Innichen (Prov. Bozen), St. Michael Zitieren
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Die reiche Freskenausstattung der Pfarrkirche zum heiligen Michael wird eindeutig und durchgehend vom Michaelsthema und dem Kampf zwischen Gut und Böse beherrscht.[1] Das erste Langhausgewölbe zeigt den Erzengel als Begleiter der Seelen ins Jenseits und wird von zwei, in roten Muschelnischen sitzenden allegorischen Figuren begleitet, welche die strafende Gerechtigkeit und die Fülle der Gnaden darstellen. In den Gewölbezwickeln tragen vier Putti die Symbole der letzten Dinge des Menschen: Tod, Gericht, Himmel und Hölle (nach Köberl).[2] Die vier Erdteile begleiten die Legenden um St. Michael im mittleren Langhausgewölbe. Das dritte Langhausgewölbe zeigt den Erzengel als Verteidiger der Muttergottes und der Kirche. Er ist mit einem Flammenschwert und einem Schild mit dem Monogramm der Mutter Gottes gerüstet. Gemäß der Offenbarung 12,7–12 tötet der Erzengel Michael den Teufel in Gestalt eines siebenköpfigen Drachens, der die sieben Todsünden verkörpert, und stößt ihn hinab auf die Erde. Dieses Gemälde wird seitlich begleitet von jeweils in roten Muschelmedaillons präsentierten Darstellungen der Heiligen Familie und der Verleihung des Rosenkranzes an den heiligen Dominikus. Dies ist auf die Bruderschaft „Maria unbefleckte Empfängnis“ zurückzuführen, die 1755 von Dominikus Schraffl gegründet wurde. Diese Bruderschaft, die vor allem die Verehrung Marias in den Vordergrund stellte, bestand bis Ende des 19. Jahrhunderts und zählte rund 150 Mitglieder.[3] Links und rechts davon sind in den Zwickeln die Geburt Marias, der Besuch bei Elisabeth, Jesus im Tempel und Mariä Himmelfahrt dargestellt.
Das Chorgewölbe zeigt den heiligen Michael als Sieger über Luzifer. In den Pendentifs sind als gemalte Stuckfiguren die Allegorien der christlichen Tugenden Fides, Spes und Caritas dargestellt.
Im zentralen Langhausfresko werden zwei Erscheinungen des heiligen Michael im Garganogebirge in Apulien dargestellt, wie sie in der sogenannten „Legenda aurea“ aus dem 13. Jahrhundert überliefert sind. Im Vordergrund ist der Kampf der christlichen Stadt Siponto gegen das damals noch heidnische Neapel erkennbar. Auf Anraten des Bischofs von Siponto, der links im Bild unter einem Baldachin inmitten einer Zahl von Gläubigen dargestellt ist, ließen die Christen drei Tage lang die Waffen ruhen. Diese drei Tage fasteten sie und baten den heiligen Michael um Hilfe in der Schlacht gegen die Heiden. In der dritten Nacht erschien der heilige Michael dem Bischof und sagte, dass die Gebete erhört worden seien und er der Stadt zum Sieg verhelfen werde. Gleich am nächsten Tag sollten die Christen die Feinde angreifen. Während des Angriffs begann der Monte Gargano plötzlich zu beben und ein großes Gewitter kam auf, sodass angeblich 600 Heiden getötet wurden. Die Legende besagt ferner, dass die Überlebenden die Kraft des Erzengels erkannt hätten, ihre heidnischen Glauben aufgaben und sich den christlichen Lehren fügten.[4] .
In Zentrum des Gemäldes schwebt der Erzengel Michael als Beschützer der Kirche. Er schleudert von seinem Schild mit der Inschrift „Quis ut Deus“ Blitze gegen die Heiden, die rechts dargestellt sind. Auf der linken Seite ist ein Bischof abgebildet, der aus der Bibel liest und von Gläubigen umgeben ist. St. Michael bläst Frieden in die Richtung der gläubigen Christen.
In der Mitte des Bildhintergrundes ist die erste Erscheinung des heiligen Michael auf dem Monte Gargano abgebildet. Der reiche Besitzer einer großen Viehherde war erbost, als sich eines Tages ein Stier von der Herde entfernte und nicht mehr zurückkehrte. Als er den Stier dann vor einer Höhle fand, wollte er wutentbrannt das störrische Tier mit einem Pfeil töten. Der Pfeil aber änderte in der Luft seine Richtung und tötete den Schützen. Der heilige Michael erschien dem Bischof und teilte ihm mit, dass dieser Platz von nun an geehrt und bevorzugt werden sollte.[5]
Die vier gemalten Stuckfiguren, die die vier Erdteile verkörpern, sitzen paarweise in goldenen Muscheln links und rechts des Freskos und blicken zum heiligen Michael empor. Putti mit Schrifttafeln bezeichnen diese als Europa, Amerika, Asia und Afrika. Mit einer Krone aus Straußenfedern präsentiert sich Afrika in Begleitung eines Löwen; in ihrer rechten Hand hält sie einen Elefantenstoßzahn. Ihr Gewand ist einfach und schmucklos. Ihr Blick richtet sich nach oben, ihre linke Hand ruht als Ausdruck ihrer Liebe auf ihrer Brust. Der ihr beigefügte Putto hält einen Korallenzweig in die Höhe.
