Marienikonografie

Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg “Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert” (440–443):

Wie die Verehrung Jesu Christi ist die Verehrung Mariens einer der Grundpfeiler des christlichen Glaubens. Seit dem Konzil von Ephesos im Jahre 431 gilt sie in ihrer Rolle als theotokos (Gottesgebärerin) adorationswürdig. Ihre Auserwähltheit als das Gefäß der Menschwerdung Christi (Mt 1,18–26; Lk 1,26–38); ihre Demut sowie Jungfräulichkeit machten sie zum Gegenstand der Seligpreisung durch alle Geschlechter (Lk 1,46–49; das Magnificat), erhoben sie über alle Heiligen[1] und „qualifizierten“ sie in besonderem Maße in Zeiten der Not und Bedrängnis als mediatrix. Dabei vermittelte sie bei Gott nicht nur für den Einzelnen, sondern ihre Fürsorge galt „auch über der Kirche, über dem Reich und über dem Kaiser. So ist sie starker Schutz, Mauer und Feste für die ganze Welt.“[2] Nicht nur während ihres Daseins auf Erden, wie es en détail das Protoevangelium des Jakobus aus der Mitte des 2. Jahrhunderts überliefert, in dem Maria – anders als in der biblischen Überlieferung – die eigentliche Protagonistin der Handlung ist, [3] sondern auch über ihren Tod hinaus stellte sie ihre Heiligkeit und herausgehobene Stellung unter Beweis. Dies wurde von den Gläubigen anerkannt und durch die Heilige Dreifaltigkeit[4] im Zuge ihrer Erhöhung durch die Himmelfahrt und Krönung gewürdigt. Das Protoevangelium überliefert Marias Abstammung von König David, ihre Kindheit als Präfiguration auf ihre Rolle in Gottes Plan sowie ihre „immerwährende Jungfräulichkeit“.[5] Die frühchristliche Schrift ist Grundlage für die späteren bild-lichen Umsetzungen sowie die mittelalterliche liturgische Dichtung.[6] Im Laufe der Zeit wurden Maria zahlreiche weitere Rollenbilder und Aufgaben übertragen: Quell der Gerechtigkeit, Licht der Finsternis, Ursprung der Erkenntnis der Wahrheit, Befreierin der Menschheit, Leiterin zu Gott, Lehrerin wahrer Tugend, Siegerin über die Schlange, dem Sinnbild des Bösen, und schließlich Versöhnerin mit Gott. Im Zuge dieser Ausprägung entstanden, so Gertrud Schiller, „nun auch die meisten der alttestamentlichen typologischen Beziehungen und der Anwendung neutestamentlicher Bilder auf die Gottesmutter“.[7] Bis zum Beginn der Neuzeit war Maria als „Herrin“ neben Christus dem Herrn fest etabliert: „Sie wurde die Königin aller Menschen und die Gebieterin der ganzen Welt, weil sie die Mutter des Schöpfers gewesen ist.“[8]

