Kißlegg (Ravensburg), Neues Schloss Zitieren
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Der 15 x 10 Meter lange Saal zeichnet sich durch eine üppige Stuckdekoration und fünf Deckengemälden aus. Im ovalen Mittelfeld befinden sich inmitten einer grünen Landschaft drei Gruppen. In der Mitte sitzt eine weibliche Gruppe auf einem Wolkenberg. Zentrum dieser ist eine weiß-gelb gekleidete Gestalt, die Siegesgöttin Nike. Hier dargestellt in ungeflügelter Version als sogenannte Nike apteros. Sie wird von einer hinter ihr knienden Gestalt mit einem Lorbeerkranz geschmückt, eine der beiden Assistenzfiguren rechts von ihr hält ihren Speer. Die Gruppe wird zu beiden Seiten von zwei Engeln beschlossen: Der linke in Frontalansicht wiedergegebene Engel hält in seiner Funktion eines „Ruhmesverkünders“ – Fama – eine lange Trompete hoch, während der rechte in Rückenansicht eine wappenverzierte Standarte trägt. Über allen fliegt eine weiße Taube.
In der linken Bildhälfte befindet sich auf einem Hügel in sitzender Haltung eine Figur mit Brustpanzer und Helm, sie ist in einen wallenden roten Mantel gekleidet. Die kriegerischen Attribute (Schwert, Streitkolben, Streitaxt, Schuld, Speer, Trommel, Fahnen etc.) um ihm herum weisen ihn als den Kriegsgott Mars aus. Ihm gegenüber, in der rechten Bildhälfte, ruht unter zwei Bäumen ein geflügelter weißbärtiger Mann, der bis auf ein Lendentuch von nackter Gestalt ist: Chronos. Zu seinen Füßen steht eine Stundenuhr, schräg im Hintergrund halten zwei Putti eine Sense. Eine Kette an seinem linken Handgelenk fesselt ihn an einen Felsen.
In den vier kleineren elliptischen Kartuschen werden die vier Erdteile personifiziert. Europa befindet sich direkt oberhalb der Tür zum Stiegenhaus. Als Vorlage dienten dem Künstler für alle vier Erdteilallegorien die Darstellungen von Cesare Ripa (~1555–1621). Europa sitzt frontal zwischen zwei Füllhörnern, aus deren Öffnungen eine Vielfalt von Pflanzen quillt. Mit wallenden farbigen Gewändern gekleidet und mit einer stachligen goldenen Krone bekrönt, hält sie in ihrer rechten Hand ein Tempietto hoch. Rechts und links auf der Erde zu ihren Füßen befinden sich zahlreiche Gegenstände, die ihre Gelehrsamkeit, Frömmigkeit, ihren Herrschaftsanspruch und ihre Kunstsinnigkeit betonen: wie etwa links außen eine Eule auf einem Buch, hinterfangen von einer roten Standarte, im Bildvordergrund ein Hammer und Meisel, Pinsel und Malerpalette, Notenbuch und Feder, rechts außen die Zeichen der weltlichen und geistlichen Herrschaft (Krone und Tiara).
In den Kartuschen der drei anderen Erdteilallegorien Asia, Afrika und Amerika dominiert die Natur. Die ebenfalls weiblichen Personifikationen sitzen oder lehnen breitbeinig oder mit angewinkelten Beinen auf oder an einem Erdberg. Im Hintergrund sind jeweils vereinzelte Büsche zu sehen. Asia, die in ein weißes Untergewand und einen roten Mantel gekleidet ist, schwenkt in ihren Händen – analog zu Ripas Asia – ein rauchendes Weihrauchfass und einen Strauß von Blumen – bei Ripa sind es Gewürze –, die sie sich auch ins Haar gesteckt hat. An ihrer Seite hat sie auf dem Boden Feuerholz angehäuft.
