Großkötz (Günzburg), SS. Peter und Paul Zitieren
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (390–392):
Sowohl in Großkötz als auch in Lutzingen befinden sich die Personifikationen der vier Erdteile auf der untersten Ebene einer zweigeschossigen Architektur und teilen sich diese mit den Repräsentanten des Irrglaubens. Auf der obersten Ebene führen zwei mit einem weißen Tuch bedeckte Stufen zu einem Altar hinauf, auf dem in Steiß gemeißelte Evangelistensymbole ein offenes Buch mit der zum Teil verdeckten Inschrift „HOC EST CORPUS MEUM [HIC EST ENIM] CA[LI]X SA[NGUINI]S MEI“ präsentieren. Darüber erstrahlt am Himmel, umgeben von einer Engelschar, der Sonne gleich das allerheiligste Altarsakrament (Kelch, Monstranz, konsekrierte Hostie). Auf beziehungsweise vor den Altarstufen sitzen und knien Allegorien des Glaubens und der Erlösung sowie der Stellvertreter Petri auf Erden, der Papst, ein Weihrauchgefäß schwenkend. Neben diesem steht am linken Bildrand ein weiteres steinernes Monument. Vor einem Obelisken halten zwei Löwen ein monochromes Männerporträt. Die umlaufende Inschrift – „IOH CHRISTOPH DL FREYBERG EPISCOPUS“ – identifiziert den Abgebildeten als den Augsburger Fürstbischof und Ellwanger Fürstpropst Johann Christoph von Freyberg. Die Zeichen seiner Würde – Mitra und Pileolus – liegen vor ihm. Unterhalb dieser Szene haben sich auf der linken Seite der untersten Ebene die Erdteile in Anbetungshaltung versammelt, während die Anhänger des Unglaubens auf der rechten Seite, darunter ein Protestant, gerade von dieser stürzen.
Aus der Gruppe der Erdteile ragt die weibliche stehende Personifikation Europas heraus. Gekleidet mit Helm, Brustharnisch und einem langen Gewand, steht sie in der Tradition klassischer Minerva- oder Roma-Darstellungen.[1] Sie macht ihre Geschwister mit ihrer deutenden Handbewegung auf das Porträt des Erzbischofs aufmerksam. Mit einem Zepter in der linken Hand weist sie entweder auf die vor ihr liegende Weltkugel, auf der das Christusmonogramm IHS erstrahlt, oder auf die ihr beigefügten Attribute (Adler, Krone, Zepter, Tiara, Reichsapfel und ein Kissen), die vor einer Weltkugel zu sehen sind. Hinter der Kugel kniet Asia, die ihre Hände zum Gebet gefaltet und ihren Blick auf Europa gerichtet hat. Aufgrund ihrer europäischen Physiognomie sowie Kleidung ist sie allein an ihrem Turban erkennbar. Die anderen beiden Erdteile befinden sich vis-à-vis von ihr zur anderen Seite Europas. Die schwarzhäutige Vertreterin Afrikas steht aufrecht, ihren Blick ebenfalls zu Europa erhoben. Sie ist in ein weißes, knielanges Gewand und einen blauen Umhang gekleidet. Anders als die übrigen Erdteile trägt sie um den Hals, an den Armen, um Taille sowie Unterschenkel und auf dem Kopf Perlen- und Goldbänder. In ihren Händen hält sie eine große Muschel, aus der Rauch quillt. Zu ihren Füßen ist Amerika in tief gebückter Haltung und mit auf den Boden gesenktem Blick in Anbetung versunken. Seine bis auf einen Federrock und ein Federband am rechten Oberarm zu sehende Blöße wird von einem grünen Tuch fast gänzlich verhüllt. Vor ihm liegt sein Köcher voller Pfeile.
