Hurlach (Landsberg am Lech), St. Laurentius Zitieren
Auf Wolken schwebt die trauernde Muttergottes mit dem Leichnam ihres Sohnes auf dem Schoß. Es handelt sich hierbei um eine Kopie der Pieta auf dem Seitenaltar. Der im Barock wiederentdeckte Typus des Vesperbildes geht zurück auf das 13./14. Jahrhundert und wird erstmals auf dem Gebiet Bayerns in St. Walburg bei Eichstätt (um 1300), in Salmdorf bei München (1340) und in Scheuerfeld bei Coburg (1330/1350) verehrt[1]. Die im Zentrum des Langhausfreskos dargestellte Pieta wird von Engeln umgeben, die sie nicht nur stützen, sondern links von ihr das Kreuz Christi tragen; rechts eine Ansicht Hurlachs, die das noch in Fugger’scher Herrschaftszeit errichtete Renaissanceschloss im Norden und die spätgotische Kirche im Süden zeigt.
Im unteren Teil des Freskos haben sich in der Mitte um eine Weltkugel die vier Erdteile versammelt. Sie werden von einer Menschengruppe, die aufgrund ihrer heimischen Tracht als Bewohner Hurlachs identifiziert werden kann, flankiert. Es sind Kinder, Babys, Kranke, Bettlägerige, Alte und Junge zur erkennen, aber anders als in der Marienkapelle von Ringingen oder in der Pfarrkirche zu Rettenbach können keine konkreten historischen Personen benannt werden. Alle knien oder stehen in ekstatischer Verzückung auf Treppenstufen. Europa und Asien sind zuvorderst, Afrika und Amerika sind im Hintergrund dargestellt. Sie sind aufgrund ihres Habits und ihrer Attribuierung eindeutig zu identifizieren:
- Europa: Krone, kostbarer Mantel mit Hermelinkragen
- Asien: Turban, Weihrauchgefäß
- Afrika: negroide Physiognomie, Köcher und Federkrone
- Amerika: entblößter Oberkörper, Federkrone, rötliches Inkarnat
[1] Sperber 800 Jahre 1980, 78 bietet eine kompakte Darstellung der wichtigsten Typen von Gnadenbildern, die auf dem Gebiet Bayerns gängig waren.
Von West nach Ost:
ORGELEMPORENBRÜSTUNG
- sechs Apostel (Einzelbilder)
- Christus
- sechs Apostel (Einzelbilder)
LANGHAUS
- nördliche Seitenbilder:
- Baum in der Landschaft – Spruchband: FERT MULTIS DOLOR ISTE SALUTEM.
- Mutter mit Kind – Spruchband: MATREM FAEGROTANTIS INVOCANI
- Mittelbild:
- Verherrlichung der Pieta von Hurlach
- IHS
- südliche Seitenbilder:
- Springbrunnen in einem Garten – Spruchband: MIRO MIXTUS ODORE DECOR
- musizierende Engel – Spruchband: MATREM ASTRA SOLUMQUE CANUNT.