Am gegenüberliegenden Ende des Bankettsaals sind im Norden Afrika und im Osten Amerika zu sehen. Die dunkelhäutige Allegorie Afrika trägt auf ihrem Kopf die seit der Antike bekannte Elefantenexuvie. Um ihren Hals hängt eine korallenfarbige Perlenkette, die mit dem Gelb ihres Oberteils und dem Rosa ihres Rockes korrespondiert. In den Händen hält sie einen Skorpion sowie ein Füllhorn voller Kornähren hoch. Links und rechts von ihr befinden sich ein Löwe sowie zwei Schlangen.
America trägt als einzige ein weißrosa liniertes kurzes Gewand, das den Oberkörper sowie Beine unbedeckt lässt. Ihr Kopf schmückt ein Diadem mit Federn. Hinter ihr ist ihr Köcher voll mit Pfeilen zu erkennen. Ihr rechter Arm ruht auf ihrem gelben Umhang, den sie als Sitzdecke verwendet. Sie zückt Pfeil und Bogen. Letzteren streckt sie in einer Siegespose in die Luft, denn zu ihren Füßen liegt ein mit einem Pfeil durchbohrter Menschenkopf. Ein nicht näher definierbares Reptil vervollständigt das Bild einer Wilden.
Das Ausstattungsprogramm des Bankettsaals weist anders als die in anderen Räumlichkeiten keinen mythologischen oder alttestamentlichen Inhalt, sondern einen familiengeschichtlichen Bezug auf. Betont durch ihre zentrale, erhöhte Position triumphiert Nike sowohl über den entwaffneten Kriegsgott als auch über den gebändigten Gott der Zeit. Friede und Versöhnung sind ihre Botschaften. Die am Himmel zu sehende Friedenstaube überbringt sie den verschiedenen waldburgischen Familienzweigen, symbolisiert durch das viergeteilte Familienwappen auf der Standarte des Engels. Die Fama verkündet die Botschaft dem Betrachter wie auch der gesamten Menschheit, deren Rolle als Empfänger und Zeuge wiederum durch die Anwesenheit der vier Erdteile in den vier das Mittelbild umgebenden Kartuschen dargestellt ist. Die Stuckausstattung nimmt sich dieses Themas weiter an.
Oberhalb der beiden Eingangstüren sowie des offenen Kamins verweisen drei Wappen auf die Familiengeschichte. Über die Tür zum sogenannten Chronoszimmer zeigt das Wappen einen goldenen Reichsapfel auf rotem Grund. Dieser verweist darauf, dass der Stammsitz die Waldburg im 13. Jahrhundert für kurze Zeit Aufbewahrungsort der Reichskleinodien war. Über der Tür zum Stiegenhaus erinnern die drei schwarzen Löwen auf goldenem Grund an die gemeinsamen familiären waldburgischen Ursprünge. Das viergeteilte Wappen in der Mitte vereint beide Wappen und erweitert diese durch eine Sonne im unteren linken Feld, drei Tannenzapfen im oberen rechten Feld sind als Hinweise auf die Grafen von Sonnenberg und Herren von Tanne zu verstehen. Zur Zeit der Ausstattung 1727 existierten sechs Familienzweige: Wolfegg-Wolfegg, Wolfegg-Waldsee, Zeil-Wurzach, Zeil-Zeil, Friedberg-Scheer und schließlich Trauchburg-Kißlegg. Die letzte Erbteilung fand erst acht Jahre zuvor zwischen dem Erbauer des „Neuen“ Schlosses Johann Ernst II. (1695–1737) und seinem älteren Bruder Joseph Wilhelm (1694–1756) statt.[1] 1719 trat der Erstgeborene das Erbe in Friedberg-Scheer an, die bis 1717 der älteren jakobischen Linie gehörte. Der Jüngere erhielt im Gegenzug die Herrschaft Trauchburg-Kißlegg.