Im Gegensatz zu anderen Darstellungen, in denen die Erdteile das allerheiligste Altarsakrament huldigen, ist es nicht das allerheiligste Altarsakrament, das die Aufmerksamkeit der Erdteilgruppe auf sich zieht, sondern Europa. Stehend und auf das Denkmal deutend, tritt sie hier als Lehrerin auf. Es scheint, als unterweise sie ihre Schwestern theologisch wie auch historisch. Fürstbischof Freyberg führte 1677 die ewige Anbetung zur Verehrung des allerheiligsten Altarsakramentes für das Fürstbistum Augsburg ein.[2] Ganz im Sinne des Missionsbefehls „Gehet hin und taufet …“ sowie des religiös-didaktischen Zwecks kirchlicher Bilder übernimmt Anwanders Europa eine Rolle, die in der Regel durch einen Heiligen als Missionar wahrgenommen und dargestellt wird. Wie anschaulich auf einem Frontispiz zu Dionigi de Carli Il Moro transportato in Venezia ovvero curioso raconto de‘ Costumi, Riti et Religione de‘ Populi dell‘ Africa, America, Asia ed Europa … (Bassano 1687) zu sehen. Anwander wiederum zog seine Idee der lehrenden Europa aus entsprechenden druckgrafischen Vorlagen wie den Frontispizen auf Matthäus Merians Werken Theatrum Europaeum von 1634 und Archontologia Cosmica von 1649. Während die Europapersonifikation auf den Frontispizen einen allumfassenden Anspruch auf die Rolle „Quell jeglichen Wissens“ erhebt, beschränkt sich in Großkötz/Lutzingen ihre Rolle auf die der „Religionslehrerin“, der Missionarin.
[1] Vgl. hier beispielsweise die Roma auf dem spätantiken Elfenbeindiptychon im Bestand des Wiener Kunsthistorischen Museums (Inv.-Nr. ANSA_X_37). Für eine Abbildung siehe die online zugängliche Bilddatenbank des Museums. Vgl. Poeschel Erdteile 1985, 11f.; Romberg Welt in Österreich 2008.
[2] Vgl. Ansbacher Bistum Augsburg 2001, 235f. Bereits acht Jahre später konnte er im Ad-Limina-Bericht des Fürstbischofs an den päpstlichen Stuhl von einem breiten Zuspruch des gläubigen Volkes zu dieser neuen Anbetung berichten.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Von West nach Ost:
EMPORENBRÜSTUNG
- unten:
- Noahs Opfer nach der Sintflut
- Allegorie der Heiligen Messe
- Moses und die eherne Schlange
- oben:
- Engelskonzert
- heilige Cäcilie spielt Orgel
- Engelskonzert
LANGHAUS
- nördliche Seitenbilder:
- Martyrium des heiligen Judas Thaddäus
- Übergabe der Schlüsselgewalt an den heiligen Petrus
- Pflege eines von Räubern überfallenden Mannes durch einen Samariter
- Mittelbilder:
- Engelskonzert
- Inschriftenkartusche: SanCtVs SebastIanVs teMpore pestIs proDIgIIs CLaret
- Fürbitte des heiligen Sebastian vor dem zürnenden Jesus Christus in der Himmelszone und auf Erden die Einreichung der Petition zur Erneuerung der Sebastiansbruderschaft durch den Abt von Wettenhausen vor dem Papst – Inschrift: IN FURORE - NE IN FURORE TUO (Himmel) und SAGITTA SALUTIS – INRI – PER HUNC (Signatur)
- Inschriftenkartusche: HIDVo sanCtI apostoLI patroCInIVM
- Abschied der Apostel Petrus und Paulus vor dem Martyrium
- südliche Seitenbilder:
- Martyrium des heiligen Nikomedes
- Abnahme des heiligen Sebastian vom Baum
- die Bekehrung des Saulus
CHORBOGEN
Wappen des Abtes von Wettenhausen, Augustin Bauhof (reg. 1755–1776)
CHOR
- nördliche Seitenbilder (Grisaille):
