Ingstetten (Neu-Ulm), St. Agatha Zitieren
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (74):
Huber malte im saalartigen Schiff ein großes – thematisch der Kirchenpatronin St. Agatha verpflichtetes – Deckengemälde mit vier Einzelspiegeln in den Ecken. Im Chor mit dreiseitigem Schluss, Oratorien und gekoppeltem Doppelfenster zu beiden Seiten beschränkte er die Ausmalung auf ein zentrales Deckengemälde, in dem die thronende Maria als Himmelskönigin durch die vier Vertreter der Erdteile verherrlicht wird. Bau sowie Innenausstattung gelten in der Kunstgeschichte als ein „ausgezeichnetes Beispiel einer frühklassizistischen Landkirche“[1], die am Ende eines Jahrhunderts steht, in dem die die Region beherrschenden Reichsabteien Roggenburg und Elchingen (OSB) sowie die Herrschaft der Fugger-Kirchberg-Weißenhorn nicht nur mit dem Neu- und Ausbau ihrer Klosteranlagen und Residenzen „überragende Brennpunkte des Kunstschaffens im 18. Jh.“ darstellten, sondern auch für die Erneuerung der dazugehörigen Dorfkirchen Sorge trugen.[2]
Das Ausstattungsprogramm verdeutlicht in besonderem Maße den ästhetischen Wandel und den aufklärerischen Geist einer neuen Epoche. Die Erdteilallegorien Hubers lassen Pathos und Illusionismus ihrer barocken Vorgänger vermissen. Ein Vergleich mit den 1780 entstandenen Erdteilallegorien in der Pfarrkirche St. Albans in Oberhausen, ebenfalls von Huber, verdeutlicht die Strenge dieser neuen „dokumentarischen Qualität“ anschaulich: Die in den barocken Kompositionen dominierende Zweiteilung in einen irdischen Bereich und eine himmlische Glorie – wie man sie noch in Oberhausen ganz klassisch sieht – ist in Ingstetten aufgebrochen, indem Maria mit dem Kind nicht mehr anmutig, mystisch dem Irdischen entzogen auf Wolken schwebend dargestellt ist, sondern hoch aufgesockelt vor einer Ädikula mit korinthischer Ordnung thront.
Direkt neben dem mit tanzenden Putti geschmückten Rundsockel steht Europa in Gestalt einer Vestalin[3] und reicht Maria ein Kissen mit den Insignien der weltlichen und geistlichen Macht. Unterhalb des rechteckigen Sockels, auf dem sich Europa und Maria befinden, verbeugen und knien die anderen drei Repräsentanten der Erdteile. Sie unterscheiden sich nicht nur durch ihre Körperhaltungen von den Oberhausener Erdteilallegorien, die klassisch um eine Weltkugel gruppiert sind und auf verschiedenes Vorlagenmaterial zurückgreifen,[4] sondern auch durch ihre Farbigkeit und Bewegtheit. Das Oberhausener Fresko kontrastiert die Ingstettener Darstellung durch seine „atmosphärisch-warm[e] Farbigkeit und [die] bewegt[e] Komposition“[5]. In Oberhausen streckt die aufrecht stehende Figur Asiens Maria schwungvoll und pathetisch ihr Weihrauchfass entgegen, und Amerika und Europa sind mit gebeugtem Blick und mit gefalteten Händen beziehungweise mit der Hand auf dem Herzen als Zeichen ihrer Liebe zur Gottesmutter dargestellt. Die kühle, strenge Umsetzung in Ingstetten, in der solche empfindungsvollen Gesten wie bei Asien oder Europa vollkommen fehlen, entspricht eher dem rationalen Geist der neuen Zeit.[6]
[1] Dehio Schwaben 2008, 521.
[2] Zu diesem Kreis ist auch die im vorliegenden Kontext relevante Kirche in Witzighausen, die unter Fugger’schem Patronat stand, zu zählen. Vgl. KIV Neu-Ulm 1996, 14; Konrad Donau-Iller 1972, 79f.; HLB Fugger-Kirchberg-Weißenhorn 2014.
[3] Vgl. zur Entwicklung des Vestalinnen-Bildes sowie seiner klassizistischen Blüte Schalles Vestalin 2003.
[4] Europa und Amerika sind einer weitverbreitenden Vorlage von der Hand Gottfried Bernhard Göz’ und Asien und Afrika einem heute unsichtbaren Fresko von Hubers Lehrer Franz Martin Kuen in Waal (bei Buchloe) entnommen. Für eine Abbildung siehe KF Waal 1982, 21; vgl. den Beitrag von Michael Schmid im AK Weißenhorn Huber 2002, 103f.
[5] AK Weißenhorn Huber 2002, 103.
