Altenburg (PB Horn), Stift, Bibliotheksvestibül Zitieren
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Ein hohes dreigeschossiges Treppenhaus gewährt Zugang zu den Räumen des Bibliothekstraktes. Es verbindet die Bibliothek im Erdgeschoss mit dem Zugang zum Konvent im ersten Obergeschoss. Jeweils neun große Fenster an den beiden Außenwänden lassen reichlich Licht in den hohen Raum. An den Stirnseiten, jeweils über dem Bibliotheks- und dem Konventeingang, durchbrechen große Rundfenster das Mauerwerk. Die Dreigeschossigkeit des Treppenhauses spiegelt sich auch in der dreigeschossigen Gliederung der Wände. Die zwei unteren Geschosszonen sind in Weiß gehalten, die oberste Geschosszone und das flache Deckengewölbe mit vielfarbigen Fresken ausgemalt. An breite Pilaster zwischen den Fensteröffnungen des Erdgeschosses schließen sich über einem Gesims Hermenpilaster. Diese schließen oben mit individuell ausgeführten Faunen ab, die mit ihren Schultern und Händen wiederum das nächste Gesims stützen. Darüber beginnt die Freskenzone, in der eine opulent ausgeführte Scheinarchitektur die schlichten Formen der plastisch ausgeführten Pilaster und Simse aufgreift und weiterführt.
Das gestalterische Programm ist bestimmt von dem Prinzip der Vierheit, das in vielfach verschachtelter Weise auftritt. An den ost- und westseitigen Seitenwänden sind zwischen den obersten Fensteröffnungen die vier Jahreszeiten zu sehen. Frühling und Sommer auf der West-, Herbst und Winter auf der Ostseite. An den Stirnwänden, zu beiden Seiten der Rundfenster, treten hingegen die vier Elemente als Gegensatzpaare auf (Wasser und Feuer, Erde und Luft), zusammen mit Figurengruppen, welche die ihnen zugeordneten Temperamente verkörpern (Phlegmatiker und Choleriker, Sanguiniker und Melancholiker).
Über einem schmalen Gesims setzt eine weitere, durch geschickte Illusionsmalerei auf der Gewölbefläche vorgetäuschte Wandzone auf. Darüber schließt sich nach einem weiteren Gesims eine mit tiefen Kassetten versehene Kuppel an, deren Zentrum sich zu einem von dramatischen Wolken durchzogenen Himmel öffnet. Die zentralen Nischen in den vier Wandflächen sind von Allegorien der vier Erdteile besetzt.
In den Ecken, über mit Blumen gefüllten Prunkvasen, kauern Putti auf dem Gesims. Sie verkörpern die vier Tageszeiten, also Morgen, Mittag, Abend und Nacht.
In der Öffnung der Kuppel sind vier Figuren zu sehen, die das zentrale ikonische Narrativ bilden. In der Mitte schwebt ein geflügelter Greis, Chronos, der Gott und Allegorie der Zeit. In seinen Armen hält er eine weibliche Figur in antikisierendem Harnisch und Helm. Es ist dies Minerva, die Göttin der Weisheit, hier in uncharakteristisch hilfloser Pose dargestellt. Ein Putto hält in seinen Händen gut sichtbar die Symbole der beiden Gottheiten. Es sind dies die Sichel des Chronos und der Uroboros, die Schlange, die ihren eigenen Schwanz verschlingt. Unterhalb dieser nach oben, in den Himmel hochstrebenden Gruppe hocken die Personifikationen des Neides (mit Medusenhaupt) und der Zwietracht (mit Dolch und Feuerbrand) auf dem Rand der Kuppelöffnung.
Die allegorische Repräsentation der Erdteile in diesem Raum ist insofern bemerkenswert als die Erdteile jeweils durch Gruppen von zwei kriegerischen weiblichen Personifikationen symbolisiert werden, die ein für den jeweiligen Erdteil typisches Tier in die Mitte nehmen und auf ausladenden Wolkenbänken vor ihren Nischen in der Illusionsarchitektur zu schweben scheinen.
Die besondere Ausgestaltung der Figuren und die Verteilung der Attribute erschwert bis zu einem gewissen Grad ihre Zuschreibung zu einem bestimmten Weltteil.
Eindeutig zu bestimmen ist Europa an der Ostwand des Saales, deren tierisches Attribut, das Pferd, nur äußerst selten mit anderen Erdteilen in Zusammenhang gebracht wird.[1] Zur Rechten des Tieres ist eine mit antiker Rüstung bekleidete Amazone zu sehen, in ihrer rechten Hand hält sie eine Reiterlanze mit rot-weiß-roter Fahne, mit ihrer rechten Hand hält sie den Zügel des Pferdes. Zur Linken des Tieres ist eine in bunte, ausladende Frauenkleider gehüllte Figur dargestellt, die dem Betrachter den Rücken zukehrt und in einer fast tänzerisch anmutenden Weise mit beiden Händen ebenfalls den Pferdezügel hochhebt.
