gesichtszüge sowie erhobenen rechten Arm findet sich erstmals im Oeuvre Johann Georg Bergmüllers:
- Verherrlichung Mariens als Rosenkranzkönigin durch die vier Erdteile, Gemälde von Johann Georg Bergmüller um 1723, Eichstätt, Dominikanerkirche St. Peter (zerst.)
- Verherrlichung Mariens durch die vier Erdteile, Thesenblatt von Johann Georg Bergmüller um 1723, Wrocław, Muzeum Narodowe
Letztlich hat durch diese Kombination die eindeutige Identifikation der Erdteilallegorien gelitten. Während auf dem mexikanischen Kupferstich vorne Europa (Pferd, Kronen, Tiara) und Afrika (Krokodil) und im Hintergrund die Kugel flankierend links Asien (Kamel, Pharaonenhaube) und rechts Amerika (Pfeil, Federkonre, Vogel) zu sehen sind, liegt der Fall in Dillingen nicht so eindeutig: vorne links Europa (Pferd, Herrschaftsinsignien), hinten links Amerika (Bergmüller-Komposition (= Afrika), Vogel) und vorne rechts Afrika (Weihrauchfass, Krokodil)[3] und hinten rechts Asia (Kamel, Pharaonenhaube).
[1] Ausführlich vgl. Schemmel 2001, 92 und Abb. auf der folgenden Seite.
[2] In der Anordnung um die Weltkugel vertauschte er die einzelnen Positionen der Figuren.
[3] Aufgrund der engen Verbindung von Tier und Personifikation – Europa: Pferd, Amerika: Vogel, Asia: Kamel – ist diese Figur trotz des Weihrauchfasses nicht als Asia zu lesen, für die wäre ein Krokodil äußerst untypisch, sondern als Afrika. Vermutlich wurde die dunkle Hautfarbe aufgrund der Verwendung nur einer Holzsorte nicht dargestellt.
Die figürliche Ausstattung der Bibliothek wird dem Bildhauer Johann Georg Bschorer aus Oberndorf bei Donauwörth zugeschrieben. Seine Autorenschaft ist zumindest für „die acht Figuren an der Nordwand der Bibliothek“ in der Historia Collegii schriftlich belegt und entstand um 1738.[1] Allerdings sind die Figuren polychrom gefasst, während die Regale, die darauf angebrachten Putti mit ihren Attributen sowie die Kartusche holzsichtig bleiben. Christine Schneider vermutet, dass die „Regalierung einschließlich der Putten“ von einer „örtlichen Werkstatt“ hergestellt wurden.[2] Meyer und Schädler vermuten, dass neben den Figuren an der Nordwand auch die „übrigen Bildhauerarbeiten der Bibliothek der Werkstatt Bschorers zuzuweisen sind“.[3] Somit kann nur vermutet, aber nicht mit letztendlicher Sicherheit gesagt werden, dass Bschorer an der Anfertigung der Kartusche beteiligt war.
Der Maler des Deckenfreskos hingegen ist nach der Historia Collegii Joseph Ignaz Schilling (1702–1773), über den Folgendes belegt ist: „Ignatius Schilling pictor et civis Monacensis“.[4] Allerdings hat sich am Fresko selbst nicht seine, sondern die Signatur „LB 1738“ erhalten. Es wird vermutet, dass es sich dabei um einen Mitarbeiter Schillings handelt, der einen Großteil der Malerei vollendete, da Schilling 1737/38 parallel zu den Arbeiten in Dillingen auch die Bibliothek des Jesuitenkollegs in München und die Pfarrkirche St. Johannes des Täufers in Taufkirchen ausgemalt haben soll.[5]
[1] Schneider 2014, 52; Vgl. KD Schwaben (Dillingen an der Donau) 6/1964, 324, 345, 349.
[2] Schneider 2014, 230.
[3] KD Schwaben (Dillingen an der Donau) 6/1964, 345.
[4] Zitiert nach Zoepfl 1950, 203.
[5] Da alle drei Orte weit voneinander entfernt liegen, scheint es naheliegend, dass er sich bei den Ausführungen Hilfe holte. Sollte sein Mitarbeiter, der Maler „LB“, einen Großteil des Deckengemäldes fertiggestellt haben, so dürfte sich dieser „wohl berechtigt [gefühlt haben], das Werk auch zu signieren“ (Schneider 2014, 49).
Zuletzt aktualisiert am: 26.01.2018