Rötsee (Ravensburg), Maria Königin der Engel Zitieren
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Ein üppiger monochrom gemalter Rocaillerahmen eröffnet den Blick auf eine mehrfigurige Komposition, die zu zwei Drittel dem himmlischen und zu einem Drittel dem irdischen Geschehen vorbehalten ist. In der Bildmitte schwebt die in Blauweiß gekleidete Gestalt der Jungfrau Maria auf einer Wolke, getragen von zwei Engeln. In ihrer linken Hand hält sie eine Lilie als Symbol ihrer Jungfräulichkeit. Zwischen ihr und dem Heiliggeistloch am oberen Bildrand befinden sich Gottvater und Jesus Christus. Am Bildrand haben sich auf Wolken Heilige, Propheten, Patriarchen, Apostel, Bekenner, Jungfrauen und Märtyrer zur Ehrehrweisung versammelt[1]). Das verbindende Element zur terrestrischen Zone ist genau unterhalb Mariens ein Kirchengebäude, von dem lediglich die Kuppel mit Laterne und die Kolonnaden zu sehen sind.
Auf dem Vorplatz, zu dem im Vordergrund Stufen hoch führen, blicken die vier Erdteile, gruppiert um eine Weltkugel, ehrfuchtsvoll auf die göttliche Familie und die Versammlung der Heiligen. Links außen tragen zwei im Gespräch vertiefte Pagen in höfischer Tracht die Schleppe der gekrönten weiblichen Personifikation Europa. Kostbar in Goldbrokat und rosa Seide gekleidet, repräsentiert sie die weltliche Macht. Ihr gegenüber auf der anderen Seite der Weltkugel steht ihr Pendant, die geistliche Macht, zu erkennen an der Tiara auf ihrem Haupt und dem Papstkreuz in ihrem linken Arm. Sie übernimmt hier eine allegorische Doppelfunktion: zum einen als Personifikation der Kirche „Ecclesia“, zum anderen in ihrer Rolle als geistlicher Teil des Erdteils Europa als dessen Personifikation. Ihr goldener Mantel, dessen Borte mit Edelsteinen und Perlen reich besetzt ist, wird von einer großen Goldbrosche gehalten. Mit ihrer rechten Hand weist sie auf das Kreuz Christi, sein Leib und Blut, dargestellt als Hostie, die über einen Kelch erstrahlt, und auf die Schlüssel Petri. Im Vergleich zu dieser Pracht sind die anderen drei Erdteile von bescheidenem Aussehen.
Zwischen Europa erhebt die männliche Personifikation Amerika seine betenden Hände gen Himmel. Das Mintgrün seines Mantels kontrastiert mit dem Rot-braun seiner Haut. Auf dem Kopf trägt die Allegorie eine Kappe mit Federn, die Flammen gleich in grau-blauen, roten und orangen Farbtönen lodern. Perlen schmücken ihr schwarzes krauses Haar, ihren Hals und ihr Armgelenk. Eine Kette, ähnlich einer Insignienkette, liegt auf seinen Schultern.
Die Erdteile Asien und Afrika sind am rechten Bildrand zu sehen. Asia in einem wallenden hellblau-rosa farbenen Gewand und einem Zepter in ihrer linken Hand verneigt sich tief im Vordergrund. Ihre seltsame wespennestartige Kopfbedeckung mit Perlen, einer Feder und dem osmanischen Halbmond sticht dem Betrachter ins Auge. Afrika in seitlicher Rückenansicht steht aufrecht direkt hinter ihr. Ein Page schützt den männlichen Repräsentant des „schwarzen“ Kontinents mit einem Sonnenschirm vor der Hitze der Sonne. Das tiefe Rot seiner Kleidung setzt sich nur durch die weißen Federn seiner Ärmelborte vom Schwarz seiner Haut ab. Seinen Kopf schmückt ein goldener Reif mit weißen Federn. Ein Köcher voller Pfeiler hängt an seiner Hüfte.
Die ikonografische Ausgestaltung der Kirche geht auf die blühende Marienwallfahrt im 18. Jahrhundert zurück. Nicht der selige Ratpero, sondern die Verehrung Mariens als Königin der Erde und ihr Gnadenbild durch die Bruderschaft sind Thema der Ausstattung (s. Grundriss). Über der Orgelempore bittet Maria für die Lebendigen und Toten, die durch den Opfertod Christi Erlösung erfahren. Im Langhaus ist Jesus Christus im Begriff sogenannte Pestpfeile auf die Menschheit zu entsenden.[2] Die tödlichen Spitzen werden jedoch durch die Fürbitten Mariens, die das inständige Flehen der Bruderschaft auf Erden erhört, in knospende Blätter verwandelt.
