Scheer (Sigmaringen), St. Nikolaus [Seitenaltar] Zitieren
Eine gewaltige baumartige Architektur bildet den Hintergrund für die Rosenkranzspende. In deren Mitte sitzt die blau-rot gekleidete Gestalt der Muttergottes. Vor ihr steht aufrecht auf einem Kissen das Jesuskind. Beide sind von einer Schar von Engeln umgeben. Ein Engel reicht Maria rechts einen Korb voller Rosen und Rosenkränze. Szenische Medaillons enthalten die 15 Rosenkranzgeheimnisse. Während sie dem am linken Bildrand befindlichen heiligen Dominikus einen Rosenkranz reicht, zeigt das Kind diesem eine Indul:[gentia] plen:[a], einen mit Siegel bestätigten Ablass der Sündenstrafen. Der Heilige selbst kniet auf einem Architekturvorsprang, dessen Ende zu einer Volute eingerollt ist. Zu seinen Füßen entzündet mit einer Fackel in seinem Maul sein steter Begleiter – ein Hund – die blaue Weltkugel neben ihm. Im Feuerschein der Flamme ist das Christusmonogramm IHS zu erkennen.
Die vier Erdteile befinden sich in der unteren Bildhälfte. In direkter vertikaler Linie zu Maria und der Weltkugel kniet Europa, reich gekleidet mit Geschmeide, einem rosa-weißen Gewand und einem wallenden roten Mantel, der sowohl mit Hermelin gefüttert ist als auch einen breiten Hermelinkragen hat. Sie hat ihre Hände im Gebetsgestus gefaltet und schaut nach oben zur Muttergottes. Auf dem Kopf trägt sie eine mit Kreuz bekrönte Krone. Begleitet wird sie von einem weißen Schimmel, dessen Kopf zwischen ihr und der schwarzhäutigen Personifikation Afrikas auftaucht. Diese steht in Dreiviertel-Ansicht mit dem Rücken zum Betrachter aufrecht am rechten Bildrand. Sie ist ebenfalls reich gekleidet in einem weißen Mantel mit Hermelinkragen und Gold verziertem Saum. Unter diesem ist das Haupt eines Löwen zu erkennen. Indem Afrika ihren linken Arm auf ihre Hüfte stützt, sieht man unter dem gerafften Mantel das blaue Beinkleid mit goldenen Fransen und die braunen Schnabelschuhe. Auf dem Kopf trägt sie eine Haube, die kunstvoll mit einem goldenen Netz, einem Goldreif und mit rosa, weißen Federn wie auch mit einem Edelstein an der Stirnseite verziert ist. Ein rosa farbiger Sonnenschirm und Edelsteine an Hals und Ohr vollenden die fürstliche Erscheinung.
Ihr gegenüber am anderen Bildrand knien im Vordergrund Asia und hinter ihr Amerika. Asia, als einzige ohne charakteristisches Tier, aber als solche an ihrem mit einem Halbmond geschmückten Turban zu erkennen, verharrt in einer Visionspose, das heißt, ihr nach oben gerichteter quasi himmelnder Blick, ihre linke Hand auf ihr Herz gelegt und die andere von sich gestreckt sind klassische Merkmale eines divinatorischen Erlebens. Sie trägt einen roten Mantel und darunter einen reich mit Gold-Applikationen verzierten Kaftan. Anders als die anderen Erdteile ist die im Profil dargestellte Personifikation der Amerika ganz in sich gekehrt, was sich in ihrer stark gebeugten Haltung mit gesenktem Kopf und Blick äußert. Die Opulenz ihrer nur fragmentarisch gezeigten Kleidung ist vergleichbar mit den anderen. Auf ihrem Kopf trägt sie ein mit bunten Federn geschmücktes Tuch. An ihrem Ohr, an ihrem Gewand und um ihren Hals hängen große wertvolle Perlen. Vom Schrein auf der Mensa verdeckt streckt ihr Begleiter – ein einem Alligator ähnlich sehendes Reptil – seinen Kopf unter den Gewandfalten Asiens hervor.
