Liggersdorf (Konstanz), SS. Cosmas und Damian Zitieren
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Im Bildmittelgrund, umgeben von Putti, sitzt die Muttergottes auf Wolken und blickt auf die Erde nieder. Auf ihrem linken Knie steht das Jesuskind, das liebevoll seinen rechten Arm um ihren Hals geschlungen hat. Gekleidet ist sie in ein rotes Gewand und einen blauen Mantel, der von zwei fliegenden Putti rechts und links gehalten wird. Die überdimensionierte Größe des Mantels verweist auf das Motiv der Schutzmantelmadonna. Unter dem Schutz Mariens haben sich in der unteren Bildhälfte die Vertreter der vier Erdteile um einen blauen Globus in einem hölzernen Gestell mit Äquatorring und Trompetenfuß versammelt: links Europa und Asien, rechts Afrika und Amerika. Majestätisch mit weiß gepudertem Haar, Krone, Szepter und mit Gold durchwirktem Brokatmantel, dessen Schleppe von zwei Pagen getragen und vorne von einer Diamantbrosche zusammengehalten gehalten wird, kniet die weibliche Personifikation Europas auf einem Steinplateau, dessen Stufen zum Teil von einem roten Teppich bedeckt sind. Sie teilt den Teppich mit dem männlichen Repräsentant Asiens, den sie bis auf Kopf und Hals verdeckt. Als Attribute trägt er einen Turban und einen Schnurrbart. Am rechten Bildrand verbeugt sich im Vordergrund Afrika, im Hintergrund steht mit erhobenen Händen Amerika. Das Weiß des Federrockes und der Federkrone, die mit Goldreifen gehalten werden, kontrastiert mit der Schwärze seiner Hautfarbe. An seiner Hüfte hängt ein Köcher voller Pfeile. Den Kopf tief gebeugt, ist Afrika gerade im Begriff den Globus mit einem violetten Tuch zu verhüllen (zu enthüllen?). Seine kontemplative Haltung steht im Gegensatz zur sehr emotionalen, lebhaften Gestikulation der anderen drei Erdteile, die alle ihre Arme in Begeisterung, Freude und Anbetung der Muttergottes entgegenstrecken und den Blickkontakt mit dieser suchen. Amerika, in Dreiviertelansicht wiedergegeben, steht vor einer Palme mit Gebüsch und ist mit einem rotlinierten weißen Hemd und einem blauen wallenden Tuch bekleidet, dessen Borte mit Goldstickereien und Perlen oder Metallglöckchen verziert ist. Perlen schmücken seine Ohren.
Patronatsherren der Kirche zu Liggersdorf sind die Deutsch Ordensritter der Ballei Elsass-Burgund mit Sitz in Altshausen. Während die 25 Jahre früher entstandenen Langhausfresken vom Saulgauer Maler Franz Josef Zürcher (1719–1770) auf die Rolle des Ordens in der Krankenpflege anspielt, indem sie zum einen die Kirchenpatrone, Ärzte und Heiligen Kosmas und Damian verherrlichen und zum anderen insbesondere Heilige aus der Krankenpflege diesen beifügen,[1] nimmt das Chorfresko auf die besondere Bedeutung Mariens innerhalb der Ordensgeschichte Bezug. Die Ordensritter hatten seit jeher eine besondere Beziehung zur Muttergottes, indem sie diese als ihre Schutzherrin und sich selber als „Marienritter“ sahen.[2] Diese Verbundenheit schlug sich auch in der Ordensikonografie nieder, die sich bestehender Bildschöpfungen der Marienverehrung bediente. Besonders die Schutzmantelmadonna erfreute sich einer Beliebtheit innerhalb des Ordens.[3] So finden sich bereits in gotischen Auftragswerken des Deutschen Ordens immer wieder Kunstwerke, auf denen sich Ordensritter unter dem Mantel Mariens darstellen ließen.[4] In Liggersdorf verweist somit die Wahl der Schutzmantelmadonna explizit auf ihre Bedeutung als Schirm und Schutz des Ordens. Allerdings anders als ihre mittelalterlichen und frühneuzeitlichen „Vorbilder“[5] setzen sich die Schutzbefohlenen nicht nur aus der europäischen Elite – Papst, Kaiser, König, Ordensritter, Adel, Klerus – zusammen, sondern umfasst in der Gestalt der vier Erdteileallegorien die gesamte Menschheit. Hierdurch erfährt die kompositorische Reduktion der dicht aneinander gedrängten Menschenmasse typischer Schutzmantelmadonnen-Darstellungen auf die vier Vertreter der Erdteile eine Erweiterung auf der inhaltlichen Ebene: Auf der linken haben sich die zivilisierten Kontinente Asien und Europa und auf der rechten Seite die wilden Kontinente Afrika und Amerika versammelt. Die Hierarchie zwischen den Erdteilen wird nicht nur durch ihr Aussehen, ihre Paarung und Positionierung vermittelt, sondern auch symbolisch. Während Europa und Asien als die eigentlichen Kulturträger in der Frühen Neuzeit auf einem roten Teppich knien, befinden sich die beiden unzivilisierten Erdteile auf bloßem Stein und am Rand eines „Dschungels“.
