Romenthal (Landsberg am Lech), St. Anna Zitieren
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (411–413):
In Romenthal wie auch in Rennertshofen ist zwar der Kirchenpatron Protagonist der Narration, allerdings stellt dieser nur die oberste Interpretationsebene dar. Ganz in der frühchristlichen Tradition der dreistufigen hermeneutischen Textinterpretation[1] kann dem sensus litteralis sowohl eines religiösen Textes als auch eines religiösen Bildwerkes ein verborgener Sinn, der sogenannte sensus spiritualis, unterlegt werden. Ein spätmittelalterliches Distichon formuliert den Inhalt der drei Ebenen prägnant:
„Der Buchstabe lehrt das Geschehen; was zu glauben ist die Allegorie; was zu tun der moralische Sinn; wohin zu streben die Anagogie.“[2]
Heilsgeschichtliche Inhalte werden somit in einer ersten Stufe im Verfahren der Allegorese kommuniziert. Auf die allegorische beziehungsweise typologische Dimension folgt der tropologische oder auch moralische Sinn, der als Sinnbild für den Lebensvollzug des Einzelnen steht. Der dritte und letzte Sinn, der anagogische Sinn, spielt bereits auf eine eschatologische Dimension an.[3]
Sowohl in Romenthal als auch in Rennertshofen ist dies der Fall: […] Das Bildprogramm konzentriert sich im Wesentlichen auf das große Kuppelfresko und die in den Zwickel angebrachten Embleme im Langhaus; im Chor kam lediglich ein kleines Fresko mit der Mariengeburt zur Ausführung. Das vordergründige Thema ist die Verherrlichung der Kirchenpatronin St. Anna als Schutzpatronin vor Gewitter durch die vier Erdteile. Im Zentrum schwebt Gottvater auf Wolken, zu seiner Rechten deutet Christus auf die unterhalb von Gottvater auf Wolken sitzende heilige Anna. Diese hält auf ihrem Schoß ihre Tochter Maria, die als Zeichen ihrer Auserwähltheit und Jungfräulichkeit eine Krone auf dem Haupt trägt; außerdem sind die Worte „TOTA PULCHRA ES MARIA!“ auf einem Spruchband, gehalten von einem Engel, zu lesen. Die letzte Spitze der sich bildenden Raute (blau eingezeichnet stehen die auf dem Gras um eine Weltkugel knienden Vertreter der vier Erdteile; angeführt von Asia, dann Amerika, Europa und Afrika. Ihnen gegenüber, am anderen Rand der Kuppel, sind ein brennendes Haus, ein Schiff auf stürmischer See sowie eine Menschengruppe (Kranke, Gläubige, Schiffbrüchige etc.) zu sehen. Das Kuppelfresko wird von einer umlaufenden Inschrift am Kuppelrand beschlossen:
„OBVIABIT ILLI QUASI MATER HONORIFICATA. Eccli. 15 v. 2. ORA PRO NOBIS! QUONIAM MULIER SANCTA ES Judith. 8. v. 29. “
Der Maler Kirzinger, der sich als Vorlage für die Gruppe der Erdteile eines Stiches von Gottfried Bernhard Göz bedient hatte, band lokale Gegebenheiten und Ereignisse in sein Werk ein. So verweist die Figur der heiligen Anna auf das heute verlorene Gnadenbild, während der See auf den nahe gelegenen Ammersee und das brennende Haus auf den Brand der Schwaige im Spanischen Erbfolgekrieg 1704 hindeuten könnten.[4] Die flehenden Menschen sowie die Repräsentanten der Kontinente wenden sich im Vertrauen an die heilige Anna, deren Rolle als „ehrliche Mutter“ und Fürbitterin („so bitte nun für uns“) in der Umschrift am Kuppelrand betont wird.
Doch hierbei handelt es sich – wie bereits angedeutet – nur um den vordergründigen Sinn, der dem Betrachter exemplarisch, durch die genannten Szenen mit Lokalbezug, visualisiert wird. In der Rautenkomposition – Gottvater, Jesus Christus, Anna mit Maria und die Erdteile – liegt eine prophetische Andeutung und ein Verweis auf einen der katholischen Glaubensgrundsätze verborgen. Zum Aufdecken des sensus spiritualis bedarf es der Kenntnis des Protoevangeliums des Jakobus. Im 1. Vers des 4. Kapitels verkündet ein Engel der Mutter Mariens:
„Anna, Anna, der Herr hat deine Bitte erhört. Du wirst empfangen und gebären, und deine Nachkommenschaft wird in der ganzen Welt genannt werden.“[5]
Auf die besondere Rolle Marias als Himmelskönigin und als Immaculata deuten die erwähnten Hinweise Krone und Spruchband, und die vier Embleme[6] verweisen auf die Schwangerschaft Marias. Während sich die erste Rolle für den Betrachter schnell erschließt, ist die zweite Rolle Marias nur vor dem Hintergrund der seit dem 16. Jahrhundert gängigen Verbindung der Gestalt der tota pulchra mit der immaculata conceptio zu verstehen.[7]
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Kuppelfresko zwei Zeitebenen hat, eine gegenwärtige unmittelbare, aus der Not geborene der Interzession und ein mittelbare, auf die Zukunft verweisende, in welcher Maria mit der Menschwerdung Christi sowie den Gedanken der Erlösung verbunden wird.