- Rückkehr der Kundschafter
- Emblem: Fliegender Vogel in der Landschaft
- Mittelbild:
- Verherrlichung der Eucharistie durch die vier Erdteile – Inschriften: PERPETUA ADORATIO IOHANN CHRISTOPH DE FREYBERG | HOC EST CORPUS MEUM [HIC EST ENIM] CA[LI]X SA[NGUINI]S MEI | DEUS DIXIT | Vollkome ablass (Signatur)
- Inschriftenkartusche: ECCe Latet VerVs hoMo DeVs
- Speisung des Elias in der Wüste
- südliche Seitenbilder (Grisaille):
- Emblem: Springender Hirsch an einer Wasserquelle
- Mannaregen
- Oratorienbrüstung:
- biblisches Gastmahl (nördlich)
- Heimkehr des verlorenen Sohnes (südlich)
1867 wurde das barocke Mobiliar zugunsten einer neoromanischen Ausstattung entfernt. Diese wiederum wurde 1965–1968 durch barocke Möbel ersetzt. 1982 schreibt der Verfasser der Künstlermonografie zu „Johann Anwander“, dass der Erhaltungszustand „sehr gut“ sei. Vorausgegange Eingriffe haben sich auf die Kartuschenbilder beschränkt.[1] Weitere Renovierungen des Äußeren sind für das Jahr 1962 sowie des Inneren für 1997–1999 belegt.
[1] Vgl. Merk 1982, 136.
Johann Anwander verwendete eine Reihe eigener Entwürfe und Figuren.[1] Seine Idee der lehrenden Europa zog er aus entsprechenden druckgrafischen Vorlagen wie den Frontispizen auf Matthäus Merians Werken Theatrum Europaeum von 1634 und Archontologia Cosmica von 1649.
[1] Merk 1982, 68.
Auszug aus der Dissertation von Marion Romberg „Die Welt im Dienst der Konfessionen. Erdteilallegorien in Dorfkirchen auf dem Gebiet des Fürstbistums Augsburg im 18. Jahrhundert“ (169f.):
Der Stiftschronist Werner Gall schildert in den Annales Wettenhusani das Ausmaß von Propst Augustin Engagements in Großkötz:
„In diesem Jahr [1766] ist die Pfarrkirche in Großkötz zur Vollendung gebracht worden; diese hatte Ihre Ehrwürdigste Excellenz, unser Propst, wiewohl er nur Pfandinhaber (hypothecarius) des Ortes war, vorrangig auf eigene Kosten fast von Grund auf, vor einem Jahr, zu erbauen und auszugestalten begonnen. Solange ein Stein über dem anderen liegenbleiben wird, wird er die Großzügigkeit seines Gründers preisen. Der Architekt dieses edlen Bauwerks war Herr Joseph Dossenberger, Bürger von Wettenhausen, der Maler Herr Johannes Anwander aus Lauingen, beide in ihrer Kunst sehr erprobte und gefeierte Männer. Der Maler ist darüber hinaus der Vater unseres Konventualen Johannes Anwander. […] Zusammen mit der ebenda neu errichteten Wohnung für den Herrn Untervogt [Pfleger] hat er innerhalb kurzer Zeit eine so mühevolle Aufgabe zur Vollendung gebracht. Beide Baumaßnahmen kosteten 17.000 Gulden. Was wundert’s, daß auch die Kirche ebendort dem Herrn Prälaten aus Wettenhausen wenn schon nicht ihre Entstehung, so doch Größe, Glanz und Schmuck in hohem Maße verdankte.“[1] [Hervorhebungen von der Autorin]