Das Motiv der Schutzmantelmadonna[6] in Verbindung mit der Erdteilikonografie ist sehr selten.[7] Es spielt hier auf die Vorstellung der „Mater omnium“ an, die ihren Mantel schützend über die gesamte Menschheit hält. Der Schutz gilt weniger irdischen Ungemachs als göttlichen Zorns. Maria leistet Fürbitte für die Schutzsuchenden, und das Motiv reiht sich dadurch als Darstellungstypus in die Reihe der Interzessionsdarstellungen (vgl. Ailingen), wobei das Jesuskind auf ihren Knien die Botschaft des Beistands und Schutzes um die der Erlösung erweitert.[8] In der volkstümlichen Litanei zählt das Schutzgebet Mariens mit zu den beliebtesten Gebeten, das besonders in Notzeiten Verwendung fand. In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges entstand in Innsbruck das heute noch bekannte Lied „Maria, breit den Mantel aus” (GL 595), das in der zweiten Strophe den Gedanken der Zuflucht unter Mariens Schirm und Schutz für die ganze Christenheit wie folgt wiedergibt: „Dein Mantel ist sehr weit und breit, | er deckt die ganze Christenheit, | er deckt die weite, weite Welt, | ist aller Zuflucht und Gezelt. | Patronin voller Güte | uns alle Zeit behüte“. [9]
[1] Hierbei handelt es sich unter anderem um die Heiligen Alexius (Pest), Lucia (Augenleiden), Appollonia (Zahnleiden) etc.
[2] Bereits bei der Ordensgründung in Akkon 1198 nannten sich die Ritter nach dem Spital in Jerusalem „Deutschen Haus Sankt Mariens“.
[3] Einen ersten Überblick über die Verwendung der Marienikonografie für das Stammland des Ordens bietet der Aufsatz von Jerzy Domaslowski. Vgl. aber auch die Skizze von Leo Andergassen zur Repräsentationsikonographie des Ordens: Andergassen 1991, 465–502.
[4] Im Falle der Schreinmadonna aus Elbing (Elbląg; zerst. 1945) aus dem 14./15. Jahrhundert können konkret historische Personen wie den Ordensmeister Konrad von Jungingen oder den Komtur Konrad von Kyburg-Burgsdorf identifiziert werden. Andere Madonnen in Sejny (Seinai), von Misterhult (Schweden) oder auch von Klonowken (Klonówka) zeigen Ordensritter unter ihrem Mantel. Vgl. Domaslowski 1985, 178f. Für eine Abbildung der Elbinger Madonna siehe BKA Marburg „mi00499e10“.
[5] Das Motiv der Schutzmantelmadonna war weit und in allen Gattungen verbreitet, wie die genannten Schreinmadonnen in Polen, das berühmte Fresko Domenico Ghirlandaios in der Cappella Vespucci der Florentiner Kirche der Familie Ognissanti bzw. das in der Lienzer Dreifaltigkeitskapelle von Schloss Bruck in Ostirol und letztlich die Reihe von Tafelgemälde im Gebiet der Herzogtümer Bayern/Landshut und Bayern/München zeigen. Vgl. Schué 1918, 251–285; Niedersteiner 2009, 155–243. Für eine Abbildung der Lienzer Darstellung siehe ZI-FDA.
[6] Zur ikonografischen Tradition siehe Pedrizet 1908; Beissel 1910, 405f; Schué 1918, 251–285; Sussmann 1929, 285–357; Belting-Ihm 1976; LCI 4/1994, 127f. Einen Ursprung belegt Christa Belting-Ihm in der römischen Votivikonographie und einen weiteren schriftlicher Natur in der Schrift „De gloria martyrum“ des Bischofs Gregor von Tours (538–594)..
[7] Obwohl man das Thema mit den Erdteilen kombiniert auch im Kupferstich findet, wurde es in der Monumentalmalerei selten umgesetzt. Die Reduktion der Fliehenden unter dem Schutz und Schirm Mariens auf zum Teil nur noch „sechs, vier oder gar nur zwei“ (Beissel 1910, 411) setzte sich in der neuzeitlichen Bildtradition weiter fort. Bei dem Kupferstich handelt es sich einerseits um ein Thesenblatt aus dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts, entworfen von Lorenz Haid und verlegt von Christian und Georg Philipp Rugendas (Für eine Abb. vgl. Polleroß 1992, 299 Kat. Nr. 8.27); andererseits um einen Entwurf von Johann Georg Bergmüller, verlegt von Gottlob Heiß.