CHORBOGEN
- nördliches Wappen: Allianzwappen der Freiherren von Pemler zu Hurlach und Leuchtstetten
- Inschriftenkartusche: MDCC | SANCTUS SANCTUS SANCTUS | LXIII [= 1763]
- südliches Wappen: Allianzwappen der Freiherren von Pemler zu Hurlach und Leuchtstetten
CHOR:
- nördliche Seitenbilder:
- Phönix aus der Asche – Spruchband: SPONTE CREMATUR
- brennender Baum im Regenguss – Spruchband: PURGANTES OPPRIMO FLAMMIS
- Mittelbild: St. Laurentius in der Glorie
- südliche Seitenbilder:
- Kelch mit Hostie und zum Gebet gefaltete Hände mit Rosenkranz – Spruchband: HOC FOEDUS DETERGET AQUAS ET TEMPERATIGNES
- Ein Mann wärmt sich bei einer Feuerstelle – Spruchband: IGNE PROBATUR
1885 Innenrenovierung (lt. Inschrift im linken Chorfenster)
1934/1935 Innenrenovierung durchgeführt von Kirchenmaler Hartmann (Buchloe)
Als Vorlage verwendete der Künstler zwar eine Komposition von Gottfried Bernhard Göz wie sie unter anderem im Kupferstich „Verherrlichung Mariens durch die vier Erdteile“ (vor 1754) Verbreitung fand. (Mehr Informationen sowie eine Abbildung der Vorzeichnung zum Stich siehe Datenbankeintrag „Erdteilallegorien von Gottfried Bernhard Göz“.) Nichtsdestotrotz hat er eine sehr eigenständige Lösung gefunden, die sich einerseits durch die Verbindung der Weltbevölkerung (vier Erdteile) mit Vertretern der lokalen Bevölkerung auszeichnet sowie andererseits durch die Einbindung des Vesperbildes als Kultgegenstand.
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (191f.):
Wie sehr die von Pemlers auch die Hurlacher Pfarrkirche als „ihre Hauskirche“ ansahen, wird nicht nur an dem regelmäßigen finanziellen Engagement, sondern auch an der großzügigen Förderung der Innenausstattung der Kirche deutlich. 1730 wurde unter Franz Joseph von Pemler, dem Vater des Auftraggebers der heute zu sehenden Ausmalung, die Kirche erstmalig „[a]uf Verordnung der gnedigen Herrschaft“ mit einem „neuen Tabulat von Gipsarbeit […] und mit al fresco Malerey ausgezieret“[1]. Das Allianzwappen am Chorbogen verewigt das Engagement des Hofmarkinhabers und seiner Gemahlin Maria Theresia Cleopha Adelheid, geb. Donnersberg[2]. 33 Jahre später, im Sommer 1763, beschloss Sebastian gemeinsam mit Pfarrer Fesenmair, mit dem er nicht nur parlierte, sondern auch in kirchlichen Dingen administrativ eng zusammenarbeitete,[3] die Fresken inklusive der Erdteile zu „erneuern“:
„Als man anheur das Gottshauß ausmahlen lassen, hat die gdig. Herrschaft das Holz zum Christ hergeben […] dem Maler von Erringen vor Renovier- und Ausmahlung des Pfarrgottshauß accordierter massen 150 fl.“[4]
Daraus resultierten allerdings – so die Autoren des Corpus der barocken Deckenmalerei – die Arbeiten in einer Neuausstattung, an die die römische Jahreszahl MDCCLXIII zwischen den Wappen am Chorbogen erinnert. Den Maler hat, wie obige Kirchenrechnung belegt, wiederum die „gdig. Herrschaft“ bestimmt. Laut dem Corpus der barocken Deckenmalerei handelt es sich bei dem genannten „Maler von Erringen“ um Joseph Hörmann aus Langerringen.