Das Thema der Ausstattung „Versöhnung der waldburgischen Familie“ bezieht sich vermutlich auf die angespannte Familiensituation seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die sich mit dem Erbteilungsvertrag von 1719 löste. Zurück geht sie auf den verschwenderischen und gotteslästerlichen Lebenswandel von Maximilian Wunibald von Waldburg-Friedberg-Scheer (1647–1717)[2] und der hierdurch bedingten Vormundschaft zunächst einer Debits- beziehungsweise Sequestrationskommission und ab 1695 durch die jüngere Trauchburger Linie, sprich Christoph Franz von Waldburg-Trauchburg (1669–1717), den Vater von Johann Ernst II. Das Desinteresse Maximilian Wunibalds an seine Herrschaft wird an dem Umstand deutlich, dass dieser bis in die 1690er-Jahre immer wieder versuchte, Teile davon zu veräußern.[3] Sein Widerstand gegen die Kommission führte 1679 sogar zu dessen Inhaftierung auf der Burg Hohenzollern, die bis 1683 andauerte.[4] Erst 1686 konnte ihn seine Familie vollkommen auslösen. Laut Matthäus von Pappenheim habe Maximilian Wunibald während seiner Gefangenschaft „einen bitteren Haß gegen seine ganze Familie [verspürt], deren Beschuldigungen gegen ihn für lauter Verleumdungen hielt, und dieser sein ganzes Unglück zuschrieb.“[5] Zwischenzeitlich war ihm das Administrationsrecht entzogen und jegliche Einmischung in die Verwaltung seiner Herrschaft Friedberg-Scheer von Kaiser Leopold I. (1640–1705) untersagt worden.[6] Auch wurde ihm das Familienseniorat des Hauses Waldburg abgesprochen und Christoph Franz von Trauchburg übergeben.[7] Erst in den letzten Jahren seines Lebens bemühte sich Maximilian Wunibald erfolglos um eine Rücknahme der Verbote und ein Ende der Bevormundung. So musste er „wie jeder Bauer in allen Fragen seiner Lebensführung um Audienz bitten“[8]. Erst sein Tod 1717 beendete diesen familiären Zwist. Sein Nachfolger Johann Ernst II. könnte sich in der Wahl dieses Themas auf diese Vorgeschichte besonnen haben.
[1] S. ausführlich Kurzbiografie „Joseph Wilhelm von Waldburg-Trauchburg-Friedberg-Scheer (1694–1756)“.
[2] Dieser war „dem bestendigen fluochen und Gotts lästeren […] ergeben“ und erschien wiederholt unangekündigt im Pfarrhof in Scheer, nicht zur vorgegebenen Visite, sondern um sich mit seinen Gefolge „bis sie voll und toll […] und allerhand Angelegenheiten angefangen zum Fressen und Saufen“ bedienen zu lassen. Staatsarchiv Sigmaringen, Dep. 30, Rep. II, K.I., F.8, Nr. 3 (alte Signatur); Dep. 30/1 T 3, zitiert nach: Richter 1990, 173 Anm. 32.
[3] Vgl. Pappenheim 1785, 380.
[4] Zwischen 1683 und 1686 lebte Maximilian Wunibald „in einer Art ,offenem Vollzugʻ“ in Konstanz und Überlingen. Richter 1990, 173.
[5] Pappenheim 1785, 380.
[6] vgl. Richter 1990, 173. Er führt die entsprechenden Signaturen zu den Familienprotokollen im Staatsarchiv Sigmaringen auf.
[7] Vgl. Pappenheim 1785, 381, 400.
[8] Zürn 1998, 368.