[1] In der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts suchten die Theologen der Schule von Alexandria – Irenäus von Lyon, Clemens von Alexandria und Origenes – den „richtigen Zugang“ zur Heiligen Schrift. Im Zuge dessen bedienten sie sich des hermeneutischen Zugangs der Griechen, indem sie davon ausgingen, dass hinter dem Erzählten immer noch ein verborgener Sinn stehe, der sensus spiritualis. Vgl. Pippal Mittelalter 2002, 34.
[2] Lubac Sinn 1952, 13.
[3] Vgl. ebd., 17f.; Pippal Mittelalter 2002, 33–35; Warncke Symbol 2005, 12 f.; Romberg Welt in Österreich 2008.
[4] Vgl. CdbM 1/1976, 206.
[5] Zitiert nach: Schneemelcher Apokryphen 1990, 340.
[6] Hierbei handelt es sich um: Weinstock – Spruchband: Sicut Vitis abundaris. Psalm. 127. v. 3.; Landschaft – Spruchband: Valles abundabunt Frumento. Psalm. 64. v. 14.; Obstbaum – Spruchband: Flores mei Fructus Honoris & Honestatis. EccliZ 4. v. 23. und Muschel von der Sonne beschienen – Spruchband: O quam pulchra est casta generatio! Sap 4 v 1.
[7] Vgl. Schiller Ikonographie 4.2/1980, 169.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Von West nach Ost:
LANGHAUS
- Mittelbild: Verherrlichung der Kirchenpatronin St. Anna als Schutzpatronin vor Gewitter durch die vier Erdteile – Spruchband: TOTA PULCHRA ES MARIA! - Inschrift: ORA PRO NOBIS! QUONIAM MULIER SANCTA ES Judith. 8. v. 29. OBVIABIT ILLI QUASI MATER HONORIFICATA. Eccli. 15 v. 2.
- Seitenbilder: Embleme
- Weinstock – Spruchband: Sicut Vitis abundaris. Psalm. 127. v. 3.
- Landschaft – Spruchband: Valles abundabunt Frumento. Psalm. 64. v. 14.
- Obstbaum – Spruchband: Flores mei Fructus Honoris und Honestatis. EccliZ 4. v. 23.
- Muschel von der Sonne beschienen – Spruchband: O quam pulchra est casta generatio! Sap 4 v 1.
CHOR
Geburt Mariens
Insgesamt wurde die Kapelle seit ihrer Ausmalung zweimal restauriert: 1948 von Stallhofer und 1954 von Pfohmann. Zwar weisen die Fresken teilweise Übermalungen auf, sind aber in gutem Zustand.
Als Vorlage verwendete der Künstler eine Komposition von Gottfried Bernhard Göz wie sie unter anderem im Kupferstich Verherrlichung Mariens durch die vier Erdteile (vor 1754) Verbreitung fand. Während Europa und Afrika weitestgehend der Göz-Vorlage in Haltung und Aussehen folgen, varrieren die beiden anderen Erdteile in ihrer Körperhaltung. Mehr Informationen sowie eine Abbildung der Vorzeichnung zum Stich siehe Datenbankeintrag Erdteilallegorien von Gottfried Bernhard Göz.
Der Wunsch zur Erbauung des kleinen achteckigen Zentralbaus auf dem Land der Klosterschwaige Romenthal geht auf den Dießener Propst Herkulan Karg CRSA (reg. 1728–1755) zurück, realisiert wurde der Bau allerdings erst unter seinem Nachfolger. Propst Berthold II. Wolff CRSA beauftragte den Baumeister Johann Michael Fischer (zugeschrieben) und den Maler Franz Seraph Kirzinger zwei Jahre nach dem Tod seines Vorgängers 1757 mit dem Neubau der kleinen Kapelle.
Zuletzt aktualisiert am: 24.02.2016