Am rechten äußersten Bildrand, direkt unterhalb des Sonnenschirms der Afrika, öffnet sich der Blick auf eine Familie. Die Mutter zeigt ihren beiden Kindern einen Kupferstich mit dem Abbild des heiligen Dominikus. Während das vordere der Kinder diesen andächtig betrachtet, schaut das hintere zur Mutter hoch und streckt ihr einen Rosenkranz entgegen. Der Vater, von dem nur die linke Gesichtshälfte zu sehen ist, nimmt alleine die mystische Rosenkranzspende durch die Muttergottes wahr.
Die Kombination der Erdteilikonografie mit der Rosenkranzspende ist vor allem auf dem Gebiet Süddeutschlands weitverbreitet. So findet sie sich nicht nur in Dominikaner(innen)kirchen wie in Eichstätt 1713 (heute zerstört), in Siessen 1729, in Rottweil 1755, in Altenhohenau 1774 und in Stetten bei Hechingen 1774, sondern auch in andere Kirchen sowohl auf Altargemälden wie in Donauwörth 1726 und St. Walburga in Beilngries 1750 als auch im freskalen Programm wie in Oberostendorf 1747 (Kat. Nr.) und in Dasing 1756 (Kat. Nr.). Auf dem Gebiet der österreichischen Erblande ist es bislang nur einmal in der Tiroler Kirche Hl. Antonius Abbas in Kappl von 1774 zu sehen. Der augenfälligste Gegensatz zu den genannten Beispielen (mit Ausnahme von Rottweil) ist das Fehlen der heiligen Katharina von Siena, die in der Regel das weibliche Pendant zum heiligen Dominikus darstellt. Ebenso auffällig ist, dass keinerlei direkte Interaktion in Form der Rosenkranzübergabe zwischen der himmlischen und der irdischen Szene existiert. Indirekt dient der Hund als Verweis auf das Wirken des Ordens als Scharnier zwischen der wundersamen Begegnung des heiligen Dominikus mit der Muttergottes und des irdischen Lebens der Menschen. Dieser setzt im Auftrag des heiligen Dominikus mit seinem Feuer die Welt in Flammen der Liebe zur Gottesmutter und zu Christi, symbolisiert durch das im Schein der Flamme zu sehenden Christusmonogramm. Die formelhafte Darstellung der Welt in Form der Weltkugel wird nochmals durch die Anwesenheit der personifizierten Welt in Gestalt der vier Erdteilallegorien konkretisiert. Die vier Erdteile nehmen hierbei sowohl in der Rolle des Zeugen als auch des Bekehrten an diesem Wunder teil, wobei die Bekehrung unmittelbar über ein divinatorische Erleben (Afrika- und Asien-Personifikation) und sich mittelbar über das Wirken des Ordens vollzieht. Der missionarische Grundgedanke des Bildes entspricht dem Ordensziel der Dominikaner, die sich neben den Jesuiten für die Verbreitung und Erneuerung des katholischen Glaubens einsetzten.
Eine Besonderheit des Scheerer Rosenkranzbildes ist der konkrete Bezug zur volkstümlichen Rosenkranzverehrung in der Familienszene am äußeren Bildrand. Indem Maria dem heiligen Dominikus einen Rosenkranz und der Jesusknabe diesem einen Ablassbrief überreicht, übergeben sie ihm auch sogleich ein Mittel zur Sündenvergebung und Glaubensstärkung. Die Zählschnur, der rhythmisch-einprägsame Psalmvers sowie die repetitive Praxis des Rosenkranzgebets beschäftigten Hand wie Geist und hatten eine meditative, kontemplative Wirkung auf den Betenden. Die Unterweisung im Rosenkranzgebet erfolgt in der Familienszene konkret durch die Mutter, die den Kindern unter anderem in die Rosenkranzgeheimnisse der Menschwerdung Christi („Freudenreicher Rosenkranz“), des Leidens Christi („Schmerzhafter Rosenkranz“) und des Sieges Christi („Glorreicher Rosenkranz“), die in den 15 szenischen Medaillons innerhalb der Baumarchitektur dargestellt werden, lehrt.