Klar zu identifizieren ist auch die Allegorie der Asia, an der nördlichen Stirnwand über dem Durchgang zum Konvent – auch wenn hier jegliche orientalische Tracht fehlt. Zwei weibliche Figuren sitzen zu Seiten eines knienden Dromedars. Die linke Figur ist mit Goldreif und Federkrone geschmückt, sie ist mit einem goldenen Gürtel gegürtet und trägt ein weites Gewand in Blau- und Rottönen. In ihren Händen hält sie den langen Zügel des Kamels, das mit Kopfzier und Decke geschmückt ist. Die zweite Figur ist mit einem leichten Speer bewaffnet. Ihr Gewand ist etwas detailreicher ausgeführt, feine Fransen säumen die weiten, hochgeschobenen Hemdsärmel und den Saum des weiten, mehrfach gerafften Kleides. Von ihren Schultern gleitet ein schwerer grüngoldener Brokatmantel mit dicken Troddeln. Ein kurzes Oberkleid, das durch einen goldenen Gürtel gehalten wird, ist mit dünnen goldenen Streifen ausgeführt. Sie trägt weder Krone noch Helm, stattdessen einen dünnen Haarreifen mit reichem Perlenschmuck.
Als weitaus schwieriger erweist sich hingegen die Identifizierung von Afrika und Amerika. Es betrifft dies die beiden Darstellung über dem Bibliothekseingang an der südlichen Stirnwand mit zwei Frauen und einem Elefanten sowie an der westlichen Seitenwand mit zwei Frauenfiguren und einem Löwen.
Die Erdteilallegorie an der Nordwand über dem Konventeingang zeigt zwei gleichermaßen kriegerisch gewappnete Frauenfiguren und einen Löwen. Die rechte Figur trägt reiche, weich fallende Kleider. Auf ihrem Kopf sitz eine schlichte goldene Krone, in ihrer linken Armbeuge ruht ein leichter, rotbefiederter Speer. Mit einer ausladenden Geste des rechten Armes wendet sie sich ihrer Begleiterin zu, die etwas erhöht auf der gemeinsamen Wolkenbank thronend, zu ihr herunterblickt. Es scheint ein lebhafter Dialog zwischen den beiden Figuren stattzufinden, deutet diese zweite Figur doch mit ihrer linken Hand nach oben, während sie mit der rechten Hand einen goldenen Ball umfängt. Verstärkt wird die Dynamik der Szene durch das Lächeln auf dem Gesicht der Figur, sodass der Eindruck entsteht, als wolle sie die erste auffordern den Ball zu fangen, den sie im nächsten Moment wohl werfen wird. Wie ein großer Hund folgt der zwischen den beiden Frauen stehende Löwe mit seinem Blick dem erhobenen linken Arm der zweiten Figur, so als warte er darauf loszuspringen und dem einmal geworfenen Ball nachzujagen. Die zweite Frauenfigur ist in ein weites Gewand aus blauem Tuch gekleidet, um ihre Mitte trägt sie einen goldenen Gürtel, den Kopf schützt ein mächtiger Helm mit purpurner Federraupe nach antikem Vorbild.
Die Erdteilallegorie über dem Bibliotheksportal an der südlichen Stirnwand zeigt eine barbarische Kriegerin mit Goldreif und Federkrone, die – auf eine Wolkenbank hingestreckt lagernd – in ihren Händen einen Pfeil und einen nicht bespannten Bogen hält. Mit ihrer rechten Hand stützt sie sich auf einen großen, weißgoldenen Schild, um ihre Handgelenke fallen locker Armbänder aus weißen Perlen. Im Gegensatz dazu ist die Begleiterin dieser Fürstin in europäisch anmutende, reiche Gewänder gehüllt. Ein enges rotes Mieder bedeckt den Oberkörper, die Arme werden von weiten, weißen Ärmeln umspielt, ein goldfarbenes, mit Perlen besticktes Kleid und ein zartblaues Unterkleid vervollständigen ihren Aufzug. Diese Figur umfängt mit ihren Armen das Haupt eines Elefanten, der durch einen Federkopfschmuck und reiche Decken geschmückt ist.
