Tigerfeld (Reutlingen), St. Stefan Zitieren
- ‹
- 2 von 2
Im Chor zeigen fünf reich mit vegetabilem Rahmenstuck verzierte runde Deckenspiegel die drei christlichen Tugenden mit dem allerheiligsten Altarsakrament, umgeben von den vier Erdteilen.[1] Auf einem Wolkenberg sitzt die Personifikation des Glaubens (Kreuz), flankiert von ihren Schwestern Liebe (flammendes Herz) und Hoffnung (Anker). Sie hält mit ihrer rechten Hand eine Monstranz hoch, die der Sonne gleich erstrahlt. Zu ihren Füßen fliegen zwei Putti. Der linke hält das Monogramm Christi IHS hoch, der rechte verkündet dessen Ruhm mit einer Fanfare der gesamten Menschheit. Diese wird durch die Personifikationen der vier Erdteile in den vier Rundmedaillons dargestellt. Oberhalb des Altars befinden sich Europa und Asien; direkt vor dem Chorbogen Afrika und Amerika.
Die im Profil dargestellte Vertreterin Europas ist mit einem mit goldenem Futter ausgelegten weißen Mantel bekleidet, dessen Borte mit Perlen reich verziert ist. Auf ihrem goldenen mit Perlen geschmückten Haar trägt sie eine Krone. Ihre Gesichtszüge sind von herber Gestalt; besonders ihre Nase mit seinem langem Nasensteg und runden Nasenspitze sowie ihre schmalen aufeinander gepressten Lippen unterscheiden sie vom klassischen Schönheitsideal weiblicher Personifikationen. Ihr Blick ist starr vor sich gerichtet. Zwischen ihren vor der Brust gefalteten Händen hält sie ein brennendes Herz, dessen weiße Flamme von ihr weg flackert. Im Hintergrund begleiten sie am linken Bildrand ein Page, am rechten ein Pferd.
Gegenüber von ihr ist der männliche Repräsentant der Asia an den Attributen Weihrauchfass, Turban, roter Kaftan, Halbmond und Kamel eindeutig zu erkennen. Anders als die anderen Erdteilallegorien, die offen ihre Liebe zu Gott bekunden, hält er schützend seine rechte Hand vor das Gesicht. Im Bildvordergrund begleitet ihn ein Page, der Zepter und eine Mondsichel in den Händen hält. Diagonal der Asia gegenüber wendet sich die dunkelhäutige Personifikation Afrika in scheinbarem Überschwang der Gefühle dem Mittelspiegel zu, eine Hand hat sie an ihre verdeckte Brust gepresst, die andere von sich nach hinten gestreckt. Aufgrund ihrer Rückenansicht ist ihr Geschlecht schwer eindeutig zu bestimmen. Sie trägt ein blaues Gewand, dessen kurze Ärmel mit langen Federn enden. Um ihre Hüfte hat sie einen braunen Gurt mit einem Köcher voller Pfeilen geschnürt. Als Schmuckelemente sind eine goldene Halskette, Perlenohrringe und blaues Stirnband mit Federn zu sehen. Ein Löwe am unteren Bildrand sowie ein Page leisten ihr Gesellschaft in der kargen Landschaft, in der nur vereinzelte Büsche zu sehen sind. Der Page streckt ihr zum Schutz vor der Glut der Sonne einen grünen Sonnenschirm entgegen.
Die letzte der vier Erdteilallegorien – Amerika – präsentiert sich Frontal dem Betrachter. Ihr Inkarnat changiert: Am Hals ist es von einem braunen Farbton und im Gesicht dunkel übermalt. Das dunkelbraune Haar schmückt eine Federkrone, an deren Stirnseite ein Kreuz aus Perlen befestigt ist. Diesem Zeichen der Frömmigkeit entspricht ihre im Betgestus dargestellte. Hierdurch sind die Ärmel ihres weißen Gewands nach hinten gerutscht und erlauben den Blick auf ihr rotes Untergewand. Zwischen ihren Armen ragt ein Ast in die Höhe, an dessen oberem Ende unterhalb eines kleinen Astvorsprungs sich ein Papagei festklammert. Über ihren linken Arm fließt ein grünes Tuch, das den riesigen Kopf eines grimmig aussehenden, fauchenden Reptils halb verdeckt. Weitere Hinweise auf ihre Naturverbundenheit der Bewohner dieses Erdteils finden sich in der Muschel, dem Korallenzweig, dem Baumstumpf und den grünen Gras am linken Bildrand.
[1] KDA Württemberg (Münsingen) 1926, 131 – fälschlicherweise als die sieben Haupttugenden identifiziert.