[6] In Europa stellte die Französische Revolution zur Zeit der Ausmalung das herrschende System infrage. Säkularisierungsbestrebungen wie die Josephs II. im letzten Jahrzehnt seiner Regierungszeit in den habsburgischen Ländern führten zur Aufhebung zahlreicher Klöster. Die Societas Jesu wurde 1773 durch Papst Clemens XIV. aufgehoben. Beides stellte die kirchliche Hegemonie innerhalb Europas auf tönerne Füße.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Von Ost nach West:
ORGELEMPORENBRÜSTUNG
- oben: Stärke und Tapferkeit (Kardinaltugend)
- unten: Hoffnung, Glaube, Liebe (christliche Tugenden)
LANGHAUS
- nördliche Seitenbilder:
- der heilige Petrus erscheint der gefangenen Agatha mit einem heilendem Balsam, den sie ablehnt
- Tod und Erhöhung der heiligen Agatha
- Mittelbilder:
- historische Ansicht des Prämonstratenserklosters Roggenburg
- die heilige Agatha rettet die Stadt Catania vor dem Lavastrom des Ätna
- südliche Seitenbilder
- das Martyrium der heiligen Agatha
- Ablehnung des um sie werbenden Statthalters Quintian durch Agatha
CHORBOGEN
Wappen des Auftraggebers Abt Thaddäus Aigler OPraem von Roggenburg
CHOR
- nördliche Seitenbilder [Grisaille]:
- Ester vor Artaxerxes
- Booz und Ruth
- Mittelbild: Verherrlichung Mariens durch die vier Erdteile
- südliche Seitenbilder [Grisaille]:
- Rebekka und Eliezer
- Jaël tötet den Sisera
1935 Innenrenovierung
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (74):
Die Ingstettener Pfarrkirche St. Agatha gehörte seit der Gründung des „über dem Hügel“ gelegenen, zwei Kilometer entfernten Prämonstratenserklosters 1126 zum Klosterbesitz und wurde schließlich 1248 endgültig inkorporiert. Bis zur Säkularisierung der Reichsabtei wurde die Pfarrei stets von einem Ordensgeistlichen als Pfarrvikar betreut. Die Baugeschichte ist archivalisch bis zu ihrem Neubau 1791 nur für das 18. Jahrhundert belegt: Der spätgotische Bau galt 1708 als „glänzend geziert“ (Visitationsbericht); von 1728 bis 1730 wurde er unter Abt Dominikus Schwaninger OPraem (reg. 1713–1735) unter anderem neu stuckiert und freskiert;[1] 1740/1750 wurden unter Abt Caspar Geisler OPraem (reg. 1735–1753) neue Altäre eingebaut. Die zweite Bauphase setzte dreißig Jahre später ein: 1782 wurde der Chor umgebaut und ein Künstler aus der Weißenhorner Malschule, Konrad Huber, mit dessen Ausmalung beauftragt, wofür er mit 80 Gulden entlohnt wurde. Das ikonografisch unbekannte Werk Hubers sollte keine zehn Jahre zu sehen sein. Ein Jahr nach seinem Amtsbeginn beschloss der neue Abt Thaddäus Aigler OPraem (reg. 1789-1802) einen Abriss der alten Kirche und einen Neubau. Insgesamt kostete ihn das Bauvorhaben rund 19.000 Gulden, wovon 1000 die Ingstetter fabrica ecclesia trug. Während der verantwortliche Baumeister und die Stuckateure namentlich bis heute unbekannt bleiben,[2] ist der Freskant umso besser mit dem Auftraggeber bekannt: Wiederum wurde Konrad Huber mit der Ausmalung betraut (Signatur: „Conrad, Huber pinx: 1791“).[3]
[1] Die Themen und die Künstler sind unbekannt. Zusätzlich wurde der Kirchturm erhöht und erhielt einen neuen Fußbodenbelag. Auch die 1575 gebaute Orgel der Stiftskirche fand in Ingstetten ihren endgültigen Platz. Vgl. KF Ingstetten 1990, 2.
[2] Der Bau wird den Baumeistern Thaddäus Rieff oder Kaspar Zengerle zugeschrieben, die Stuckaturen den Brüdern Michael und Joseph Hölzle. Letztere haben für die Roggenburger Äbte den hauseigenen Bibliothekssaal 1781, die Pfarrkirche zu Biberach 1787 sowie die von Breitental 1788 ausgestattet. Vgl. KIV Neu-Ulm 1966, 94; Konrad Donau-Iller 1972, 92; Dehio Schwaben 2008, 521.
[3] Die restliche mobilare Ausstattung wurde von Benedict Schuebauer (Angelberg) sowie wiederum von Konrad Huber in den Folgejahren angefertigt. Vgl. KF Ingstetten 1990, 4.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Zuletzt aktualisiert am: 01.12.2015