Die besondere Ausgestaltung der Figuren und die unbestimmte Verteilung der Attribute lässt keine eindeutige Zuschreibung zu einem bestimmten Weltteil zu. So ist das typische tierische Attribut der Amerika, das Krokodil, hier nicht anzutreffen.[2] Der Löwe hingegen ist meist Afrika zugeordnet, kann aber manchmal auch als Begleiter der Amerika angetroffen werden – vor allem bei Darstellungen des Triumphes des heiligen Benedikt (siehe Melk, Bildersaal; Marienberg, Klosterkirche; ein weiteres Beispiel ohne Darstellung des heiligen Benedikt ist Melk, Dietmayr-Saal). Der Elefant ist – noch häufiger als der Löwe – Afrika zugeordnet, findet sich aber vereinzelt auch als Begleiter Amerikas.[3] Auf reale zoologische Gegebenheiten kann jedenfalls bei der Bestimmung der Erdteilallegorien keinesfalls Bezug genommen werden, gerade im Falle Afrikas und Amerikas ist die Zuordnung oft unbestimmt und austauschbar.[4]
Die Federkrone sowie Pfeil und Bogen einer der beiden Figuren in der „Elefantengruppe“ könnten als Hinweis auf Amerika gedeutet werden, aber da diese „barbarischen“ Attribute auch sehr oft bei Afrika-Darstellungen auftauchen, ermöglicht auch dies keine eindeutige Identifizierung. Darüber hinaus trägt auch eine der beiden Asia-Figuren eine Federkrone, was ebenfalls untypisch ist.
Herbert Karner hat in einem Beitrag aus dem Jahr 2008 ohne weitere Begründung die Elefantengruppe als Amerika und die Löwengruppe als Afrika identifiziert. Marion Romberg kommt in einer umfangreichen Studie zum Schluss, dass eine gegenläufige Deutung wahrscheinlicher ist, und ordnet die Elefantengruppe Afrika und die Löwengruppe Amerika zu. Sie stützt sich dabei zum einen auf eine statistische Auswertung der Tierattribute in Erdteilallegorien im heutigen Österreich, wonach der Elefant wie auch der Löwe in ganz überwiegendem Maße als Attribute Afrikas auftreten.[5] Dieses Ergebnis wird auch im vorliegenden Projekt durch die Auswertung des um Erdteilallegorien aus Süddeutschland und Südtirol vielfach erweiterten Bestandes eindeutig bestätigt.
Zum anderen hat Romberg auf zwei Beispiele von Erdteilallegorien im Stift Melk hingewiesen, die beide Zeiller gut bekannt gewesen sein dürften. Es sind dies die von seinem Lehrer Paul Troger etwa drei Jahre zuvor (1739) im Bildersaal angefertigten Erdteildarstellungen sowie die aus den 1720er-Jahren stammenden Erdteilallegorien aus der Hand Hans Georg Waibls im Dietmayr-Saal. Beide Beispiele zeigen Amerika mit einem Löwen und Afrika mit einem Elefanten. Darüber hinaus ist Waibls Afrika mit Federkrone, Pfeil und Bogen bewaffnet, was wiederum eine Identifizierung der Elefantengruppe von Zeiller als Afrika stützen könnte. Jedenfalls kann angenommen werden, dass Zeiller sowohl die Fresken Trogers als auch jene Waibls in Melk kannte.[6]
Ein weiteres Indiz, das Romberg anführt, sind die Erdteilallegorien von Johann Michael Flor im Kaisertrakt (Blaues Zimmer) von Stift Altenburg. Sie wurden zeitgleich zu Zeillers Fresken im Bibliotheksvestibül ausgeführt, waren diesem also mit Sicherheit ebenfalls bekannt. Auch hier ist Afrika mit einem Elefanten abgebildet.[7]
Letztlich fehlt ein eindeutiger, unwiderlegbarer Beweis für eine eindeutige Identifizierung, es bleibt zu konstatieren, dass Johann Jakob Zeiller offensichtlich sehr frei mit dem ikonischen Kanon und den zur Verfügung stehenden Vorlagen umgegangen ist.
Das Programm der Freskenausstattung ist in Zusammenhang mit der Positionierung im Stiftskomplex zu sehen. Das Vestibül der Bibliothek, eigentlich ja ein großes, lichtdurchflutetes Stiegenhaus, verbindet die Bibliothek mit dem Konvent. Der Eintritt in den Raum erfolgt also nicht wie heute als Besucher von unten, aus dem Erdgeschoss heraufsteigend, sondern entweder vom obersten Treppenabsatz, also durch die Tür zum Konvent, oder aber aus der Bibliothek auf den mittleren Treppenabsatz hinaustretend.