Asien sitzt auf einem Kamel. Wie ihre Schwester Afrika verzichtet sie auf Schmuck. Als Anhängerin des muslimischen Glaubens trägt sie einen Turban und einen Stab, beide gekrönt mit einer Halbmondsichel. Hinweise auf die nach Herrschaft strebende, kriegerische Natur des asiatischen Kontinents geben die beim Putto gelagerten Attribute: Turban mit Krone, Köcher gefüllt mit Pfeilen und ein Säbel.
Europa sitzt auf einem Pferd, sie trägt eine Perlenkette und eine Robe. In ihrer linken Hand hält sie ein Weihrauchfass, ihr Haupt wird von einer Krone bedeckt. Zeichen ihrer weltlichen und geistlichen Herrschaft befinden sich unterhalb des Inschriftenmedaillons: Man erkennt eine Papstkrone (Tiara), einen Bischofshut (Mitra), die Krone des Heiligen Römischen Reiches sowie zwei andere weltliche Kronen.
Amerika ist mit einem einfachen Kleid bekleidet, das ihre rechte Brust freilegt. Sie sitzt auf einem Alligator, trägt eine Federkrone und hält einen Sonnenschirm. Perlenketten liegen um ihren Hals und Körper. Ein Füllhorn, überquellend mit Früchten, unter ihrem Namen verweist auf die in der Frühen Neuzeit mit diesem Kontinent verbundenen Vorstellung von Fruchtbarkeit und Naturverbundenheit.
Auffallend ist, dass die Kontinente prinzipiell gleichwertig in Erscheinung treten. Bereits die gleichmäßige Verteilung auf den zwei Seiten der Langschiffkuppel verhindert eine Hierarchisierung der Kontinente. Zudem tragen alle vier Allegorien Kronen – auch wenn sich diese aus anderen Attributen zusammensetzen. Somit erscheinen alle Frauenfiguren als Herrscherinnen über ihren eigenen Kontinent, keine jedoch scheint den anderen überlegen zu sein.
Allerdings verweisen die beigefügten Attribute auf eine implizierte Hierarchie. Sie zeigen, dass Europa und Asien nach damaligem Verständnis führend in der Kriegskunst, Kultur und Herrschaft waren. Die Hierarchie wird nicht nur durch die Attribute, sondern auch durch die Positionierung im Raum angedeutet. So stehen sich Europa und Asien gegenüber und sind in Leserichtung von hinten nach vorne näher am Chor, dem wichtigsten Ort der Kirche.
[1] Angelika Schwingshackl hat eine wesentlich umfangreichere Ausdeutung des Bildprogramms der Kirche St. Michael vorgelegt: siehe Schwingshackl.
[2] Köberl 1969, 433f.
[3] Kühebacher 1993, 98f. Im Stiftsmuseum in Innichen liegen Dokumente der Bruderschaft auf (Bruderschaftsbuch, Ausweise, Skapuliere, Weihgaben und Rosenkränze).
[4] de Voragine 1997, 748.
[5] de Voragine 1997, 743.
Von West nach Ost:
LANGHAUS
- St. Michael als Begleiter der Seelen ins Jenseits (ergänzt durch die Allegorie der Gerechtigkeit und die Allegorie der Belohnung)
- St. Michael als Beschützer der Kirche (ergänzt durch die Allegorien der vier Erdteile)
- St. Michael als Bekämpfer des Teufels (ergänzt durch die Heilige Familie und der Rosenkranzspende Marias an den hl. Dominikus)
CHORKUPPELFRESKO
Engelssturz
Die barocke Kirche wurde bisher zweimal renoviert. 1932 beschädigte ein Brand die Michaelskirche. Teile der Außenwände wurden durch das Feuer zerstört, der Innenraum war stark verrußt. So wurde über mehrere Jahre der Schaden wieder behoben; erst 1938 waren die Arbeiten abgeschlossen Die Fresken wurden vom Ruß gereinigt, dabei aber nicht beschädigt. Auch die Farben wurden damals nicht erneuert. Dies geschah dann im Jahre 1990 durch die Firma Hubert Mayr.[1] Es wurde besonders darauf geachtet, an den Fresken nichts zu ändern und auch die Farben zu erhalten. Demnach enthalten die Fresken in der heutigen Form noch die originale Botschaft.[2]
[1] vgl.Kühebacher 1987, S. 345ff.
[2] Die Angaben wurden durch Informationen aus einem persönlichen Interview mit Herrn Dr. Egon Kühebacher am 3. April 2013 ergänzt.
Der Programmentwurf ist heute nicht mehr erhalten. Dieser wurde im Franziskanerkloster in Innichen aufbewahrt, das aber am 3. März 1945 durch eine Brandbombe zerstört wurde. So verbrannten auch die dort aufbewahrten Dokumente.[1]
[1] Persönliche Auskunft von Egon Kühebacher, Gespräch vom 3. April 2013.
Zuletzt aktualisiert am: 23.03.2016