[8] Vgl. LDM 7/2003, 1597.
[9] Das Lied entstand im Zuge der wachsenden Verehrung des Innsbrucker Gnadenbilds „Muttergottes von Foya“, das 1639 von den belgischen Jesuiten in Leuven in die Schwesterprovinz übersandt worden war. Vgl. Banning 2013.
von Süd nach Nord:
ORGELEMPORE
Martyrium der Kirchenpatrone Cosmas und Damian
LANGHAUS
- westliche Eckbilder (Grisaille):
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- Emblem: Liebe (Vogel zur Sonne fliegend) – Spruchband: Portio mea in terra Viventium psalm 141 | Non est in alio Salus
- Emblem: Glaube (Fall der Götzenstatue) – Spruchband: in Salutem omni credenti Röm: | Uni Solo Deo
- Mittelbild: die heilige Apotheke der heiligen Cosmas und Damian, gesegnet durch die Versammlung von Heiligen und Märtyrern sowie der Heiligen Dreifaltigkeit
- östliche Eckbilder (Grisaille):
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- Emblem: Hoffnung (Sichel am Himmel, Pflug im Feld und Anker) – Spruchband: Gloriamur in Spe Filiorium. Rom: 3 | Singulariter in Spe
- Emblem: Glaube (Kreuz, Kelch mit Hostie, Schlüssel Petri) – Spruchband: Sancti per fidem Vicerunt. Haebr= | Fide non Erramus.
CHORBOGEN
Wappen von Landkomtur Christian Moritz von Königsegg OT
CHOR
Die Vier Erdteile unter dem Schutzmantel der Madonna
Die Innenausstattung der Liggersdorfer Pfarrkirche hat eine wechselhafte Geschichte. Besonders im 19. Jahrhundert sind umfassende Veränderungen (Erweiterungen des Langhauses, Neutünchungen, Neufassungen der Altäre) vorgenommen worden. Eine historische Aufnahme des Innenraums, auf der als Aufnahmedatum „vor 1945“ wage vermerkt ist,[1] zeigt die überladene Ausstattung des 19. Jahrhunderts. Der Stuck wurde farblich akzentuiert, und die Innenseiten der Stichkappen im Chor sind dem Jugendstil entlehnt. In der Renovierung der Kirche von 1935/1936 wurden, laut des verantwortlichen Regierungs- und Baurats Walther Genzmer, diese Eingriffe insofern rückgängig gemacht, als dass die Kirche in ihrer „ursprünglichen Schönheit und Stilreinheit“[2] wieder erblüht. Schäden an der Kirche, unter anderem auch durch das Erdbeben von 16. November 1911 verursacht,[3], hatten eine umfassende Renovierung notwendig gemacht. Unter Aufsicht von Genzmer hat ein Sigmaringer Restauratorenteam die Seitenaltargemälde (Maler Gustav Steidle) restauriert, die Kartuschen wieder freigelegt, die Kirche neuausgemalt (Restaurator Fidelis Marmon) sowie letztlich die Deckengemälde erneuert (Maler Josef Lorch).[4] Historische Aufnahmen zeigen den Zustand direkt nach der Renovierung.[5]
[1] Siehe BKA Marburg „mi05828e01“.
[2] Schnell 1936, 7.
[3] Am meisten waren Pfarrhaus und Kirche betroffen. Vgl. Haidlauf 2003, 45. Das Epizentrum des Bebens befand sich gerade mal 60 Kilometer nördlich von Liggersdorf im Raum Albstadt-Ebingen. In Konstanz verursachte das gerade mal vier Sekunden andauernde Beben Schäden an Häusern und am Münster, dessen Spitze herunterfiel. An den 100. Jahrestag des Bebens hat die Aktionsnacht „Die Nacht, in der die Engel fielen“ im Rahmen der Ausstellung „Fernbeziehung“ sowie die Ausstellung „Ewige Steine“ in Konstanz am 16. November 2011 erinnert. Vgl. Presseaussendung der Stadt Konstanz vom 10. November 2011, online: http://www.konstanz.de/rathaus/medienportal/mitteilungen/03243/index.html [16.10.2012]
[4] Vgl. KD Hohenzollern (Sigmaringen) 2/1948, 238.
[5] Vgl. BKA Marburg „mi01935c06“ und „mi01935c04“.
Zuletzt aktualisiert am: 02.12.2015