von West nach Ost:
LANGHAUS
- Predigt des heiligen Stephanus [ergänzt 1931]
- Verteilung von Almosen durch den heiligen Stephanus [ergänzt 1931]
- das Märtyrium des heiligen Stephanus (Steinigung) [ergänzt 1931]
- Weihe zum Diakon
- Spende der Eucharistie
- Zwiefalter-Reliquie der Stephanushand mit dem Wappen von Abt Nikolaus Schmidler
CHOR
- Mittelbild: Präsentation des allerheiligsten Altarsakrament durch die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung
- Seitenbilder: die vier Erdteile
Das heutige Erscheinungsbild der Tigerfelder Pfarrkirche entspricht der Farbfassung des 19. Jahrhunderts, die 1985 wieder rekonstruiert wurde.[1] Die Originalfassung war wohl aufgrund mehrfacher Übermalungen und Farbveränderungen (besonders bei den Inkarnaten) im Zuge der Umbauten der Jahren 1872 (Neogotisierung) und 1915 nicht wiederherstellbar gewesen.[2] Während 1915 der Wessobrunner Stuckateuren zugeschriebene Rahmenstuck „mit Eichenlaub, Lorbeer, Tannenzapfen und anderen vegetabilischen Formen“[3] zusätzlich bereichert wurde, ließ der Ortspfarrer R. D. Otto Gauß die Kirche 1930/31 rebarockisieren, indem die neugotischen Altäre entfernt, die Seitenaltargemälde[4], die zwischenzeitlich als Wandschmuck den Hochaltar flankiert hatten,[5] ihrem Ursprungszweck zurückgeführt und drei der sechs Langhausspiegel durch den Maler Georg Baur neugemalt wurden.[6] Im Bereich der Erdteilfresken ist zu vermuten, dass die Komposition aufgrund ihres Darstellungstypus zwar dem Original entsprechen könnte, aber die stilistische Ausführung (siehe hier das Kamel in der Asia-Darstellung, die grafisch-flächige Ausführung der Figuren) ist Zeugnis vorausgegangener Übermalungen und Veränderungen.
[1] Vgl. Bauforschung 2008. In der Marburger Bilddatenbank für Architektur und Kunst finden sich eine Reihe von historischen Aufnahmen der Kirche aus dem Jahr 1988.
[2] Eventuell hat der Autor des KDA Württemberg (Münsingen) von 1926 aufgrund der schweren Lesbarkeit der Fresken, die Ikonografie der Chorfresken fälschlicherweise als die sieben Haupttugenden identifiziert. Vgl. KDA Württemberg (Münsingen) 1926, 131; Kolb 1990, 356; Datenbank „Bauforschung“.
[3] Bauforschung 2008.
[4] Eines der beiden Gemälde stammt sicher aus der Zeit des Neubaus, da vom Zuger Künstler Johann Martin Muos (1679–1716) signiert und datiert worden ist. Vgl. hierzu ausführlich den Aufsatz von Paul Aschwanden „Ein Altargemälde des Zuger Malers Johann Martin Muos in Tigerfeld/Württemberg“ von 1963, 42–47.
[5] Vgl. KDA Württemberg (Münsingen) 1926, 131f.
[6] vgl. Aschwanden 1963, 46.
Günter Kolb war 1989 der erste der die Tigerfelder Deckenfresken mit dem Künstler Andreas Meinrad von Au in Verbindung brachte.[1] Trotz des durchaus problematischen Erhaltungszustands der Fresken in Tigerfeld fallen im Vergleich zu anderen Werken Aus überzeugende kompositionelle Parallelen auf. Während Kolb insbesondere seine Zuschreibung an einem Vergleich mit den kurz vorher entstandenen Emporenfresken der Zwiefaltener Klosterkirche festmacht, belegen die Tigerfelder Erdteildarstellungen noch überzeugender eine Autorenschaft von Andreas Meinrad von Au. Sie stehen eindeutig in der Tradition von Aus Allegorien in den Kirchen von Wald 1753, Haigerloch 1754, Sigmaringen 1758 und Meßkirch 1771. Besonders die Afrika- und Amerikaallegorien sind Kopien der entsprechenden Personifikationen im Chor der Klosterkirche von Wald. Hier stimmen Körperhaltung und Attribute überein. Darüber hinaus finden sich kompositionelle Gemeinsamkeiten[2] in allen Asiendarstellung – gesenkter Kopf und Blick, Schnurbart, Turban, Hand schützend an die Stirn beziehungsweise den Turban gelegt, Kamel im Hintergrund, Szepterform, Weihrauchfass, Page – und der Sigmaringer Europaallegorien.
In der Datierung, die in der Regel um 1770 angesetzt wird[3], wäre eine frühere Entstehungszeit – wie sie von Reinhold Halder im Katalog der Sigmaringer Jubiläumsausstellung von 1992 mit 1765 vorschlägt – zu überlegen.[4] 1764 erhielt Au den Auftrag unter dem Zwiefaltener Abt Benedikt Mauz (reg. 1744–1765) die Kapellen und die Emporen der Klosterkirche von Zwiefalten auszumalen. Die Wahl fiel auf ihn, da er wie kaum ein anderer Künstler dem Kolorit und der Komposition Franz Joseph Spiegler nahestand. Spiegler hatte zwar 1749 die Haupträume der Kirche ausgemalt, aber war 1757 verstorben. Au vollendet nun die Zwiefaltener Ausmalung erst 1766 unter Mauz Nachfolger Nikolaus II. Schmidler (1765–1787), da er zwischendurch vom neuen Abt auch mit der Ausstattung der inkorporierten Pfarrkirche St. Gallus im nahe gelegenen Mörsingen beauftragt worden war. Die nächste sichere Datierung liegt erst aus dem Jahr 1768 vor, in dem Au für die Franziskanerinnen in Laiz deren Klosterkirche ausmalte. 1770 wurde ihm von der fürstlichen Familie von Fürstenberg-Stühlingen die Bauleitung in der Barockisierung der Pfarrkirche in Meßkirch übertragen. Demzufolge ist es plausibel, dass die Tigerfelder Kirche um 1767 ausgestattet worden ist.
[1] Vgl. Kolb 1990, 356, Anm. 172.
[2] Von einem stilistischen Vergleich wird aufgrund der Befundsituation abgesehen.
[3] Vgl. Kreis Reutlingen 1975, 168; Kolb 1990, 356.
[4] vgl. AK Sigmaringen 1992, 116.
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2016