Ebenfalls seit frühchristlicher Zeit ist Maria auch fester Bestandteil der christlichen Bildsprache in verschiedensten Medien.[9] In der mittelalterlichen christlichen Kunst war neben dem Typus der stillenden, betenden und thronenden Madonna die Darstellung des Marienlebens in den Legendenzyklen weit verbreitet; man denke nur an Giottos Meisterwerk in der Cappella degli Scrovegni in Padua (1305) oder nördlich der Alpen die weitaus gängigere Form innerhalb der Glasmalerei wie im Chor der Esslinger Pfarrkirche St. Dionys (um 1300) bzw. vereinzelt al fresco ausgeführt wie in der Allgäuer Pfarrkirche St. Bartholomäus in Zell bei Oberstaufen (um 1450). Letztere Darstellung gehörte wie auch die Fresken in der evangelischen Stadtpfarrkirche in Memmingen zu Beginn des nachfolgenden Jahrhunderts zu einem „Auslaufmodell“.[10] In der Zeit des Glaubenskampfes wurde die Bandbreite an Darstellungsthemen – besonders solchen apokryphen Ursprungs – insofern reduziert, als die Jugend Marias nicht mehr Thema war und stattdessen die „dogmatischen“ Grundpfeiler verbildlicht wurden.[11] Kurzum: Die Vielfalt und der Facettenreichtum bildlicher Darstellungen der ersten fünf nachchristlichen Jahrhunderte reduzierte sich im Glaubenskampf ab dem 16. Jahrhundert auf ein klare und eindeutig formulierte und stets wiederholte Botschaft von der siegreichen und fürbittenden Gottesmutter. Dies hatte wiederum zur Folge, dass eine „marianische Frömmigkeit von niemals erreichter Volkstümlichkeit“[12] in Gestalt von Bruderschafts- und Wallfahrtsgründungen etc. aktiviert wurde. Diese Intensivierung des Madonnenkults ist auch als Antwort gegen die Reformation zu verstehen. Die Protestanten, die Maria als Mutter Gottes, als die schlichte Jungfrau der Heiligen Schrift, hochhielten,[13] wendeten sich nicht an Maria und verehrten sie nicht als die Regina Coeli, als die Schützende, die Fürbittende und die in alle Schlachten Siegende. Die gegenreformatorische Antwort war die Adaption und Erweiterung des Kanons bestehender Marienbilder im Zeichen der immaculata conceptio durch das „Herrscherliche, Siegreich-Überwindende“[14]. Bestandteil dieser Entwicklung war auch die Verbindung der Erdteil- mit der Marienikonografie bzw. der christlichen Ikonografie allgemein. Gerade die in Demut knienden Repräsentanten der Weltmission sind Ausdruck von universaler kirchlicher Macht und dem Stellenwert Marias in der katholischen Kirche. Die Kombination erfolgte analog zu jener mit Heiligen. Allerdings liegt die Hauptbestimmung Marias nicht in einer tropologischen Vorbildwirkung und wird somit nicht zum persönlichen Identifikationspunkt des einzelnen Gläubigen. Vielmehr steht ihr Wirken für die Erlösung des Einzelnen und muss daher aus einem anagogischen Blickpunkt interpretiert werden.[15] Im Barock tritt Maria dem Gläubigen bzw. den Erdteilen anfänglich überwiegend als Fürbitterin entgegen, die das Leid und die Hilfeschreie ihrer Verehrer erhört und vermittelt. Hierdurch wird sie Teil des Parakletgedankens im Johannes-Evangelium.[16] Am Tag des Jüngsten Gerichts wird sie für die Guten Zeugnis ablegen und ihnen beistehen. Doch nicht nur im Jenseits soll sie Helferin der Menschen sein, sondern greift auch im Diesseits bereits in das Geschehen der Welt ein.[17] Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wird sie dann häufiger als diejenige, die „der Schlange, dem Satan, den Kopf zertritt“,[18] und als Regina Coeli[19] mit den Erdteilen kombiniert. […]

Besonders der Madonnenkult ist bis heute „ein complexio oppositorum. Himmlisches und Irdisches, Christliches und Antikes, Theologie und Volksfrömmigkeit, Mystik und Scholastik, Phantasie und Logik, Askese und Sinnenfreude, Virginität und Erotik – alles mischt sich hier in bunter Mannigfaltigkeit.“[20] Dies machte Maria in besonderem Maße zur Leitfigur katholischer Volksfrömmigkeit.

[1]       Schiller Ikonographie 4.2/1980, 14.

[2]       Ebd., 13.

[3]       Vgl. Schneemelcher Apokryphen 1990.

[4]       Insbesondere Christus sah sich auch an das vierte Gebot gebunden, das ihm die Ehrung der Eltern auftrug.

[5]       Schiller Ikonographie 4.2/1980, 10.