Nicht Baufälligkeit oder Zerstörungen waren der Anlass zur Umgestaltung, sondern Zeitgeschmack und die Notwendigkeit eines repräsentativen Kirchenbaus. Denn für Sebastian brachten die erste Jahre der 1760er-Jahre tiefgreifende Veränderungen mit sich: 1760 war er seinem Vater als Hofmarksherr von Hurlach nachgefolgt; 1762 erbte er von seinem Onkel Ferdinand Ignatius von Pemler sowohl das Schloss und Gut Leutstetten als auch das Stadthaus in München. Von Letzteren trennte er sich bereits Anfang 1763 für 5200 Gulden an einen gewissen „Streckmair Brün allhier“[5]. Durch den Verkauf und das Erbe in höchstem Maße liquide sowie auch im Angesicht seines fortgeschrittenen Alters von 44 Jahren gelang es Sebastian noch im selben Jahr, zwei andere prestigeträchtige Projekte umzusetzen: seine Eheschließung mit Anna Maria von Karwinsky sowie den Ankauf des Kammerschlüssels. Anna Maria, gebürtig aus Nordböhmen, hatte er wohl am Münchner Hof in ihrer Funktion als Hof- und Kammerfräulein kennengelernt und im Mai 1763 in liebevoller Zuneigung in München geehelicht.[6] Der Erwerb des Kammerschlüssels erlaubte es ihm, sich ab Oktober desselben Jahres „churfürstlicher Kammerherr“ zu nennen.[7]
Nach seiner Rückkehr nach Hurlach griff er wie gesagt auch die Ausstattung der Kirche an. Leider erlauben seine Tagebücher keine Aussagen zu seinen konkreten Beweggründen. Die oben genannten ereignisreichen Jahre sind sicherlich auch Anlass gewesen. Inwieweit sich seine Beteiligung auch auf das Bildprogramm erstreckte, ist ungewiss. Allerdings lassen erstens seine enge Zusammenarbeit mit dem Hurlacher Pfarrer sowie seine Wertschätzung ihm gegenüber, zweitens die in der Kirchenrechnung belegten Maßnahmen und drittens seine überlieferte Kunstfertigkeit[8] auch ein Engagement in dieser Hinsicht plausibel erscheinen. Nicht zuletzt unterstützt auch der eindeutige lokale Bezug des Bildprogramms eine diesbezügliche Autorenschaft, ebenso wie die starke Präsenz der Erdteilikonografie in den Pfarrkirchen und Wallfahrtskirchen der angrenzenden Herrschaften. So finden sich in der Pfarrkirche seines Onkels in Oberigling bereits seit 1735 Erdteilallegorien im Chor.
[1] Kirchenrechnung von 1730, zitiert nach: CdbM 1/1976, 105.
[2] Die ältere Schwester von Joseph Anton Christoph von Donnersberg (Auftraggeber der Oberiglinger Erdteilallegorien), Maria Theresia Cleopha, Adelheid heiratete den Vater Sebastians Franz Joseph von Pemler. Keine elf Monate nach Sebastians Tod heiratete dessen Witwe Anna Maria, geb. Karwinsky, wiederum Sebastians Vetter Franz Joseph von Donnersberg auf Kaufering. Vgl. für die Genealogie der Familie von Pemler Kink Lebenswelt 2007, 78 (Stammbaum) und 109; für die von Donnersberg Fees-Buchecker Ortschronik 2009, 42f. u. 611.
[3] Der Hofmarksherr verbrachte mit dem Pfarrer nicht nur gesellige Stunden, sondern man zog auch in administrativen Belangen der Kirche an einem Strang. Einträge wie „vormittag kommet hl pfarrer und heilig pfleger, wir bezahlen aus dem schrein das zur kirchen abgehollte öhl“ oder „wir bezahlen dem Mahler von Erringen wegen ausmahlungen der kirchen 150fl aus dem schrein“ belegen anschaulich die Zusammenarbeit. Tagebucheinträge vom 1. August und 17. Oktober 1763, zitiert nach: Kink Lebenswelt 2007, 132.
[4] Zitiert nach: CdbM 1/1976, 105.
[5] Vgl. Kink Lebenswelt 2007, 72.
[6] In seinen Tagebucheinträgen hat er sein „böhmisches bräutl“ mit Kosenamen („mein schaz“, „meine Herzallerliebste“, „mein liebstes Weiberl“ etc.) überhäuft. Sein guter Vermögensstand ermöglichte es Sebastian, sich gegenüber seiner Angetrauten sehr großzügig zu erweisen. Er schenkte ihr unter anderem zusätzlich zur Morgengabe 3000 Gulden. Vgl. ebd., 97 und 102.
[7] Vgl. Kink Ehstandt 2000, 269; dies. Lebenswelt 2007, 104.
[8] So soll eine von ihm gemalte Sonnenuhr an der Südseite der Schlossfassade existiert haben. Vgl. Kink Lebenswelt 2007, 68.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Zuletzt aktualisiert am: 20.11.2017