Im linken Seitenschiff des Querhauses wird direkt auf das Gnadenbild Bezug genommen. Am Himmel schwebt es oberhalb einer zeitgenössischen Darstellung der Rötseer Kirche. Pilger, besonders geplagt von Augen- und Beinleiden, haben sich im Vordergrund des Bildes versammelt und erflehen seine Hilfe. Gegenüber, im rechten Seitenschiff, ist das Fresko großteils weiß übertüncht und nur ein kleines Stück sichtbar. Dieses reicht jedoch, um die Szene als einen Verweis auf die Schlacht von Lepanto 1571 zu identifizieren. Das Gebet von Rosenkranz-Bruderschaften zur Gottesmutter im Vorfeld der Schlacht führte zum Sieg der Katholischen Liga. Hierauf führte Papst Pius V. (reg. 1566–1572) 1572 für den 7. Oktober das Fest Maria de Victoria ein.[3] Das Programm hat seinen Höhepunkt im Chorfresko, in dem die Menschheit, symbolisiert durch die vier Erdteile, Zeugen des Triumphs Mariens sind.
Abschließend ist noch auf einen bislang in der Forschung unerwähnten, vermutlich lokalhistorischen Verweis hinzuweisen. Eine mögliche Verbindung zur Stiftung der Bruderschaft könnte eine Szene im Fresko oberhalb der Orgelempore darstellen. Scheinbar aus dem Zusammenhang gerissen, öffnet sich am linken Bildrand der Blick auf einen Innenraum. In diesem übergibt eine kostbar gekleidete, gekrönte Frau einem vor ihr knienden Mann einen Brief. In der Literatur wird diese Szene nie erwähnt. Möglicherweise handelt es sich hierbei um die Schellenberg’sche Erbin Maria Anna von Waldburg-Wolfegg, geborene Schellenberg (1681–1754), die zur Zeit der Gründung der Bruderschaft Landesherrin und wohlmöglich auch Initiatorin der selbigen sowie der Barockisierung der Kirche war.
[1] Die genau Bildbeschreibung im Bild: LINKE GRUPPE: nicht identifizierbare Heilige, Hl. Nikolaus (?), Hl. Florian, Hl. Sebastian (?), Hl. Laurentius (Rost?), Moses, // RECHTE GRUPPE: Hl. Katharina, Hl. Ursula, Hl. Cäcilia, Hl. Petrus und Paulus; Hl. Johannes, Hl. Lukas, Hl. Matthäus, Hl. Markus, König David, Noah, nicht identifizierbare Heilige.
[2] zur Pestikonographie vgl. Ailingen, Rosenkranzkapelle.
[3] Vgl. Vocelka/Heller 1997, 21.
Von West nach Ost:
EMPORE
Die Erlösung der Seele am Tag des Gerichtes durch den Opfertod Christi
LANGHAUS
- nördliche Seitenbilder: Schild mit Marienmonogramm und Schafe „Daß irrendt Schaaf, Erhalt vor Straff“;
- Mittelbilder: Verherrlichung Mariens als Fürbitterin vor Gott für die Menschen
- südliche Seitenbilder: Arche Noah auf stürmischer See „Der Sund wellen, Sich zershnellen,“
VIERUNG
- nördliche Seitenbilder:
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- Turm belagert von Höllengestalten „In Deinem Schutz, die Feind ich trotz“,
- leer
- südliche Seitenbilder:
- leer
- Strahlende Sonne über einen Garten „Dem grösten Theil, Sie bringt das Heil“
QUERHAUS
- nördliches Querhaus: Schlacht von Lepanto (Fragment)
- südliches Querhaus: Gnadenbild von Rötsee als Hilfe der Bedrängten mit einer zeitgenössischen Ansicht der Kirche
CHORBOGEN
christliche Tugenden: Caritas, Fides, Spes
CHOR
Verehrung Mariens als Königin der Engel und der Kirche durch die vier Erdteile
Die Kirche wurde in den Jahren 1881 bis 1887 innen und außen restauriert.[1] Eventuell wurden in diesem Zuge auch die Fresken zum Teil übertüncht. So ist die Ausstattung des rechten Seitenschiffes heute bis auf einem kleinen Teil großteils nicht mehr zu sehen. Dieser kleine Teil wurde bei der Innenrestaurierung von 1969 bis 1971 aufgedeckt. [2] Letztmalig wurde die Kirche 1994 von außen renoviert.[3] Die Fresken präsentieren sich heute in einem guten Zustand.
[1] Lt. Anbringungstafel und 2. Anbringungstafel; Wahr 1938, 18.
[2] Restaurationsbericht (Bestätigung der Übertünchung?) Müller 1974, 28; Krieger 1996, 29; die Zeitspanne 1969 bis 1971 von 2. Anbringungstafel
[3] vgl. Schmid 2009, 35.
Zuletzt aktualisiert am: 24.02.2016