Von West nach Ost:
- nördliche Seitenbilder:
- Asien
- Amerika
- Mittelbild: Versöhnung der waldburgischen Zweige
- südliche Seitenbilder
- Europa
- Afrika
Oberhalb der Supraporten und des Kamins in Stuck: Familienwappen und Inschrift: „1727 | Johann Ernst Reichs-Erb-Truchsesß Graff zue Friediberg undt Trauchburg Freyherz uf Waldtburg 1695-1737“
In der jüngsten Forschungsliteratur wird nichts von einer Restaurierung erwähnt. Jedoch werden im KDV des ehemaligen Kreises Wangen von 1954 „infolge Senkungen starke Rissbildungen“ und Übertünchungen erwähnt.[1] Explizit für den Bankettsaal ist zu lesen: „Fresken wie Stuck leider stark verdorben.“[2] Alte Fotoaufnahmen, gemacht vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg um 1960 und in der online frei zugänglichen Marburger Bilddatenbank Bildindex für Kunst und Architektur (http://www.bildindex.de) einzusehen, verdeutlichen den heruntergekommenen Zustand des Kißlegger Bankettsaals.[3] Die Kartusche der Asia-Personifikation zeigt in der linken Bildhälfte eine große Fehlstelle[4].
[1] Vgl. KDV Wangen 1954, 224.
[2] KDV Wangen 1954, 225.
[3] BKA-Marburg Scan: mi06160c12; mi06160c13; mi06160c14; mi06160d01.
[4] vgl. BKA-Marburg Scan mi06160d01.
Als Vorlage diente dem Künstler das Standardnachschlagewerk für allegorische Darstellung „Iconologia“ von Cesare Ripa.
Im überlieferten Kißlegger „Register deren Künstler vndt Handtwerckhs Leüthen von Georgii als den 23t April 1725 bis Ao 1726 et 27 den Kißlegg-Trauchburgischen neyen Schloßbau betrefend“[1] wird J. Gabriel Roth neben dem Maler Anton Widmann genannt. Die Forschung nimmt an, dass der größte Teil der Fresken von Roth stammt.[2] Gesichert mittels Signatur und Datierung für Roth sind jedoch nur die Fresken im Esthersaal und in der Schlosskapelle. Die Erdteilallegorien im Bankettsaal als ein Werk von J. Gabriel Roth anzusehen, ist nicht nur chronologisch, sondern auch stilistisch schlüssig. Zwei Kartuschen oberhalb des offenen Kamins nennen den Erbauer des Schlosses Johann Ernst Reichs-Erb-Truchsess Graff zue Friediberg undt Trauchburg Freyherr uf Waldtburg 1695–1737 und genau am Gesims das Jahr der Fertigstellung nicht nur des Bankettsaals, sondern des gesamten Schlosses 1727. Die Datierung ist durch das viergeteilte Wappen Waldburgs in der Mitte geteilt. Als terminus ante quem würde die Ausstattung des Saales genau in die Schaffenszeit Roths in Kißlegg fallen. Stilistische Parallelen können zu seinen gesicherten Werken in Kißlegg wie auch zum Nachfolgeauftrag im Wintersaal der Prämonstratenserabtei Weißenau gezogen werden. So finden sich hier die für Roth typischen Gesichts- (schmale Gesichtsform, flache, lange Nase) und Figurentypen (korpulent, stämmig) wieder. Motivisch sind der Löwe der Afrikaallegorie (s. Arche Noah-Gemälde im Wintersaal), die stachlige Krone der Europaallegorie und die Rüstung des Kriegsgottes Mars (s. Bathseba-David-Gemälde im Wintersaal und als Vorlage Vincenzo Cartari) und die Putti im Mittelgemälde (s. Marienmonogramm im Wintersaal) vergleichbar. Neben dem Bankettsaal kann ihm sicher auch zugeschrieben werden: Cäsarsaal, das Haupttreppenhaus und das Kleine Kabinett.
[1] Aufbewahrt: Schloss Zeil, Fürstlich Waldburg-Zeilschen Archiv, Abt. Kißlegg.
[2] Vgl. Müller 1968; Schindler 1975, 284; Weber 1989, 163–177; Beck 1996.
Zuletzt aktualisiert am: 02.12.2015