[6]       Als eigentlicher Quell des westlichen Marienbildes ist nicht in erster Linie das theologischen Schrifttum eines Hrabanus Maurus oder eines Ambrosius Autpertus, sondern vielmehr die liturgische Dichtung anzusehen, wie man sie im Werk des Bischofs von Poitiers, Venantius Fortunatus, aus dem 6. Jahrhundert vorfindet: Carmina miscellanea (11 Bücher), Quem terra, pontus, aethera (Marienlied), In laudem sanctae Mariä (Lobgedicht).
Vgl. ebd., 39.

[7]       Ebd., 14. So ist z. B. im Chor der Klosterkirche von Baindt die Krönung Esthers durch Ahasver als Präfiguration der Erhöhung Mariens, umgeben von den vier Erdteilen, dargestellt.

[8]       Ebd., 15.

[9]       Vgl. LCI Maria, Marienbild 1994, 155; Keel Ausblick 2006, 266–273.

[10]      Vgl. Schiller Ikonographie 4.2/1980, 54; LCI Marienleben 1994, 212–234; Sachs/Badstübner/Neumann Wörter-buch 2004, 260f.; Poeschel Ikonographie 2007, 120.

[11]      Vgl. Schiller Ikonographie 4.2/1980, 54.

[12]      LCI Maria, Marienbild 1994, 199.

[13]      Luther kritisierte die abgöttische Verherrlichung und Idolisierung Mariens durch die Katholiken. Vgl. Burger Marias Lied 2007.

[14]      LCI Maria, Marienbild 1994, 199.

[15]      Vgl. Romberg Welt in Österreich 2008.

[16]      Siehe Joh. 14,16–31; 15,26–27; 16,7–11 und 13–15, vgl. auch Bornkamm Paraklet 1968, 68–89.

[17]      Vgl. Romberg Welt in Österreich 2008.

[18]      Vocelka/Heller Lebenswelt 1997, 21.

[19]      Vgl. LCI Immaculata Conceptio 1994, 343.

[20]      Heiler Madonnenkult 1920, 421. 

Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.