Ganz klar ist der programmatische Bezug der Fresken des Vestibüls zu jenen in der Bibliothek selbst. Diese wurden zeitgleich (1742) von Paul Troger, dem Lehrer Zeillers, gemalt. Im Zentrum ihres Programms steht – wie bei Zeillers Fresken im Bibliotheksvestibül – das Genrealthema der Weisheit und der Wissenschaft.[8] Im Oculus der Hauptkuppel der Bibliothek ist in beherrschender Pose die Allegorie der Weisheit zu sehen, wie im Vestibül in der Rüstung der Minerva dargestellt. Diese Darstellungsweise lässt sich auf die Divina Sapientia in Cesare Ripas Iconologia zurückführen.[9] Während also in Zeillers Fresko im Vestibül die Weisheit durch die Zeit vor dem Zugriff von Neid und Zweitracht errettet wird – eine Allegorie auf die Unvergänglichkeit der Wahrheit, die sich erst im Vergehen der Zeit erweist –, so ist sie nun in der Bibliothek, dem „Tempel der Weisheit“[10], an dem ihr angestammten Platz.
Wie bei den Fresken des Vestibüls wirkt auch in der Bibliothek die Vierzahl als ordnendes Prinzip. Im Vestibül sind es die vier Erdteile, die vier Jahreszeiten, die vier Elemente, die vier Temperamente und die vier Tageszeiten. In den nördlichen und südlichen Kuppeln der Bibliothek sind es die Personifikationen der vier Fakultäten dargestellt: Theologie und Jurisprudenz, Philosophie und Medizin. Verbunden sind diese mit den vier Kirchenvätern, dem Gleichnis vom Zinsgroschen (Mt 22, 15-22), mit den Weissagungen des Dionysius Aeropagiter sowie dem Gleichnis vom heiligen Samariter (Lk 10, 34).[11]
Zwei auf Johann Michael Flor zurückgehende Stuckreliefs im Gewölbe der Bibliothek zeigen ebenfalls die Vierzahl. Zum einen Minerva, umgeben von Sonnenblume, Adler, Phönix und Halbmond; zum anderen Herkules umgeben von im Brennspiegel gebündelten Sonnenstrahlen, einem Liktorenbündel, einer meerumtosten Säule und dem in der Sonne verbrennenden Phönix.[12]
Während also die mehrfach wiederholte Vierzahl im Freskenprogramm des Vestibüls auf eine kosmologische Ordnung verweist, fungiert die in der Bibliothek als Hinweis auf die Systematiken des Wissens, wobei sowohl auf antike Überlieferung als auch auf biblische Weisheitsvorstellungen rekurriert wird.
Die Freskenausstattungen in der Bibliothek des Stifts Altenburg und im Vestibül derselben sind also nicht nur gleichzeitig entstanden, sie sind das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen den verantwortlichen Künstlern Zeiller und Troger und eines gemeinsamen Programms. Das Vestibül ist also nicht Durchgangstation, sondern es ist tatsächlich Vorbereitung und Eintrittshalle in den „Tempel der Weisheit“.
[1] Bei Herbert Karner werden die Himmelsrichtungen der Anbringungsorte falsch angegeben. Siehe Karner 2008, 109.
[2] In der die Erdteilmotive prägenden Iconologia von Ripa sind Amerika mit Krokodil und Afrika mit Löwen dargestellt.
[3] So etwa im Gartenpavillon von Melk, in St. Martin in Hirrlingen, in der Kapelle St. Joseph in Sigmaringen oder in Schloss Leopoldskron.
[4] Poeschl 1985, 137–139.
[5] Romberg 2008, Bd. 2, 14.
[6] Romberg 2008, Bd. 1, 28-29.
[7] Romberg 2008, Bd. 1, 29–31.
[8] Ausführliche Ausdeutung siehe Telesko 2008, 108–121.
[9] Mit Schild, Lamm Gottes, Buch und Säulenpodest. Siehe Ripa-Ausgabe von Iconologia die Cesare Ripa 1645, S. 547.
[10] Telesko 2008, 112 bzw. 117 („templum sapientiae“).
[11] Telesko 2008, 115.
[12] Telesko 2008, 117–118.
Kuppelfresko
- Mitte: die Zeit (Chronos) rettet die Wahrheit vor Neid und Zwietracht
- Ecken, über Vasen: vier Putti, die Tageszeiten verkörpernd: Morgen, Mittag, Abend, Nacht
- Mittig über dem Gesims: die vier Erdteile
- Osten: Europa
- Norden: Asien
- Westen: Amerika
- Süden: Afrika
Seitenwände:
- Stirnseiten: die vier Elemente und die vier Temperamente
- Norden: links Erde und Melancholiker, rechts Luft und Sanguiniker
- Süden: links Wasser und Phlegmatiker, rechts Feuer und Choleriker
- Längsseiten: die vier Jahreszeiten
- Westen: rechts Frühling, links Sommer
- Osten: rechts Herbst, links Winter
Restaurierung 1848 nach wirtschaftlicher Sanierung des Stifts. Restaurierungen in den fünfziger und sechziger Jahren. Generalsanierung 2001 bis 2006
Zuletzt aktualisiert am: 09.12.2015