Die Großkötzer Kirche ist – so scheint es – ein „Baby“ des Propstes. Er finanzierte die Vergrößerung der Kirche, er bestellte die Künstler zur ihrer Ausstattung und ihm muss ein jeder gedenken. Die Bauarbeiten übertrug er seinem vertrauten Stiftsbaumeister Josef Dossenberger d. J., der beginnend 1748 insgesamt 37 Jahre lang im Dienste der Klosterherren stand. Für die Malerei beauftragte er nicht wie sonst Enderle, sondern wendete sich an dessen Konkurrenten[2] Johann Anwander. Neben seiner Kunstfertigkeit nennt der Chronist noch einen weiteren Grund für den „Malertausch“: Anwanders ältester Sohn Johann Christoph war Angehöriger des Konvents.[3] Für seinen Einsatz sollte dem Propst jeder Besucher der Kirche danken. Zur immerwährenden Verdeutlichung „wer hier was hat ausstatten lassen“ hat sich der Propst im Langhausfresko abbilden lassen. Hierdurch wird der Gläubige unmittelbarer als durch ein Wappen mit seinem Wohltäter konfrontiert und dazu ermahnt, sich stets an seine Taten zu erinnern und ihn dafür zu preisen. Die Wohltat des Propstes umfasste nicht nur die Umgestaltung, sondern auch die Neubelebung der 1496 gestifteten und 1627 erneuerten Bruderschaft zum heiligen Sebastian, wie sie das Langhausfresko zeigt – wobei nicht Propst Bauhof, sondern sein Vorgänger Melchior Gast 1750 der eigentliche Erneuerer gewesen war.[4] Diese Tatsache änderte nichts an der intendierten Botschaft: der Visualisierung der eigenen Frömmigkeit und der Gewährleistung der Memoria sowie der visuellen Vermittlung von Herrschaft, die im Umbau des alten Schlosses zur Sommerresidenz ihren weltlichen Anfang genommen hatte und in der Kirche ihren religiösen Abschluss fand. Der Großkötzer Einwohner wurde somit in allen Lebensbereichen angesprochen und im grundlegend veränderten Ortsbild daran erinnert, wer der neue Herr war. Im Kontext des wechselhaften Verhältnisses zum Wettenhausener Nachbarn und Pfandschaftsgeber Österreich betrachtet, sind diese Bauaktivitäten als eine Demonstration des besseren Lebens unter dem Krummstab zu verstehen.
Eine andere Gruppe von Wohltätern, die nachweislich mitgewirkt hat, bleibt sowohl in den Bild- als auch den Textdokumenten unerwähnt: Es handelt sich hierbei um die Mitglieder der Bruderschaft zum Hl. Sebastian und der Bruderschaft zum Hochwürdigen Gut. Bereits 1784 wurden die beiden Bruderschaften und die Skapulierbruderschaft durch den alten Besitzer aufgehoben.
[1] Annales Wettenhusani 1766, Tom. III, zitiert nach: Seibold Pfandschaft 1997, 198. Vgl. zu den Annales sives chronologia imperialis collegii Wettenhusani Wüst Wettenhausen 1983, 41 Anm. 1. Die Annales umfassen zehn Bände und wurden von den Stiftschronisten Franziskus Petrus (zwischen 1684 und 1688) und Werner Gall (zwischen 1784 und 1802) verfasst. Die Bände verteilen sich heute auf das Bayerische Hauptstaatsarchiv, das Staatsarchiv und die Stadt- und Staatsbibliothek in Augsburg.
[2] So konkurrierten die beiden Maler zwei Jahre später, 1767, um den Auftrag zur Ausmalung der Wallfahrtskirche zu Buggenhofen. Enderle erhielt den Auftrag, da er das günstigste Angebot unterbreitete. Vgl. è VII 2.1.2. in der vorliegenden Arbeit. Als der in Lauingen ansässige Anwander 1771 starb, machte er „so das Feld für Enderle frei“ (Dasser Enderle 1970, 52), indem dieser sogleich den Auftrag für die Freskierung der Friedhofskirche in Lauingen erhielt. Vgl. Merk Anwander 1982, 105.
[3] Vgl. Merk Anwander 1982, 67f.
[4] Vgl. Kreuzer Pfarrgeschichte 1997, 305.
Komplettes Verzeichnis der in der Dissertation verwendeten Literatur findet sich in der Datenbank unter Bibliografie > Dissertation.
Zuletzt aktualisiert am: 06.07.2018