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Titel Art Zeitliche Einordnung
Möhren (Weißenburg-Gunzenhausen), Mariä Himmelfahrt Erdteilallegorien 1757-1757
Mussenhausen (Unterallgäu), Unsere Liebe Frau vom Berg Karmel Erdteilallegorien 1756-1756
Nassenfels (Eichstätt), St. Nikolaus Erdteilallegorien 1745-1745
Nesselwang (Ostallgäu), Maria Trost Erdteilallegorien 1757-1757 bis 1758-1758
Neustift (Prov. Bolzano), Unsere Liebe Frau Erdteilallegorien 1736-1736
Niederaltaich (Deggendorf), St. Mauritius Erdteilallegorien 1719-1719 bis 1722-1722
Niederzirking (PB Perg), Mariä Himmelfahrt Erdteilallegorien 1694-1694
Obereglfing (Weilheim-Schongau), St. Martin Erdteilallegorien 1757-1757
Oberhausen (Neu-Ulm), St. Alban Erdteilallegorien 1780-1780
Oberigling (Landsberg am Lech), SS. Peter und Paul Erdteilallegorien 1735-1735
Oberostendorf (Ostallgäu), Mariä Himmelfahrt Erdteilallegorien 1747-1747
Otting (Donau-Ries), St. Richard Erdteilallegorien 1739-1739
Ottobeuren (Unterallgäu), Klostergebäude, Abtei-Treppenhaus (Erler) Erdteilallegorien 1728-1728
Reinstetten (Biberach), St. Urban Erdteilallegorien 1742-1742
Rettenbach (Deggendorf), Mariä Heimsuchung Erdteilallegorien 1789-1789
Ringingen (Zollernalbkreis), Unserer Lieben Frau Erdteilallegorien 1763-1763
Rötsee (Ravensburg), Maria Königin der Engel Erdteilallegorien 1748-1748
Rottenbuch (Weilheim-Schongau), Mariä Geburt Erdteilallegorien 1742-1742
Rottweil (Rottweil), SS. Peter und Paul (Fresken) Erdteilallegorien 1755-1755
Scheuer (Regensburg), Unsere Liebe Frau Erdteilallegorien 1760-1760
Schlanders (Prov. Bolzano), Maria Namen Erdteilallegorien 1759-1759
Schonstett (Rosenheim), St. Johannes Baptist Erdteilallegorien 1756-1756
Schröding (Erding), St. Nikolaus Erdteilallegorien 1759-1759
Schwabmühlhausen (Augsburg), St. Martin Erdteilallegorien 1759-1759
Seekirch (Biberach), Mariä Himmelfahrt Erdteilallegorien 1756-1756
Sießen (Sigmaringen), St. Markus Erdteilallegorien 1729-1729
Sinning (Neuburg-Schrobenhausen), St. Nikolaus [Seitenaltar] Erdteilallegorien 1800-1800
Sontheim (Unterallgäu), St. Martin Erdteilallegorien 1757-1757
Steinhausen (Biberach), SS. Peter und Paul Erdteilallegorien 1731-1731
Stetten (Zollernalbkreis), St. Johannes Baptist Erdteilallegorien 1774-1774
Tannheim (Biberach), St. Martin Erdteilallegorien 1766-1766
Tapfheim (Donau-Ries), St. Peter Erdteilallegorien 1750-1750
Telfs (PB Innsbruck Land), Unbefleckte Empfängnis Mariens Erdteilallegorien 1710-1710
Thierhaupten (Augsburg), SS. Peter und Paul [Seitenschifffresken] Erdteilallegorien 1762-1762
Tiengen (Waldshut-Tiengen), Mariae Himmelfahrt Erdteilallegorien 1754-1754
Tiers (Prov. Bolzano), St. Georg Erdteilallegorien 1772-1772
Tisens (Prov. Bolzano), Mariä Himmelfahrt Erdteilallegorien 1780-1780
Tratten (PB Hermagor), SS. Lucia und Jodokus Erdteilallegorien 1770-1770
Trens (Prov. Bolzano), Mariä Himmelfahrt Erdteilallegorien 1754-1754
Uttenheim (Prov. Bolzano), Hl. Margareta Erdteilallegorien 1774-1774
Waldkirch (Günzburg), Mariä Schmerzen Erdteilallegorien 1745-1745
Wasserburg am Inn (Rosenheim), Unserer Lieben Frau Erdteilallegorien 1750-1750
Wemding (Donau-Ries), Maria Brünnlein Erdteilallegorien 1754-1754
Westheim (Augsburg), St. Maria von Loreto Erdteilallegorien 1730-1730
Witzighausen (Neu-Ulm), Mariä Geburt Erdteilallegorien 1740-1740

Seiten

 

Forschungsplattform Erdteilallegorien im Barockzeitalter / Research Database Continent Allegories in the Baroque Age

Nirgendwo hat der Barock eine solche Dichte an Allegorien der vier Erdteile – Europa, Asien, Afrika und Amerika – hervorgebracht wie im Süden des Heiligen Römischen Reiches. In ihnen manifestieren sich die Vorstellungen des Barock von der Gestalt der Welt, ihrer politischen, sozialen und spirituellen Ordnung, vom Fremden wie vom Bekannten. Diese einzigartige Sammlung dokumentiert Darstellungen der vier Erdteile in Fresken, Stuck, Gemälden oder Skulpturen in ihren ursprünglichen Ausstattungskontexten. Baugeschichten sind ebenso erfasst wie Künstler und Auftraggeber.

Publikationen zum Projekt:

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Allegories of the four continents – Europe, Asia, Africa, and America – were an extremely popular iconographic motive during the baroque era. It was most prevalent in the Southern Parts of the Holy Roman Empire. These allegories express/manifest/carry the imagination/conception/vision of the baroque of the shape of the world, its political, social, and spiritual order as well as of foreign and familiar things. This unique collection documents depictions of four continents in frescoes, stucco, paintings or sculptures in their place of origin. The historical contextualization contains the building history as well as artists and principals.

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