Aufzug: Inschriftenkartusche: ALTARE PRIVILEGIATUM
Altarblatt: Maria mit Jesusknaben überreicht dem heiligen Dominikus den Rosenkranz, verehrt von den vier Erdteilen
Einen prägnanten und schlüssigen Überblick über die Zuschreibungsgeschichte bietet der Aufsatz von Peter Stoll „Gottfried Bernhard Göz, Franz Anton Zeiller und die Rosenkranzspende von Scheer“, der 2011 online auf der Website der Augsburger Universitätsbibliothek publiziert wurde. 1938 entbrannte die Diskussion zwischen Werner von Matthey, dem Bearbeiter der Kunstdenkmäler des Kreises Saulgau, und Hugo Schnell, dem Autor des Kirchenführers. Während Schnell aufgrund einer gemeinsamen Signatur von einer Kollaborationsarbeit von Gottfried Bernhard Göz und seinem Gesellen Franz Anton Zeiller ausgeht, nennt Matthey unbegründet Letzteren als alleinigen Künstler des Gemäldes.[1] Die nachfolgenden Autoren folgen der einen oder anderen Zuschreibung.[2]
Eine neue Wendung vollzog sich, als Ulrich Knapp 1996 einen anderen Mitarbeiter ins Spiel brachte: Joseph Anton Schulz.[3] Die eigentliche Herleitung lieferte Peter Stoll 15 Jahre später, indem er eine Kirchenrechnung, auf die sich Knapp sicherlich bezog, zitiert: „H. Kunst Mohler Götz“ am 30. Oktober 1748 100 fl. gezahlt wurden und zwar für das „Aldor blat auf dem Rosenkranz Aldor durch seinen gesell Joseph Anthoni Schulz per abschlog“[4] Zwar wird hierdurch die alleinige Zuschreibung an Zeiller endgültig wiederlegt, jedoch nicht eine Zusammenarbeit. Über Schulz selber ist nichts bekannt, außer dass er wie Zeiller mit Göz an der Ausstattung in Birnau tätig war. Zur Erfüllung dieses Auftrags ist Göz bereits im Herbst 1748 direkt nach Abschluss seiner Arbeiten in Habsthal gereist (s. Birnau Arbeitsablauf). Sicherlich um keine Zeit zu verlieren entsandte er seinen Gesellen Schulz nach Scheer zur Abholung der Geldsumme. Während Schulz’ Beteiligung hierauf reduziert werden kann, wird Zeillers Mitarbeit durch besagte heute kaum noch lesbare Signatur, die nach Überprüfung durch Peter Stoll unterhalb der Füße der Asien-Allegorie nur als „Franz Ant: Zeiler f.“ zu entziffern ist, eindeutig belegt.[5] Die Rechnung wie auch die Signatur zusammengenommen muss von einem Gemeinschaftswerk ausgegangen werden, wobei der Anteil Zeillers als signifikant anzusehen ist.
In der Landsberger Hl. Kreuz Kirche ist ein Seitenaltargemälde „Triumph des heiligen Ignatius von Loyola, umgeben von den vier Erdteilen“ aus dem Jahr 1754 überliefert. Im Gegensatz zum Scheerer Bild ist Göz’ Signatur hier eindeutig zu erkennen. Drei von vier Erdteilen hat er dem sechs Jahre zuvor entstandenen Rosenkranzgemälde entnommen, wobei er hier allerdings die Rollen anders verteilt hat: Der Afrika-Allegorie in Scheer entspricht nun die Asien-Allegorie in Landsberg, die Figur der Asia in Scheer repräsentiert nun den Kontinent Europa. Einzig die Personifikation der Amerika behielt ihre Identität. Weggelassen hat Göz die Tierattribute und bediente sich für die vierte Allegorie Afrika in Landsberg woanders. In einer Zeichnung „Verherrlichung Mariens durch die vier Erdteile“, die in der Hamburger Kunsthalle aufbewahrt wird, findet sich die Vorlage. Zwar datierte Eduard Isphording die Zeichnung 1983 unbegründet in die Sechzigerjahre,[6] jedoch legte 1990 Michel Reistle den dazugehörigen Kupferstich in seiner Künstlermonografie „Joseph Wannenmacher ein schwäbischer Kirchenmaler des 18. Jahrhunderts…“ vor und datierte ihn auf circa 1750, indem er ihn als Vorlage des 1754 entstandenen Erdteilfreskos im Chor der Wallfahrtskirche Ave Maria in Deggingen nachwies.[7] Hierdurch rückt die Entstehung der Zeichnung in die Nähe zum Scheerer Altarbild und zu den ebenfalls 1748 entstandenen und von Göz signierten Erdteilallegorien im Chor der Dominikanerinnenkirche Habsthal. Die Unterschiede in Gestik, Haltung, Kleidung et cetera zwischen diesen drei Gruppen der Erdteilallegorien überwiegen zwar die Gemeinsamkeiten, aber auffällig ist, dass den Figuren in der Zeichnung und im Habsthaler Fresko eine viel größere Bewegtheit, wenn nicht Dramatik innewohnt. Die Allegorien verbeugen sich mit Schwung oder eilen mit ausgestreckten Händen herbei. Diese Dynamik des Bildgeschehens findet sich auch im Landsberger Altarbild wieder, während das Scheerer dies vermissen lässt. Die Figuren sind ruhiger, starrer in Ausdruck und Haltung. Diese innerbildliche Spannung wird durch die geringere ornamentale Ausschmückung der Gewänder der einzelnen Figuren in Habsthal und in Landsberg im Vergleich zu Scheer nochmals verstärkt. Während etwa der Saum des Mantels der Scheerer Afrika-Allegorie reich mit Gold-Applikationen verziert ist, sticht das flächige kräftige Rot des Mantels ins Auge des Betrachters und steht mehr in der Habsthaler Tradition.
Die Unterschiede sind durch eine stärkere Beteiligung Franz Anton Zeillers zu erklären, was auch wiederum mit seiner Signatur einhergehen würde. Sie verweisen bereits auf die fast ein Jahrzehnt später gemalten Erdteilallegorien Zeillers in der Benediktinerstiftskirche St. Theodor und Alexander in Ottobeuren. [8]
[1] Vgl. KDV Saulgau 1938, 126; Schnell 1938, 3.
[2] Vgl. hierzu ausführlich Stoll 2011, 2–11.
[3] Vgl. Knapp 1996, 140. Hier folgt ihm ein Jahr später der Autor des rezentesten Kirchenführers zu Scheer Otto Beck, vgl. Beck 1997, 16.
[4] Staatsarchiv Sigmaringen, Dep. 30, Friedberg-Scheer, Bd. 351, S. 115, zitiert nach: Stoll 2011, 5 Anm. 25.
[5] Vgl. Stoll 2011, 6.
[6] Vgl. Isphording 1984, 298 Kat. Nr. A III b 154. Dieser Datierung folgt Rudolf Wildmoser, der Göz in seiner Rolle als Entwerfer und Stecher von Kupferstichen untersuchte, indem er den von ihm nicht nachgewiesenen Kupferstich auf 1765 datiert. Vgl. Wildmoser 1985, 174 Kat. Nr. 1-070-334.
[7] Vgl. Reistle 1990, 171.
[8] Mittels Bildvergleich noch zu überprüfen!
Zuletzt aktualisiert am: 27.02.2016